Aus dem Schmetterling einen Elefanten gemacht

Als unser Kolumnist auf einer Bar-Karte »Schmetterlingsmilch« entdeckt, befürchtet er kurz, das Getränk treibe den Kulturkampf weiter an. Dann realisiert er, dass Schmetterlinge gar keine Milch geben.

Foto: Erli Grünzweil

Eines dieser Sommerfeste. Ich war spät dran, weil ich oft nicht weiß, soll ich oder soll ich lieber nicht, und dann schaue ich halt doch wieder vorbei, weil zu Hause rumliegen kann man ja auch morgen noch. Auf jeden Fall war die Sonne schon glutrot, als ich ankam, und alle waren schon da. Es ist der Moment, in dem man kurz unsicher wird. Überall Gelächter und Grüppchen, man erspäht Leute, mit denen man gern plaudern würde, die aber schon im Gespräch sind, andere wären zu haben, aber die will man irgendwie nicht. Und weil man auf die Schnelle keinen Plan hat, wo man hingehen und wie man dreinschauen soll, könnte man jetzt ein bisschen auf dem Handy rumwischen, aber das finde ich feige, und deswegen stellte ich mich an die Bar und warf einen Blick in die Getränkekarte, was ich eigentlich nie mache, aber wenn ich verlegen bin eben doch, und dann entdeckte ich das Getränk, um das es hier geht, nämlich Schmetterlingsmilch.

Mein erster Gedanke: Bitte nicht noch eine vegane Alternative zu Kuhmilch! Ich weiß doch längst Bescheid, aber Hafermilch schmeckt mir immer noch nicht, und Sojamilch, Haselnussmilch, Kokos- und Mandelmilch irgendwie auch nicht. Ich bin 48, da ­ändert man sich nicht mehr so mir nichts, dir nichts. Für einen Moment war mir, als hörte ich Hubert Aiwanger in einem niederbayerischen Bierzelt vor sich hin granteln: Die Schmetterlingsmilch sei der Beweis, dass die Großkopferten in der Stadt die einfachen Leute auf dem Land nicht mehr verstünden. Die Schmetterlingsmilch sei schuld daran, dass alles so unübersichtlich, so kompliziert geworden sei. Die Schmetterlingsmilch sei für den Aufstieg der AfD mindestens mitverantwortlich. Ganz ­sicher sei sie ein Symbol für die gespaltene Gesellschaft.

Wieder mal ­hatte ich mich reflexhaft zu panischen ­Gedanken hinreißen lassen

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Für einen Moment machte ich mir Sorgen, dass die Schmetterlingsmilch, würde sie sich erst mal von der »Goldenen Bar« in München aus über den gesamten Erdball verbreiten, den Kulturkampf, den angeblich niemand haben will, in den sich aber komischerweise alle mit Elan stürzen, weiter in die ­Länge ziehen könnte. Erst dann las ich das Kleingedruckte und fing überhaupt zu begreifen an, dass Schmetterlinge gar keine Milch geben, weil sie im Gegensatz zu ­Kühen, ­Ziegen, Schafen oder Kamelen keine Säugetiere, sondern Insekten sind. Wieder mal ­hatte ich mich reflexhaft zu panischen ­Gedanken hinreißen lassen, wo es sinnvoller ­gewesen wäre, einen Drink zu bestellen und ein bisschen durch die Gegend zu glotzen. Manchmal nämlich ist die Wirklichkeit gar nicht so schlimm, zumindest nicht so schlimm wie in unseren Köpfen oder wie manche es sich wünschen, um sich in ­ihrem Pessimismus bestätigt zu fühlen oder von der Angst der Menschen zu profitieren.

Die Schmetterlingsmilch ist ein lilafarbener Sommer-­Cocktail. Er besteht aus 80 Millilitern Sake, 20 Millilitern Calpis (ein japanisches Limonadenkonzen­trat auf Milchbasis), 40 Millilitern Mineralwasser, ein paar Spritzern Limette sowie fünf bis ­zehn Millilitern Schmetterlingsblütenblau, im Handel als Butterfly Pea Tea zu bekommen, einem Tee aus Blüten der blaue Klitorie, ­eines sogenannten Schmetterlingsblütlers – deswegen der Name.

Es gibt aber noch eine zweite Erklärung: Angeblich halten sich einige Schmetterlingsarten gern an Milch- oder Sahnetöpfen auf, um gelegentlich einen Schluck daraus zu nehmen. In Süddeutsch­land nannte man sie ­früher Milch- oder Sahnediebe, manche Bauern sahen in ihnen bösartige Hexenwesen, welche die Milch zum Verderben brachten. Wir beginnen zu ahnen, warum Schmetterling auf Holländisch boterflieg und auf Englisch butterfly heißt – Butterfliege, das klingt hübsch und poetisch, ist aber nichts im Vergleich zum Dänischen, da heißen Schmetterlinge nämlich Sommervögel.