Frisch getrennt

Für Anna war es an der Zeit, auf Distanz zu ihrer Mutter zu gehen. Aber nur ein bisschen.

Zuhause: eine Vierzimmerwohnung in Düsseldorf
Schule: Luisen-Gymnasium, Düsseldorf
Eltern: IT-Kaufmann, Sozialarbeiterin
Geschwister: keine
Taschengeld: 56 Euro im Monat, zum Teil aufs Konto
Berufswunsch: Architektin
Lieblingsessen: Feldsalat
Lieblingsstar: Avril Lavigne
Größter Wunsch: eigene WG mit einer Freundin
Sommerferien: drei Wochen Segeln mit der evangelischen Jugend

Das Verhältnis zwischen Anna und ihrer Mutter hat sich in letzter Zeit etwas abgekühlt. Nicht weil irgendwas passiert wäre. Im Großen und Ganzen hat ihre Mutter allen Grund, mit Anna zufrieden zu sein: Sie findet Britney Spears »tussig« und Deutschland sucht den Superstar »voll scheiße«. Sie weiß, dass man in der Schule fit sein muss, um einen vernünftigen Beruf zu finden. Sie hat einen Notenschnitt von zwei und will Architektin werden. Anna wiederum schwärmt von ihrer Mutter: Sie sei so klug, so verständnisvoll und selbstständig und habe trotz ihrer anstrengenden Arbeit als Betreuerin psychisch Kranker immer Zeit für sie. »Irgendwie bin ich schon immer an ihr gehangen.« Als sich ihre Eltern vor acht Jahren erst stritten und dann trennten, »war ich natürlich parteiisch«. Inzwischen leben Vater und Mutter wieder zusammen, was Anna uneingeschränkt freuen würde, wären da nicht diese nervigen Dreiecksbeziehungen: »Sobald es Streit gibt, geht es zwei gegen einen. Aber meine Mutter hält dann auch oft zu mir.«

Trotz ihrer innigen Beziehung sucht Anna zusehends Distanz zu der Mutter. Die Tochter zeigt sich neuerdings nur wenig begeistert, wenn ihre Mutter einfach so ins Zimmer kommt, um die Blumen zu gießen. Und dann auch noch wissen will, mit wem sie gerade telefoniert. Oder wenn sie sich in die blaue Hängematte setzt, um zu plaudern, obwohl Anna ihre Ruhe haben will. Und die Kuschelnummer am Abend, vor einem Jahr noch selbstverständlich, muss Anna nun auch nicht mehr haben.

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Die Abgrenzung bedeutet natürlich Stress: Zum Beispiel hat Anna monatelang überlegt, wie sie es ihrer Mutter schonend beibringt, dass sie morgens lieber allein in die Schule fährt. Ihre Freundinnen sitzen ja auch ohne Aufsicht in der Straßenbahn. Gott sei Dank hat die Mutter das geschluckt. Überzeugungsarbeit war auch nötig, um der Mutter die Erlaubnis abzuringen, hin und wieder bei einer Freundin zu übernachten. Kein Wunder, dass Anna ihre Mutter manchmal als überängstlich empfindet. Bis zu einem gewissen Grad hat sie aber Verständnis, vor allem wenn die Mutter argumentiert, sie wisse aus ihrer täglichen Arbeit, »wie viel Wahnsinn es da draußen in der Welt gibt«. Deshalb akzeptiert Anna auch, dass sie abends um acht zu Hause sein muss. »Meine Freundinnen dürfen ja auch nicht länger«, sagt sie. Noch.

Es gibt andere Situationen, in denen Anna sehr wohl bockig reagiert: Wenn sie nach der dritten Aufforderung ihrer Mutter, doch endlich ihr Zimmer aufzuräumen, nur ein nöliges »Jaaa« von sich gibt, bedeutet das womöglich Hausarrest. Aber wenn die Mutter mal genervt und deshalb kurz angebunden ist, »dann ist das natürlich was ganz anderes«, beklagt sich Anna. Pubertätszicke halt, denkt sich ihre Mutter in solchen Fällen, »erst lacht sie, dann schmollt sie und alles ist dramatisch«.

Besonders dramatisch nimmt Anna alles, was mit ihren Freundinnen zusammenhängt ­ mit Lena, Chrissi, Jenny, Maria, Alicia, Nicki, Steffi. »Neulich war Anna völlig aufgelöst, nur weil Lena und Maria gestritten hatten«, erzählt die Mutter kopfschüttelnd.

Aber was heißt hier »nur«? Die Freundinnen rücken immer mehr in den Mittelpunkt von Annas Leben. Mit ihnen liest sie vor der Schule Yam, weil Bravo peinlich ist, und geht sie nach der Schule ins »Woyton«, ein Café in der Düsseldorfer Innenstadt, oder zu »McDonald's«. Danach Kino, Schwimmen oder Bummeln, bei Esprit oder H & M. Wobei H & M langsam nervt »mit seinem Siebziger-Look, ich will ja nicht rumlaufen wie vor dreißig Jahren«, sagt Anna und ihre Freundinnen sehen das natürlich genauso. Annas Outfit besteht aus Jeans, T-Shirt und schwarzen Turnschuhen. Noch vor kurzem hat sie kaum über Klamotten nachgedacht. Jetzt glaubt sie, dass sie auf der Straße alle anstarren, sobald sie eines dieser T-Shirts trägt, die ihre Mutter für sie gekauft hat. Auch Schminken ist jetzt ein Thema: aber bitte ­ nur Lidschatten. Lippenstift findet Anna problematisch, Puder peinlich. Puder nimmt, wer »ein Pickelproblem hat«. Anna und ihre Freundinnen würden sich nie pudern.

Noch ein Thema, das immer wichtiger wird und das Anna nur mit ihren Freundinnen besprechen kann: Jungs. Sie und ihre Freundinnen seien oft verknallt, erzählt Anna. Aber immer in die Jungs, die schon vergeben sind oder nichts von ihnen wissen wollen. Anna hat zwar noch nie einen Korb gekriegt. Eine Freundin ist aber mal zu einem Jungen gegangen, den Anna ganz toll fand. Sie fragte ihn, ob er auch in Anna verknallt sei. Er hat nein gesagt.

Wie sehr Anna dieses Thema beschäftigt, zeigt schon ein Blick auf das Holzregal in ihrem Zimmer. Es ist gefüllt mit Lektüre aus der Reihe Freche Mädchen ­ freche Bücher. »Die lesen wir alle«, sagt Anna. Die einzelnen Bände tragen die Titel Liebe, Grips & Gänseblümchen, Küsse, Chaos, Feriencamp oder Schule, Frust & große Liebe. Im selben Regal stapeln sich Spiele wie Sagaland, Inkognito und Skill ­ der Kugelspaß für Kinder. Die will Anna demnächst in den Keller verfrachten.

Klar wäre sie lieber älter. 15 vielleicht. Da sind dann die Jungs auch besser. Momentan kann Anna mit den gleichaltrigen Jungs wenig anfangen. Bis vor kurzem hat man noch alles gemeinsam gemacht, bedauert sie. Aber jetzt hört man von denen nur noch doofe Sprüche. Und warum müssen die eigentlich ihre Hosen immer unterm Arsch tragen?

Foto: Konrad R. Müller