Liv Ullmann in ihrem New Yorker Apartment am Central Park. Sie sammelt Kunst, mag besonders die Bilder von Marc Chagall.
SZ-Magazin: Frau Ullmann, es war viele Jahre still um Sie. Und plötzlich tauchen Sie wieder auf. Aber nicht nur als Theater- oder Filmschauspielerin, wie wir Sie kennen, sondern auch als Regisseurin. Macht Sie das ein wenig nervös?
Liv Ullmann: So gut wie jetzt ist es mir beruflich noch nie gegangen. Und das, obwohl ich so alt bin. Plötzlich kommen junge Frauen wie Cate Blanchett, Michelle Williams und Jessica Chastain auf mich zu und möchten mit mir arbeiten.
Das sind ja nicht nur junge Frauen, das sind vor allem auch große Stars.
Auch das, ja. Mit Cate habe ich Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams für Theater in Sydney, New York und Washington inszeniert, mit Jessica Fräulein Julie von August Strindberg verfilmt.
Und im Film Zwei Leben spielen Sie die Mutter von Juliane Köhler. Wobei Sie in Wahrheit viel jünger aussehen als in dem Film.
Danke! Dabei habe ich heute eine Frisur, mit der ich mir nicht so gefalle.
Warum haben Sie sie dann?
Weil ich die nette Person, die mich frisiert hat, nicht kränken wollte. Ich muss mich wirklich bremsen, um nicht mein ganzes Leben danach auszurichten, wie andere sich fühlen könnten.
Ist Empathie nicht eine sehr gute Eigenschaft?
Wenn man es nicht übertreibt – was ich aber tue. Ich habe mich darauf spezialisiert zu erraten, was andere von mir wollen könnten. Das mache ich sogar bei meinen Tieren.
Was wollen Ihre Tiere von Ihnen?
Nur ein Beispiel: Als junge Frau hatte ich mich immer darauf gefreut, eines Tages mit meinem Baby im Kinderwagen spazieren zu gehen. Als es so weit war, hat die Kinderfrau den ersten Spaziergang mit dem Kind gemacht. Ich bin mit dem Hund gegangen. Der Hund war bis dahin immer die Nummer eins, es wäre schlimm für ihn gewesen, plötzlich Nummer zwei zu sein. Das Baby, habe ich gedacht, merkt ja nicht, wer es schiebt.
Sie sprechen von Linn, der Tochter, die Sie mit Ingmar Bergman haben.
Ja, sie ist mein einziges Kind.
In Deutschland kannte Sie Anfang der Siebzigerjahre jeder aus Szenen einer Ehe von Ingmar Bergman. Sie spielten Marianne, die von ihrem Mann sehr schmerzhaft verlassen wird und später mit ihm eine Affäre beginnt. Wie nah war die Figur Ihnen selbst?
In einer Szene lese ich dem Mann, Johan, aus einem Tagebuch vor, das ich selbst geschrieben habe – im Auftrag von Ingmar Bergman.
Wie verfasst man ein Tagebuch für einen anderen?
Indem man reinschreibt, was man dem anderen mitteilen möchte. Ich wollte damals, dass er sieht, was er mir antut. Ich wollte, dass er meine Sehnsucht sieht. Dass er mich sieht. Es war natürlich kein ehrliches Tagebuch. Er hat es benutzt, das war grausam, und ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Er hat Johan, während ich ihm vorlese, einschlafen lassen.
Nehmen Sie ihm das bis heute übel?
Ingmar Bergman hat mich sehr verletzt, und ich habe ihn auch sehr verletzt. So ist es immer: Wir verletzen uns gegenseitig. Aber es war meine Entscheidung, mich von ihm verletzen zu lassen. Vielleicht muss man es so formulieren: Niemand kann mich verletzen, obwohl vieles wehtut. Ich habe nach der Trennung von Ingmar Bergman erst verstanden, was Liebe bedeutet.
Und? Was bedeutet Liebe?
Liebe bedeutet nicht Glück. Wir haben uns ja weiterhin geliebt. Ich war bei ihm in der Nacht, in der er starb. Das war 2007 in dem Haus auf der Insel Fårö, das er 1966 gebaut hatte, um mit Linn und mir dort zusammenzuleben. Und unsere Verbindung war mehr als vierzig Jahre später immer noch so eng, dass ich gespürt habe, dass ich zu ihm muss.
Sie haben gespürt, dass er sterben würde?
Ja. Also bin ich hingefahren. Liebe ist so viel mehr als Glück. Liebe ist Trennung. Liebe ist Einsamkeit. Liebe heißt auch, dass man in einer anderen Form lieben kann als im Zusammenleben. Ingmar und ich haben etwas viel Besseres gefunden: Wir sind unglaublich gute Freunde geworden. Während unserer Beziehung haben wir am Ende jeden Tages eine Notiz über den Tag an die Tür in seinem Arbeitszimmer gehängt, da war ein Herz drauf oder eine Träne, so etwas. Die Tür ist immer so geblieben. Er hat die Kärtchen jeden Sommer nachgezeichnet, damit sie nicht verblassen.
Hätten Sie nicht ein Paar bleiben können, ohne zusammenzuleben?
Nein. Er war zwanzig Jahre älter als ich und lebte zurückgezogen. Ich hätte mich einsperren lassen müssen. Dafür war ich viel zu jung. Noch dazu war er kein guter Vater, die Bedingungen waren schwer erträglich.
Sie haben mit Ende dreißig ein autobiografisches Buch geschrieben: Wandlungen. Darin steht, dass Sie sich zum ersten Mal im Leben geborgen gefühlt haben in der Nacht, in der Linn geboren wurde. Warum war das vorher nie möglich?
In dieser Nacht, auf dem Krankenhauskorridor, gab es endlich einmal nichts zu verkomplizieren. Das war das einfache, das wahre Leben. Das Baby lag im Bett, ich habe darüber gewacht, das konnte mir niemand nehmen. Es war ja eine harte Zeit damals. Ich war nicht verheiratet und ständig wurde darüber geredet und geschrieben. Die Geburt meiner Tochter hat mir kurz das Gefühl gegeben, in einer heilen Welt zu sein. Aber das ging schnell wieder weg. Es war ja nichts heil.
Wie haben Sie sich Ihr Leben mal vorgestellt?
Ich habe mir natürlich gewünscht, eine Braut in Weiß zu sein. Ich wollte keine Scheidung, sondern den einen Mann, die eine glückliche Liebe, viele Kinder. Aber mein Zuhause sah nie so aus, wie ein Zuhause damals auszusehen hatte. Obwohl ich versucht habe, ein Heim zu schaffen, mit Kochen und Backen und allem. Mein ganzes Leben sah nicht so aus, wie man sich das vorstellte. Nur in der Arbeit konnte ich Dinge erreichen, die ich mir gewünscht habe.
»Ich habe mich oft verloren gefühlt.«
Liv Ullmann Schauspielerin Ohne Ingmar Bergman wäre Liv Ullmann kaum denkbar, und umgekehrt. Zehn Filme drehte sie unter seiner Regie, darunter so bekannte wie Szenen einer Ehe und Das Schlangenei. Die Liebesgeschichte zwischen dem schwedischen Regisseur und der norwegischen Schauspielerin währte nur von 1965 bis 1970, ihre Zusammenarbeit und Freundschaft aber bis zum Tode Bergmans 2007. Heute lebt Ullmann, 74, mit ihrem Ex-Mann in Florida und New York. Geboren wurde sie 1938 in Tokio, nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit ihren zwei Töchtern zurück nach Norwegen. Mit der Schauspielerei begann Ullmann als Teenager.
Waren Sie unglücklich mit Ihrem Leben?
Ich habe mich oft verloren gefühlt. Aber ich habe gelernt: Man kann sich Umstände suchen, in denen man sich gut fühlt. Bei mir ist das immer wieder die Arbeit, darum verbringe ich so viel Zeit damit. Ich fühle mich aufgehoben, wenn ich arbeite. Wenn ich meine Arbeit gut mache, fühle ich mich sicher. Sogar wenn ich angegriffen werde.
Als Linn 14 war, sind Sie mit ihr nach New York gezogen. Und haben ein Treffen zwischen Ingmar Bergman und Woody Allen arrangiert.
Sie bewunderten sich gegenseitig und wollten sich kennenlernen. Dann haben sie den ganzen Abend kaum ein Wort gesagt. Woody Allen meint, ich hätte das falsch in Erinnerung. Aber so wars: Sie schwiegen, und Ingmars Frau und ich redeten vor Verlegenheit über Hackbällchen. Am nächsten Tag rief Woody Allen mich an und sagte: »Danke, das war wunderbar.« Und Ingmar rief an: »Danke, Liv, ein großartiger Abend.«
In den letzten Jahren von Ingmar Bergmans Leben haben Sie seine Drehbücher verfilmt, zum Beispiel Die Treulosen, eine sehr persönliche Geschichte. War das nicht seltsam?
Es hatte nichts mit uns als Paar zu tun. Aber Die Treulosen beruhte auf einer wahren Begebenheit in Ingmars Leben: Der Mann zweifelt an der Frau, die er liebt, und daran zerbricht die Beziehung. Ingmar hat immer ein Drama draus gemacht: Das sei das Schlimmste, was er einer Frau je angetan habe. Aber weil ich Ingmars Leben ein bisschen kenne, kann ich sagen: Es war bei Weitem nicht das Schlimmste, was er je einer Frau angetan hat.
Nachdem in seinen Filmen die Kinder zwar Thema, aber nie zu sehen waren, spielt das Kind hier eine sehr wichtige Rolle.
Darüber hat sich Ingmar aufgeregt. Und es gab noch ein paar Dinge, mit denen er nicht einverstanden war. Das ging so weit, dass er mir verbieten wollte, mit dem Film nach Cannes zu gehen.
Dabei hätten Sie mit Die Treulosen beinahe die Goldene Palme in Cannes gewonnen.
Ja, beinahe. Das war denkwürdig. Damals habe ich festgestellt, dass ich gar nicht so bescheiden bin, wie ich mich immer eingeschätzt habe. Ich war sicher, dass wir gewinnen oder zumindest Lena Endre den Preis als beste Darstellerin bekommt. Am Abend vorher gab es ein Dinner am Cap d’Antibes, und der Mann, den ich nicht leiden konnte und der die Goldene Palme dann bekam, war auch da.
Der Mann war Lars von Trier. Warum mögen Sie ihn nicht?
Ich kann vor allem den Film Dancer in the Dark nicht leiden. Da sitzt er also am Tisch mir gegenüber, und ich sage zu meiner Nachbarin: Was macht er noch hier? Er muss doch wissen, dass er den Preis nicht kriegt. Er hatte schlechte Kritiken bekommen und wir begeisterte. Er hat gewonnen, mit Dancer in the Dark. Björk wurde beste Darstellerin. Und in meinem Flugzeug zurück saß sein Produzent und feierte.
Ihre Tochter Linn ist heute eine angesehene Schriftstellerin. Wie war ihr Verhältnis zu ihrem Vater?
Besser, als man vermuten würde.
Und wie ist Ihr Verhältnis zu Linn?
Ich liebe Linn, aber ich bin nicht immer ihrer Meinung. Ich habe alles, was in meiner Macht stand, für sie getan. Ihr hat vieles gefehlt, aber sie hat auch vieles gehabt. Zum Beispiel einen sehr berühmten Vater und eine mittelberühmte Mutter. Das fand sie nicht toll. Aber das kann ich nicht ändern. Ich habe mich lange schuldig gefühlt, weil ich Fehler gemacht habe. Das tue ich nicht mehr.
Haben Sie ein gutes Rezept gegen Schuldgefühle?
Nein. Meine eigene Mutter war berufstätig und hat mir keinen Schlüssel gegeben, sodass ich nach der Schule zwei Stunden draußen auf sie warten musste. Egal wie kalt es war, egal ob ich aufs Klo musste. Aber meine Mutter war nicht gemein. Das war ihre Art, ein Problem zu lösen: Es hätte ja etwas passieren können, wenn ich allein im Haus gewesen wäre. Ich kann meiner Mutter das nicht ein Leben lang vorwerfen.
Wenn Sie das so erzählen, denkt man unwillkürlich an Ingmar Bergmans Film Herbstsonate. Das ist kein Zufall, oder?
Da spiele ich die schreckliche Tochter, die ihrer Mutter vorwirft, sie unglücklich gemacht zu haben, weil die Mutter ihrer Kunst gefolgt ist. Das ist bemerkenswert, oder? Dass Ingmar, der keinem seiner Kinder ein guter Vater war und dem die Kunst über alles ging, im Film die Mutter für das Leben der Tochter verantwortlich macht. Das ist mir damals gar nicht aufgefallen, so sehr war ich damit beschäftigt, die Rolle dieser Tochter zu hassen.
Warum haben Sie sie trotzdem gespielt?
Ich wollte sie anders spielen. Ingrid Bergman, die meine Mutter spielte, war derselben Meinung wie ich. Wir wollten das Drehbuch ändern: Ingrid wollte der Tochter eine Ohrfeige geben, anstatt sich bei ihr zu entschuldigen. Aber mit Ingmar war nicht zu reden. Ich bin heute noch wütend auf diese Tochter. Dreißig Jahre später. Jemand, der sich so zum Opfer stilisiert, macht mich wütender als alle Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen.
Ihre Aufregung über mangelnde Gleichberechtigung hat Sie damals zu einer Ikone der Frauenbewegung gemacht. Wo stehen Sie heute?
Ich bin aus dem Alter raus. Es gibt sie natürlich noch, diese Ungerechtigkeiten, auch wenn sie nicht mehr so offensichtlich sind. Aber auch da gilt: Man darf sich nicht zum Opfer machen. Man hat fast immer eine Wahl. Ich finde Frauen, die sich ständig über ihre Partner beklagen, schlimmer als Männer, die nicht verstehen möchten, was es heißt, eine Frau zu sein. Es ist so leicht, sich als Frau zum Opfer zu machen. Aber damit muss man sehr vorsichtig umgehen.
Sie leben mit Ihrem Ex-Mann, Donald Saunders, zusammen. Eine interessante Konstellation.
Ja. Wir sind geschieden und gleichzeitig Mann und Frau. Wir haben seit der Scheidung nicht mehr übers Heiraten geredet.
Es heißt, dass Sie seit Jahrzehnten keinen Alkohol mehr trinken. Warum?
22 oder 23 Jahre sind es jetzt. Ich bin nicht ständig betrunken vom Stuhl gefallen oder so. Aber ich war sehr schüchtern und bin viel herumgereist, überall warteten gesellschaftliche Ereignisse auf mich. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich mit einem Drink in der Hand viel besser gefühlt habe als ohne. Und dass ich es schwer fand, das zweite oder dritte Glas nicht zu trinken. Ich habe Alkohol benutzt und nicht genossen. Ich wusste, wenn ich weitermache, werde ich süchtig. Die Entscheidung war leicht. Ganz selten, wenn ich mich mit meinen Freundinnen treffe und sie Wein trinken, vermisse ich es.
Haben Sie nie gedacht, dass sich Ihr Verhältnis zum Alkohol verändert haben könnte?
Vielleicht. Aber ich habe keine Lust, es drauf ankommen zu lassen. Mein Leben gefällt mir gut so, wie es ist. Das ist es nicht wert.
Fällt es Ihnen heute leichter, Partys und Empfänge zu besuchen?
Ich gehe nicht mehr hin.
(Schwarzweißfoto: dpa)
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