Zu schade, dass Uwe Ochsenknecht die Idee von ProSieben nicht gefallen hat. Man hätte sie sich wirklich sehr gut als die deutschen »Osbournes« vorstellen können, die fünf Ochsenknechts aus München-Grünwald. Selbst jetzt im Urlaub in ihrer Finca auf Mallorca, weit weg vom Medienzirkus, wirken sie zugleich chaotisch und normal, das hätte schon Stoff gegeben für eine Doku-Soap.
Vom Dach der Veranda ranken sich Wein und eine Lichterkette aus Plastiklibellen, drunter sitzt Uwe Ochsenknecht und sieht etwas zerknittert aus, aber das tut er ja eigentlich immer. Er sortiert die Post und telefoniert wegen der bevorstehenden Quali-Prüfungen seines jüngsten Sohnes Jimi Blue. Auf dem Tisch liegt die Bunte. Töchterchen Cheyenne Savannah, 6, turnt auf dem Steinboden, macht erst eine Brücke, dann eine Kerze. »Herschauen, herschauen«, ruft sie. Aus dem Haus hört man Hundegebell. Frau Ochsenknecht, die einen Bikini trägt und ein Seidentuch um die Hüften, erzählt, dass zu Hause in München gerade die Badewanne ins neue Haus eingebaut wird. »Ach ja«, sagt sie, »Wilson pennt noch, aber Jimi ist schon wach, der muss hier irgendwo stecken.« Sie ruft ihn. Keine Antwort. Sie ruft noch mal. Dem deutschen Schauspieler Uwe Ochsenknecht geht es nicht anders als seinem Beinahe-Vorgänger Ozzy Osbourne: Er braucht gute Nerven, und die Journalisten wollen immer öfter zu seinen Kindern statt zu ihm. Und auf einmal steht er da, viel größer als erwartet, und streckt einem die Hand entgegen: Jimi Blue Ochsenknecht, Neuntklässler, 15 Jahre alt. »Hi, ich bin Jimi, freut mich«, sagt er und lächelt zurückhaltend: ziemlich bescheiden für einen Nachwuchsschauspieler, der schon im Jahr 2005, also mit 13, bei der Bravo-Wahl zum beliebtesten Kinodarsteller Dritter wurde, hinter Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe und Brad Pitt, aber vor Johnny Depp und Orlando Bloom.
Natürlich haben die Bravo-Leser damals mit dem Herzen, nicht mit dem Sachverstand eines Fimkritikers gewählt, aber ihre Begeisterung für diesen Jungen ist verständlich. Man mag ihn auf Anhieb, wenn man ihm gegenübersteht: Sein Körper muss dem Gesicht in den letzten Monaten ein wenig davongelaufen sein, so schlaksig ist er; die Nike-Turnschuhe hängen ihm wie zwei Gewichte an den schlanken Beinen, beim Gehen schlackern seine Handgelenke, als wären sie gebrochen oder zu schwach, um die riesigen Hände zu tragen. Er hat ein paar blonde Strähnen im dunklen Haar, das Gesicht ist ausnehmend hübsch, aber noch glatt und unfertig, die ideale Projektionsfläche für pubertierende Sehnsüchte. Und doch, wenn er so neben seinem Vater steht, entdeckt man ähnliche Züge, identische Details: die breite Nase, die trotzige Oberlippe, die zur Nase hin zornig nach unten geschwungenen Brauen; nur Papas Laserblick, der fehlt.
Auf den ersten Eindruck ein sehr wohlerzogener Junge, fast ein wenig schüchtern. Dass er auch wirken will, einen auf dicke Hose machen kann, verrät nur der Schriftzug aus Glitzersteinen auf seinem T-Shirt: »Billionaire Boys Club« steht da, das Modelabel des US-Musikers Pharrell Williams. Es muss ein kleines Vermögen gekostet haben. »Hab ich für ein Viertel des Preises bekommen«, platzt es aus ihm heraus, »das hing ein Jahr im Laden und keiner wollte es haben.«
Seitdem Jimi Blue Ochsenknecht 2003 zum ersten Mal den Anführer der Wilden Kerle im gleichnamigen Kinofilm gespielt hat, ist er neben Bill Kaulitz von Tokio Hotel Deutschlands größter Teeniestar. Der Film um eine Fußballbande, die mit Herz und Leidenschaft ihren übermächtigen Gegnern und den langweiligen Erwachsenen trotzt, traf so genau die Seelenlage deutscher Kinder, dass bis heute drei Fortsetzungen gedreht wurden; jeder Teil war noch erfolgreicher als der vorherige. Allein der vierte brachte es auf 2,4 Millionen Besucher, damit auf doppelt so viele wie Rocky VI in Deutschland, die ganze Reihe auf mehr als sieben Millionen. Sie haben Die Wilden Kerle 1–4 zu einer der erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen der letzten Jahre, Jimi Blue zum Kinderstar der Nation und das Kerle-Logo, ein zähnefletschendes, aber liebes Monster, so populär gemacht, dass man beim Deutschen Fußballbund sogar kurz überlegt hat, es zur Ankurbelung der Jugendarbeit einzusetzen.
Ein Minderjähriger, der fähig ist, Millionen in die Kinos zu ziehen – das gab es in Deutschland lange nicht, eigentlich noch nie. Thomas Ohrner als »Manni der Libero«, Patrick Bach als »Silas«, das war Fernsehen, das war eine unaufgeregtere Zeit. Am ehesten bekommt Jimi Blue noch Konkurrenz vom eigenen Bruder. Wilson Gonzales, 17, hat ebenfalls bei den Wilden Kerlen mitgespielt, war aber schon im letzten Teil nicht mehr dabei, um eine Kunstschule in Kalifornien zu besuchen. Auch mit Bill Kaulitz von Tokio Hotel kommt Jimi Blue sich bislang nicht in die Quere.
Nicht nur, weil der eine Musik und der andere Filme macht, sondern vor allem, weil sie ganz unterschiedliche Bedürfnisse ihrer minderjährigen Fans bedienen und ein ganz anderes Image pflegen: Kaulitz das des androgynen Fantasyprinzen und Verführers, in dessen mystisch überzeichnete Manga-Welt die Kids vor dem Pubertätsalltag fliehen können, Jimi Blue das des beschützenden Bruders, der eher verständnisvoll und kumpelhaft, greifbarer, realer wirkt. Bei seinen Fans punktet er vor allem mit Natürlichkeit, Charme und, ja, man kann es ruhig so nennen: Normalität. Er ist kein Rebell, der sich ausgrenzt oder gegen etwas ist. Er ist viel moderner, lässiger, bejahender: für MTV, für Justin Timberlake, für Handy-Klingeltöne, für Die Simpsons, für seine Geschwister, auch für seine Eltern und vor allem für seinen Border Terrier Coky. Den streichelt er, während er das alles sagt, so zärtlich, dass man am liebsten gleich beide adoptieren würde, den Jungen und den Hund.
Es könnte mit dem berühmten Vater zu tun haben, dass der Sohn nicht überschnappt oder durchdreht. Jimi kann sein, wie er ist, so unaufgeregt, ausgeglichen und neidlos, weil er sich von nichts abheben, aus nichts rausarbeiten muss, aus keinem Milieu, aus keinem Ghetto. Er geht so lässig mit dem Rummel um, weil er es nicht anders kennt. Weil er von klein auf jeden Morgen mit einem Promi am Frühstückstisch sitzt, der längst zu seinem besten Berater geworden ist und aufpasst, dass der Sohn die Popularität in den richtigen Dosen abbekommt. Auch jetzt beim Interview sitzt sein Vater mit am Tisch, das hat er vorher angekündigt: »Sie dürfen nicht vergessen«, hat er gesagt, »Jimi ist erst 15, der redet einfach drauflos.« Die Angst, der Vater könnte mehr sprechen als der Sohn, verfliegt schnell. Uwe Ochsenknecht sitzt nur da und lauscht. Man sieht ihm an, wie stolz er ist. Einmal – sein Sohn hat gerade angefangen, über Liebe zu sprechen – sagt er doch was: »Soll ich mal eine Runde mit dem Hund gehen, Jimi?« Sympathisch irgendwie. Weil er ihn nur ganz sanft lenkt, nur dafür sorgen will, »dass Jimi nicht wie eine Zitrone ausgepresst wird« oder »niveaulose Sachen wie GZSZ« macht. Die Bühne, den großen Auftritt, das alles lässt er ihm.
»Ich bin froh, dass Papa aufpasst«, sagt Jimi Blue, der sich mit jedem Termin ein Stück mehr das Spiel mit den Medien abschaut, dieses »Ich tu was für euch und ihr tut was für mich«. Alles macht er trotzdem nicht mit. Sein Vater sagt immer: Ein Schauspieler soll wegen seiner Filme in der Zeitung stehen und nicht, weil der Hund sich das Bein gebrochen hat. »Also ich würde nie einen Journalisten in mein Zimmer lassen, am liebsten noch nicht mal ins Haus«, sagt Jimi, »es sei denn, er müsste dringend aufs Klo.«
Trotzdem. Er war bei Stefan Raab (mit seinem Bruder Wilson), bei Beckmann und Pilawa (mit seinem Vater), beim Deutschen Filmpreis (mit allen zusammen), bei der Echo-Verleihung, ist seit Jahren in jeder zweiten Ausgabe von Bravo, mal im Promi-Interview, mal als Poster, Bügelbild oder abwaschbares Tattoo. Längst gehört er zu den Zugpferden der Zeitschrift. Einmal hat er für seine Fans einen Weihnachtsgruß auf Band gesprochen, den man sich für 49 Cent in der Minute am Telefon anhören konnte – ein Riesenerfolg. Er bekommt so viel Fanpost, oft 500 Briefe pro Woche, dass »die Kinder der Nachbarn beim Verschicken der Autogrammkarten helfen müssen«. Ja, irgendwann hat er sich auch daran gewöhnt, dass am Wochenende immer Mädchen, die er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hat, an der Haustür seiner Eltern klingeln. Er weiß ja, was die wollen: Handy hochhalten, lächeln, Foto machen, kichern, abdampfen. Eine Freundin hat er gerade nicht. »Dann kriegt man keinen Stress, wenn man mal was mit einer anderen hat.« Es klingt wie eine Formel, die er sich zurechtgelegt hat, wenn Journalisten nach Sachen fragen, die sie nichts angehen.
Und wieder streichelt er Coky, nimmt ihn richtig in den Arm, wie ein Baby, und erzählt von dem Tag, als er den zotteligen Border Terrier zum ersten Mal gesehen und gespürt hat, dass er diesen Hund »unbedingt haben musste«. Es ist das einzige Mal an diesem Tag, dass seine Stimme richtig euphorisch klingt und seine Augen leuchten. Nein, einmal noch: Als er ein bisschen stolz verrät, dass er von den Firmen Nike und Baldessarini gesponsert wird. »Die schicken mir immer Klamotten für Fototermine, das ist wie Werbung, und anschließend darf ich die Sachen behalten« – ein Satz, der schlagartig Falten auf die Stirn seines Vaters zaubert. Er sagt es nicht, aber er denkt es: dass diese Bemerkung überflüssig und unklug war, dass man so was doch nicht erwähnen muss, weil die Menschen in Deutschland doch immer so schnell neidisch sind. Jetzt muss er sich doch einschalten: »Na ja«, verbessert er seinen Sohn und lehnt sich nach vorn, »das eine oder andere Teil darf er halt dann mal behalten, wenn es ihm gefällt«, zieht sich wieder zurück und schaut, als würde er denken: Ist ja noch mal gut gegangen.
Die meisten heiklen Themen umschifft Jimi Blue aber ganz allein: Geht es um Geld, redet er vom Spaß, den er an der Arbeit hat, geht es um Eitelkeit, erzählt er, wie wichtig es ihm sei, dass er ganz normal rüberkommt, geht es um die Absturzgefahren eines Jungstars, sagt er: »Noch bin ich ja kein richtiger Star. Das kann ich erst beurteilen, wenn es so weit ist.« Über Gagen spreche er nicht, sein Vater nickt zustimmend, und im Gegensatz zu allen anderen deutschen Schauspielern mag man ihn sogar, wenn er von Wohltätigkeit redet: »Wenn ich viel Geld hätte, richtig viel«, sagt er, »würde ich erst mal die Hälfte spenden.«
Wieder erschrickt der Papa, spielerisch. »Die Hälfte?« Jimi rudert zurück. »Na gut, vielleicht nicht die Hälfte, aber sagen wir mal, wenn ich 100 Millionen hätte, würde ich sicher zehn oder zwanzig davon spenden.« Er ist talentiert und reizend, die perfekte Identifikationsfigur für begeisterungsfähige Kinder, aber auf Dauer wird das nicht reichen. Jimi weiß das und hat einen Plan: In diesem Sommer macht er seinen Hauptschulabschluss, danach vielleicht die mittlere Reife, je nachdem, wie die nächsten Projekte laufen. Und weil Jimi »auf keinen Fall Abitur machen«, aber »auf jeden Fall in die Showbranche« möchte, und zwar ernsthaft, greift er jetzt richtig an und erweitert noch in diesem Jahr sein Spektrum: »Sensation!« titelte Bravo vor ein paar Wochen auf ihrem Cover: »Jimi wird jetzt Sänger«. Da war es raus. Jimi Blue hat einen Plattenvertrag bei Universal unterschrieben, dem Label von Tokio Hotel. »Ein bisschen Hip-Hop, ein bisschen R&B«, erklärt er. »Gerade werden Songs geschrieben, einen habe ich schon eingesungen.« Thema der Texte, an denen er auf jeden Fall mitarbeiten möchte: Familie, Freunde, Liebe. »Was einen 15-Jährigen halt interessiert.« Das Gute daran: Für Jimi geht ein Traum in Erfüllung, für die Plattenfirma ebenfalls.
In ihm haben sie einen Künstler gefunden, den sie nicht aufbauen, nicht bekannt machen müssen, der seine riesige Fangemeinde gleich mitbringt, noch bevor er den ersten Ton gesungen hat. Anschließend bricht Jimi Blue mit einem Prinzip und dreht angesichts der Lage zum ersten Mal zwei Filme in einem Jahr, erst den fünften Teil von Die Wilden Kerle, danach Summer, eine Teenieromanze, die am Meer spielt. Raffiniert, weil er sich so von den Wilden Kerlen emanzipiert, ohne ganz von seiner Paraderolle Abschied zu nehmen. Für die weibliche Hauptrolle in Summer konnten sich Mädchen bei Bravo bewerben. Sie mussten nur per Mail einen Bewerbungsbogen und ein paar Fotos an den Kinoredakteur der Zeitschrift schicken. Als der ein paar Tage später seinen Mailordner öffnete, hatte er 10000 neue Nachrichten. Jimi wusste davon nicht einmal. Vielleicht tut er aber auch nur so. Beide Möglichkeiten mag man.