»Erfolg kann schädlich sein«

Diese Frau hat Daniel Brühl und Sandra Hüller zu Stars gemacht – weil sie haargenau weiß, wie man die ideale Besetzung für einen Film findet. Ein Gespräch mit der Casterin Simone Bär.

Simone Bär steht nur ungern selber im Rampenlicht, sondern verhilft lieber den von ihr besetzten Schauspielern zu Ruhm.

SZ-Magazin: Frau Bär, hat es einen Grund, warum Sie so fernab Ihrer Klientel im Westen Berlins arbeiten? Verstecken Sie sich? Die meisten der 20 000 Schauspieler, die in Berlin leben, wohnen in Mitte oder Prenzlauer Berg.
Simone Bär: Das hat eher praktische Gründe. 1990, als ich anfing, gab es im Osten, wo ich herkam, keine Telefone. Hier schon. Ansonsten kann ich nicht leugnen, dass ich mich lieber auf Abstand halte. Das hält den Blick scharf.

Stehen ab und zu Schauspieler vor der Tür, die einen Job suchen?
In Amerika gibt es den schönen Satz: »Don’t visit, don’t call.« Ein Schauspieler, der einen Caster nervt, dessen Weg endet an der Gegensprechanlage.

Meistgelesen diese Woche:

Gibt es Bestechungsversuche?
Ja, auch das.

Bis zur Wende haben Sie als Regieassistentin gearbeitet, Sie stammen aus Königs Wusterhausen bei Berlin. Woher wussten Sie, dass Sie eine gute Casterin sein würden?
Das wusste ich natürlich nicht. Ein Freund hatte in München eine Werbefilmproduktion. Der sagte: »Du kennst doch die ganzen Ostschauspieler, mach doch Casting!« Ich fragte: Was ist das denn? Ah, Besetzung. Warum braucht man ein englisches Wort dafür? Mit Werbeclips und Daily Soaps habe ich angefangen.

Trotzdem muss man doch für Menschen und den Schauspielberuf ein Händchen haben, um irgendwann so große Filme besetzen zu können, wie Sie das heute tun.
Das Interesse an Menschen bei mir ist groß, sie faszinieren mich eben. Einen Film zu besetzen, das ist, als würden Sie sich eine Familie bauen. Nach all den Jahren weiß ich, wer gut mit wem kann und auch von der Spielweise zusammenpasst.

Es geht also nicht nur ums professionelle Zusammenarbeiten, die Schauspieler sollten sich auch mögen?
Es ist zumindest die bessere Voraussetzung – finde ich.

Wann war Ihr Durchbruch als Casterin?
Wenn man Erfolg überhaupt bemessen kann, dann ging es los mit Die innere Sicherheit von Christian Petzold, dann kam Good Bye, Lenin! von Wolfgang Becker.

Sie haben diverse Talente entdeckt, auch Sandra Hüller, die Sie für Requiem von Hans-Christian Schmid besetzten.
Damals haben wir nach einem Gesicht gesucht, das nicht zu modern ist. Ich bin durch alle Theater gewandert und habe in Prospekten des Theaters Basel ein winziges Schwarz-Weiß-Foto von ihr entdeckt. Ich habe sie dann um Videomaterial gebeten, und sie schickte mir eine Minute. Eine Minute! In der jedoch fällt ihr rund 15 Sekunden lang ein Taschentuch herunter – großartig. Ich stand neben Hans-Christian Schmid und sagte: Siehste, siehste? Und er erwiderte: Aber was siehst du denn da?

Es gibt Gesichter, die zu modern sind für einige Filme?

O ja. Es gibt Typen und Gesichter, die sind entweder ländlich oder urban, passen besser in einen Historien- oder in einen Gegenwartsfilm. In der DDR auf den Schauspielschulen war es sogar so, dass man nicht zu schön sein durfte, weil das vom Spiel ablenkt. Ich schaue auch, wie jemand mit Sprache umgeht. Hat er diesen Großstadtslang oder kann er auch fein? Man wird nicht jeden Schauspieler zum Bauern machen können. Die größte Schwierigkeit beim Weißen Band war genau dieser Part. Die Hände mussten stimmen!

Ist Sozialisation ein Kriterium?
Wenn ich einen Stoff, der sich mit dem ehemaligen Osten befasst, besetzen möchte, ist es für mich natürlich besser, einen von dort zu nehmen als jemanden, bei dem ich spüre, dass er in München-Bogenhausen aufgewachsen ist. Man sagt zwar, ein Schau-
spieler muss das können, aber ich sehe immer noch Unterschiede. Wie er geht, wie er sich ausdrückt. Man kann spüren, ob jemand Arbeiterklasse oder Landadel ist.

Warum haben Sie dann 2001 Daniel Brühl für die Hauptrolle von Good Bye, Lenin! besetzt?
Er war zu der Zeit einer der begabtesten unter den Jungschauspielern. Ein frisches Gesicht mit hohem Sympathiewert. Aber da gab es auch viel Arbeit, ihn an die Ostsprache anzupassen.

Was muss jemand haben, damit Simone Bär auf sie oder ihn anspringt?
Wen ich gut finde für eine Rolle, das sieht man ja am Ende im Kino oder Fernsehen. Ich scheue mich, da einzelne Beispiele herauszunehmen, weil es andere automatisch ausschließt. Und die denken dann, ich mag sie nicht oder schätze ihre Arbeit nicht. Neuentdeckungen müssen auch nicht immer nur junge Leute sein. Ich habe Michael Maertens, an dem ich seit Jahren dran bin und der in Theaterkreisen sehr renommiert ist, in Die Vermessung der Welt besetzt, da spielt er den Herzog. Hinterher fragten viele: Wer ist denn das, der ist ja gut.

Von Ihnen stammt der Satz: »Eine ausgewogene Mischung aus Prominenz und Neuentdeckung oder eine ungewöhnliche Wahl machen eine gute Besetzung aus.«

Das ist richtig. Für mich ist es eher langweilig, wenn jemand schon einen Darsteller im Visier hat. Meistens sage ich: Bitte sag nichts, ich will von mir aus mit Vorschlägen kommen, und dann sehen wir, ob wir dasselbe denken über den Stoff. Hinzu kommt, dass in der Filmbranche jeder denkt, er könne einen Film besetzen. Es würde sich zwar keiner hinstellen und sagen: Ich kann auch Kamera, Kostüm oder Schnitt. Aber beim Casting wollen alle mitreden.

Angenommen, Nico Hofmann, der sich die Rechte von Bettina Wulffs Jenseits des Protokolls gesichert hat, käme auf Sie zu, um seinen Film zu besetzen,
Generell muss mir ein Buch gefallen, sonst mache ich es nicht. Wenn ich etwas politisch ablehne, kann ich auch nicht den Film dazu besetzen. Ich könnte es auch keinem Schauspieler anbieten, wenn ich es selbst nicht leiden mag. Wie soll man da überzeugend sein?

Wie sehr mischen sich Produzenten ein?
Generell gilt die Regel: Je höher das Budget, umso mehr Leute reden mit. Am besten ist es, die Dinge so hinzukriegen, dass Produzenten und Regisseure meine Empfehlung mittragen, ein Diplomatiegeschäft! Ich bin generell sehr genau, bis hin zur kleinsten Rolle, und gebe auch nicht so schnell nach. Da man uns als Ossis ja immer sagen wollte früher, was wir zu denken haben, hat sich da so ein Widerborst gebildet: Titel und Namen beeindrucken mich nicht.

Und wenn jemand besetzt wird, mit dem Sie überhaupt nicht einverstanden sind ?
Kann ich jederzeit aussteigen.

Sagt auch mal ein Regisseur, den oder die will ich haben, und Sie raten ihm ab?
Passiert auch. Auch dass mein Rat angenommen wird.

»Bei Christoph Waltz hat die Gerechtigkeit mal gesiegt.«

Simone Bär brachte Tarantino mit Christoph Waltz (für »Inglourious Basterds«, 2009) zusammen, seither ein unzertrennliches Duo in Hollywood. (Foto:dpa)

Wenn Deutsche in internationalen Filmen auftauchen, dann sind sie oft Nazis und sehen auch so aus: böse nämlich.
Ja, da gab es zwischenzeitlich auch bei mir ein Übersättigungsgefühl. Ich verstehe jeden Schauspieler gut, der so eine Uniform nicht mehr anziehen und nur aufs Äußere reduziert werden will. Zum Glück werden selbst diese Rollen vielschichtiger.

Christoph Waltz, den Sie für Inglourious Basterds vorschlugen, dürfte Ihnen hingegen ewig dankbar sein. Seine Rolle als perfider SS-Standartenführer Landa brachte ihm den Oscar ein, Hollywood wurde aufmerksam auf ihn.
Christophs Erfolg hat mich riesig gefreut, das gebe ich zu. Da hat die Gerechtigkeit mal gesiegt. Und obwohl die Schauspielergemeinde sonst ein neidisches Volk sein kann, hat ihm jeder seinen Erfolg gegönnt. Da habe ich nicht einmal gehört: Das hätte ich auch gekonnt!

Tarantino scheint Ihre Wahl ebenfalls nachhaltig zu schätzen: Christoph Waltz spielt auch in seinem neuen Film mit. Django Unchained kommt im Januar 2013 in die Kinos.
Ja, im Falle von Waltz und Tarantino kam eben alles zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zusammen für einen Coup.

Und woher kannte ein Quentin Tarantino Simone Bär? Woher wusste er, dass Sie die Richtige für ihn sein würden?
Das ist eben das Empfehlungsgeschäft. Ich hatte vorher mit Stephen Daldry Der Vorleser gemacht.

Und Stephen Daldry, wie ist der auf Sie gekommen?
Entstanden ist alles über Das Leben der Anderen. Als der Film durch Amerika ging in der Oscar-Auswahl, hat Stephen Daldry Florian Henckel von Donnersmarck erzählt, dass er einen Film in Deutschland plane und ob er ihm seinen Casting-Direktor empfehlen könne. Von Donnersmarck hat dann gleich meine Handynummer weitergegeben, was ich eigentlich nicht mag. Das ist auch nur deshalb interessant, weil ich zu dieser Zeit, also um 2007 herum, noch gar kein Englisch sprach außer »Yes« und »Hello«. Und erst mal aufgelegt habe, als Daldry anrief. Vor Schreck.

Nach Daldry kam Tarantino zu Ihnen. Wie hat sich das angebahnt?
Bei Tarantino war mein Englisch auch noch mau – o je. Nach drei, vier Wochen war ich dann schon mutiger, und er rief erfreut: Sie spricht, sie spricht! Ich hatte inzwischen einen Englischlehrer. Außerdem ist Sprache nicht alles. In unserem Geschäft spürt man auch so relativ schnell, ob man miteinander kann.

Hat Daldry Sie Tarantino empfohlen?
Das weiß ich nicht. Seine Produzentin rief auf dem Handy meiner Mitarbeiterin Alexandra Montag an. Wir bauten gerade ein Regal zusammen, als ihr Telefon klingelte. Sie scherzte noch und rief: Hollywood! Und dann war Hollywood wirklich dran. Sehr lustig.

Wie haben Sie sich an Tarantinos Art Filme zu drehen herangetastet?

Na ja, nach Pulp Fiction dachte ich schon, dieser Typ muss ganz schön verrückt sein, dieses Blut überall. Aber manche Regisseure, und oft die guten, sind etwas abgedreht. Ich mag das.

Wie beginnt man so eine Arbeit mit ihm?
Die amerikanischen Schauspieler wurden natürlich von Amerika aus besetzt. Ansonsten ist das Wichtigste, so plakativ das klingt, Vertrauen. Der Regisseur muss mir glauben, wenn ich sage, der ist der Beste für die Rolle. Und zwar so sehr glauben, dass er nicht das Gefühl hat, noch hundert andere anschauen zu müssen. Tarantino habe ich zwei Schauspieler pro Rolle gezeigt, manchmal einen dritten, manchmal nur einen. Er hat sich sofort entschieden.

Haben Sie es im Gefühl, wie viele Schauspieler Sie einem Regisseur zeigen sollten?

Ich bin eigentlich ein »Dreier«, denn Menge verwirrt nur, verwässert die Vision. Ein Regisseur hat ja auch nicht zehn Visionen von einer Rolle. Ich versuche seiner am nächsten zu kommen.

Haben Sie auch Michael Fassbender besetzt, der gern von den Deutschen vereinnahmt wird, weil sein Vater aus Heidelberg stammt und er dort geboren wurde?
Michael Fassbender haben wir zwar nicht besetzt, aber der war hier, weil die amerikanische Casting-Agentur meinte, der kann Deutsch, und wir sollten das prüfen. Das war dann aber leider nicht wirklich der Fall.

Als Sie für Tarantino Schauspieler suchten, war im Vorfeld schon in der Presse zu lesen, wer eventuell mitspielt. Die Paparazzi haben sich bestimmt gefreut und Ihre Agentur belagert.
Ja, als das raus war, war es furchtbar, in der Presse zu lesen, wer alles beim Casting war, dann aber doch nicht auftaucht im Film – das ist auch für gestandene Schauspieler grauenvoll.

Zumal renommierte Schauspieler auch bestimmt nicht scharf darauf sind, sich einem Casting zu unterziehen, oder?
Na ja, bei Tarantino oder generell bei internationalen Produktionen ist das natürlich etwas anderes. Castings sind schon deshalb nicht beliebt, weil es ja immer eine Art Prüfungssituation ist. Aber der Druck, dass Filme funktionieren müssen, ist eben größer geworden. Und manchmal hat ja auch ein bewährter Schauspieler keinen guten Lauf. Kommt auch auf die persönliche Situation an, in der er sich gerade befindet.

Ein Regisseur will auch wissen, wie es einem Schauspieler geht?

Natürlich. Der will doch wissen, auf was für einen Menschen er da trifft.

Verbietet eigentlich die Professionalität, mit Schauspielern befreundet zu sein?
Ich versuche es zu vermeiden, auch mit Regisseuren, aber natürlich bin ich auch nur ein Mensch. Ich will mich nicht überfrachten mit Dingen, die ich über jemanden weiß, ich erfahre ja sowieso schon sehr viel Privates. Deswegen gehe ich auch kaum auf Partys. Für meine Wahrnehmung der Person ist das, was man auf Partys zu sehen bekommt, oft nicht gut.

Wie haben sich die Dinge für Sie verändert, seit Sie international mitmischen?

Ich werde seltener vom Fernsehen beauftragt. Erfolg kann also auch schädlich sein! Es war viel Arbeit, deutlich zu machen: Hey, ich mache immer noch gern Der Kriminalist und Fernsehfilme. Ihr könnt weiterhin fragen!

Wie oft werden Sie gefragt, ob Sie all Ihr Wissen und all die Anekdoten nicht mal in ein Buch gießen wollen?
Oft. Ich hatte schon ernsthafte Angebote. Auch ein Regisseur hat mal gesagt: Wir reden beide mal, und ich mach dann einen Film draus. Aber das kommt höchstens in Frage, wenn mir die Altersarmut droht, denn dicke Honorare kriegen wir Caster nicht. Wir werden pauschal bezahlt, egal, wie lange die Arbeit dauert. Wenn wir unsere Verträge kriegen, hat der Produzent oft das Geld für den Film noch nicht zusammen. Für mich heißt das, um alle Kosten decken und ein Kind großziehen zu können: Ich muss mehrere Filme gleichzeitig machen. Wenn ich es finanziell könnte, hätte ich mein Büro auch schon längst personell erweitert, denn die Arbeit, die ich habe, ist viel für zwei.

Simone Bär
ist eine der renommiertesten Casting-Direktorinnen für Film und Fernsehen. Schon im Vorfeld macht die 47-Jährige einem klar, dass man Sätze wie »Die Ferres geht immer« nicht von ihr zu hören bekommt. In ihrem Büro in Berlin-Wilmersdorf gibt es Regale mit Hunderten DVDs und Fenster mit Sichtschutz. Im Flur hängen die Plakate der Filme, die sie besetzt hat, unter anderem »Good Bye, Lenin!«, »Das Leben der Anderen«, »Inglourious Basterds« oder »Der Vorleser«. Die Liste ist lang und hochkarätig: Derzeit läuft im Kino »Anleitung zum Unglücklichsein«, im nächsten Jahr der Film »3096«, der die Geschichte von Natascha Kampusch erzählt - Bernd Eichingers letztes Projekt.

Foto: Rosa Merk