Bei einem Strandspaziergang in Sydney öffnete ich einmal zwei oder drei Muscheln mit dem Hausschlüssel und schlürfte sie aus: Die Austern waren klein und knackig, sie schmeckten süß-salzig und dufteten nach Gurken und frischem Meer. Das Wissen um das saubere Wasser mitten in der Stadt machte den Genuss der Sydney-Felsenaustern zu einer Offenbarung.
Bis dahin hatte ich wenig mit Austern zu tun gehabt: In den Gourmettempeln kreativer Köche, in denen ich das Glück hatte, als junger Koch zu arbeiten, spielt diese Muschelart kaum eine Rolle. Wir alten Europäer essen Austern am liebsten roh; Köche können ihre Schaffenskraft also nicht beweisen. Manchmal gab es Ausnahmen: In einem Restaurant auf Sylt servierten wir pochierte Austern mit Rotweinzwiebeln. In Hamburg füllten wir Ravioli mit den gleichen Sylter Austern, die ich roh ziemlich muffig fand.
Entscheidend für den Geschmack ist die Qualität des Wassers, aus dem sich Austern ernähren, wobei sie jede Stunde bis zu 25 Liter Wasser filtern. Viele Austern werden deshalb in ihren letzten Lebensmonaten an nährstoffreichen Flussmündungen gemästet – dort, wo sich Salz- und Süßwasser mischen. In diesen Regionen heißen die Austernbecken Claires, die Mastaustern Fines de Claires. Ich weiß nicht, was Felsen-austern in Sydney fressen – in den Becken von Marennes an der französischen Atlantikküste etwa fressen sie eine Blaualgenart, die die Muscheln grün färbt und ihnen ein eigenes Aroma gibt.
Auch die Sorte spielt eine Rolle: Als besonders edel gilt die Europäische Auster, ihre berühmtesten Vertreter kommen aus Belon. Sie sind rund, symmetrisch, flach und glatt. Aber schon vor hundert Jahren waren die europäischen Austernbänke überfischt. Ohne Austernzucht gäbe es die Ostrea edulis heute nicht mehr. 1868 kippte ein portugiesisches Schiff eine verdorbene Ladung asiatischer Austern vor Bordeaux ins Meer. Die überlebenden Muscheln vermehrten sich und dominierten als Portugiesische Felsenauster den Markt, bis auch sie vor vierzig Jahren durch Seuchen annähernd ausgerottet wurden. Ersatz kam durch die Pazifische Felsenauster: bauchig, geschuppt oder furchig mit asymmetrischen Formen. Sie stellt den Löwenanteil der 30 Milliarden Austern, die von den Menschen jedes Jahr verzehrt werden. Auch auf Sylt, wo die Europäische Auster im kalten Winter 1921/22 ausstarb, wachsen heute ihre pazifischen Schwestern. AUSTERN ÖFFNEN
Vorsicht, Verletzungsgefahr! – Am sichersten ist die Arbeit mit einem Austernhandschuh. Die Auster mit dem Scharnier zum Körper und mit der flachen Seite nach oben auf den Tisch legen. Ein Küchentuch mehrfach falten und auf die linke Seite der Auster legen, mit der flachen linken Hand fixieren. Mit der rechten Hand einen Austernöffner im oberen Drittel der Auster schräg nach unten geneigt zwischen die Schalen schieben. Sie müssen die richtige Stelle erfühlen, dabei hilft es, das Messer leicht hin und her zu drehen, um so die Schale aufzuhebeln. Ohne Gewalt! Sobald Sie einen Spalt geöffnet haben, den Schließmuskel – der genau an dieser Stelle liegt – durchtrennen, die obere Schale abnehmen. Schalenkrümel entfernen, die Muschel aus der unteren Schale lösen. Schlürfen.