Erst implodiert das Forschungs-U-Boot »Titan« auf dem Weg zum Meeresgrund, dann stößt die russische Raumsonde »Luna 25« mit dem Mond zusammen, den sie untersuchen sollte. Womit haben wir es zu tun? Mit tragischen Rückschlägen bei der allmählichen Unterwerfung des Universums durch den Menschen? Oder einem Zeichen, womöglich einer Warnung, dass wir manche Träume gar nicht erst in Angriff nehmen sollten, solange wir noch nicht mal auf der Erdoberfläche zurechtkommen? Es ist eine philosophische Frage, die andere Kolumnisten in wenigen Zeilen beantworten könnten. Ich kann es nicht. Seien Sie mir also nicht böse, wenn ich mich dem Tiefseetaucher ausschließlich in seiner Funktion als Cocktail nähere und existenzphilosophische Fragen beiseitelasse.
Der Tiefseetaucher ist ein Brett von einem Drink, immerhin muss ein gar nicht so leichter Likör (zusammen mit einigen Spritzern Limettensaft) als Verdünner herhalten, um drei Rumsorten, eine davon hochprozentig, in Schach zu halten. Trinken Sie ihn also unter keinen Umständen als Abrundung eines rauschhaften Abends. Tun Sie es doch, könnte es passieren, dass Ihnen tags darauf Handyvideos zugespielt werden, in denen Sie Dinge tun, die, wenn Sie Glück haben, nur peinlich und nicht strafrechtlich relevant sind.
Und weil sein Erfinder Charles Schumann seine Gäste im Münchner Hofgarten immer noch jeden Tag persönlich bedient (und ausschimpft), bin ich vorbeigeradelt, um ihn zu fragen, wie das 1984 so war, als er sich den Tiefseetaucher ausgedacht hat, zu einer Zeit, als seine Bar noch jung und er Anfang vierzig war, schon damals alles auf einmal, Euphoriker und Melancholiker, Bauernbub und Weltbürger, Handwerker und Schwärmer, der sein Leben lang von einer Bar am Meer träumen sollte, ein paar Tische, ein paar Stühle, ein paar Gäste, die sich vor allem deshalb verstehen, weil sie kaum miteinander reden. Er ist dann doch in München geblieben, was den Vorteil hat, dass er das bayerische Städtchen einen Tick mediterraner gemacht hat, soweit das mit den immer etwas bemüht wirkenden Deutschen möglich war.
Ich höre zu und merke, wie ich wehmütig werde, weil irgendwie alle so ernst geworden sind
»Gut, dass du gekommen bist«, sagt er, den weißen Kittel eng am drahtigen Körper, die nackten Füße in zerschlissenen Lederschuhen, zum Tiefseetaucher müsse man nämlich ein paar Dinge wissen. Zum Beispiel, dass er Teil einer Trilogie ist, also einer von drei Cocktails, deren Namen der Nautik entlehnt seien: Tiefseetaucher, Leichtmatrose, Schwermatrose. Vor allem aber: dass die Welt vor vierzig Jahren eine völlig andere gewesen sei. Kein Internet. Kein Google. Nicht mal Barbücher zum Nachschlagen habe es gegeben, weshalb er dann einfach sein eigenes geschrieben habe (das sich bis heute 500 000 Mal verkauft hat). Okay, ein paar Klassiker habe man schon gekannt, aber meistens habe er rumprobiert, und wenn was gut geschmeckt habe, habe er sich einen Namen ausgedacht, das konnte auch der des eigenen Sohnes und dessen besten Kumpels sein (Arthur & Marvin Special) – dann halt ohne Alkohol. Und so sei eben auch der Tiefseetaucher entstanden, eher spielerisch als geplant, ohne Konzept, ohne Marketing, ohne Hashtag – eine zweckfreie Blödelei.
Ich höre zu und merke, wie ich wehmütig werde, weil irgendwie alle so ernst geworden sind. Und auf einmal spüre ich deutlich, dass mir ein Tiefseetaucher guttun könnte, auch sollte ich ihn wenigstens probiert haben, bevor ich über ihn schreibe. »Machst du mir einen?«, frage ich. »Auf keinen Fall«, sagt er. »Warum nicht?«, frage ich. »Weil der nichts für dich ist«, sagt er. Und ich bin empört, aber auch beglückt, weil: Wo gibt es das denn noch, dass man den Drink, den man bestellt, einfach nicht bekommt, weil der Wirt was dagegen hat?