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Anpfiff für den Fußballsommer: Felix Jaehn, Herbert Grönemeyer und Mark Forster veröffentlichen gerade die ersten Songs zur EM. Welcher wird sich durchsetzen? Unser Autor sammelt Indizien.

Nein, heute geht es hier mal nicht um Hits. Es geht um Songs, die möglicherweise, wenn alles läuft wie geplant, wenn alle Prognosen stimmen und alle Strategen recht behalten, noch zu Hits werden. Denn ein Fußballturniersommer bricht gerade an, Europameisterschaft. Und Fußballturniersommer bedeuten: Goldgräberstimmung in der Musikindustrie. Wer landet den Fußballhit des Jahres?

Der offizielle Song der Europameisterschaft, das steht schon lange fest, kommt von David Guetta. Klar, Gastgeber ist Frankreich. Der Guetta-Song wird im Mai vorgestellt. Schon jetzt aber treten die ersten inoffiziellen Songs der EM in Erscheinung. Denn, abseits von den Stadien, in denen natürlich Guetta rauf- und runterballern wird, gibt es im Fernsehen und auf den Fanmeilen, in den Halbzeitpausen und beim Autokorso jede Menge Bedarf für noch mehr Fußballlieder. Das ist die Bühne für die inoffiziellen Hits, wie die Sportfreunde Stiller vor zehn Jahren mit »54, ‘74, ‘90, 2006« den wahrscheinlich größten aller Zeiten geliefert haben (er hielt sich über zwei Weltmeisterschaften und wurde nebenbei noch in den Wiesn-Kanon aufgenommen). Und diese Bühne ist gigantisch.

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Vor einer Woche hat also zum Beispiel das ZDF den Song bekannt gegeben, mit dem es in den Wochen des Turniers die TV-Zusammenschnitte des Tages unterlegen wird. Er ist von Mark Forster und heißt »Wir sind groß«. Ein typisch Forster'scher Mutmach-Brei: »Wir fliegen weg, denn wir leben hoch / gewinnen alles und geh'n K.O.« Eine vergleichsweise ruhige Nummer. Was natürlich kein bisschen Zufall, sondern ausgebuffte Strategie ist.

Ein Blick auf die Turnierhits der vergangenen Jahre zeigt nämlich: Erfolgreiche Fußballsongs sind entweder hymnisch-gesetzt oder gleich ganz hysterisch. Entweder im Stil von »Auf uns«, dem Bourani-Schieber von 2014, oder gleich von »Waka Waka«, Shakiras Knaller aus Südafrika 2010. Beides zu vereinen, das Schunkelnationale mit dem Fetensamba, ist äußerst schwierig - Herbert Grönemeyer hat es 2006 versucht, er wollte seine Liedermacher-Gravitas mit flotten Ethno-Refrains verschmelzen - »Zeit, dass sich was dreht« hieß dieser Song, ein Fehlgriff, an den sich zu Recht kaum noch jemand erinnert.

Umso interessanter, dass Grönemeyer es in diesem Jahr mal wieder mit einem Fußballhit versucht. Vor ein paar Tagen hat er seinen EM-Song veröffentlicht, gemeinsam mit dem Platin-DJ Felix Jaehn. Grönemeyer und Jaehn, das ist auf sehr vielen Ebenen clever: Der junge Hitparadenheld und der alte Großkomponist. Der DJ und der Sänger, die Vermählung von Party und Pathos - kann man noch mehr auf Nummer sicher gehen, dass da ein Hit draus werden muss?

Umso erstaunlich ist dann das, was man hört, wenn man den Song mal abspielt. »Jeder für jeden«, so heißt er, ist nämlich weder Tanzkracher noch beschauliches Schunkelstück. Das Lied besteht aus einem typischen Jaehn-Beat, ausgebremster House mit tropischen Versatzstücken - und eben, natürlich, Grönemeyer, der einen klassischen Grönemeyer-Text obendrüber bellt. »Das ist das Beeee-ben. Einer - für - alle - und - alle - eins - mit - dir.« Verständliche Straßenmetaphern, Leben, Mut, Zweifel, alles da, was Grönemeyer seit 40 Jahren macht. Nur wirkt der Song nicht wie ein Feature, sondern wie ein unausgegorener Techno-Remix. Als hätten Jaehn und Grönemeyer nicht gemeinsam einen Song geschrieben, sondern getrennt voneinander das gemacht, was sie eh schon immer machen - und am Ende alles von einem Toningenieur zusammenschmeissen lassen. Gäbe es nicht ein Beweisfoto der beiden auf Facebook - man könnte glauben, die beiden seien sich nie begegnet. »Jeder für sich« statt »jeder für jeden«.

Offenbar hat Grönemeyer aus dem Song von 2006 gelernt, dass er sich nicht zu weit vom eigenen Stil entfernen darf. Lieber mal den Jaehn sein Ding machen lassen, dann werden es die jungen Leute schon feiern. Ob das reicht, um sich im Autokorso durchzusetzen? Im direkten Vergleich ist es jedenfalls kein Wunder, dass sich das ZDF für den vielleicht langweiligen, aber wenigstens klar fokussierten Mark Forster entschieden hat.

Immerhin, in einer Hinsicht machen beide viel richtig, sowohl Team Forster als auch Team Grönemeyer/Jaehn: sie haben keine Triumphsongs produziert. Die beiden Lieder wären also auch nach einem deutschen Vorrunden-Aus notfalls noch ein paar Wochen ertragbar. Strategisch immerhin cleverer als die Sportfreunde, die 2006 noch während des Turniers ihren Refrain umdichten mussten.

 
Erinnert an: Die Wochen vor den Sommerferien - was wird der Sommerhit?
Wer kauft das? Menschen, die sich auch die Weihnachts-Alben der Saison kaufen.
Was den Songs gut tun würde: Vielleicht eine Idee, wie man von Fußball singen kann, ohne ständig von Fahnen und Angst und eigener Größe zu faseln?