SZ-Magazin: Das Wirtschaftswunderland Österreich hat heute halb so viele Arbeitslose wie Deutschland, der österreichische Finanzminister sitzt bei Wetten, dass ..? auf der Couch, die Salzburger Festspiele lassen Bayreuth alt ausschauen. Ist Ihr Heimatland wirklich das bessere Deutschland, wie es in letzter Zeit immer heißt?
Erwin Wurm: Also, was die Salzburger Festspiele angeht: Da war ich zufällig dieses Jahr. Man trifft dort schon auch Österreicher. Aber die Prinzen, Herzöge und Großmagnaten, die dicken Kaliber, die im Rolls-Royce vorfahren, kommen immer noch aus Deutschland.
Es gibt auch zunehmend Österreicher, die ihren Reichtum nicht gerade verstecken. Schon möglich, aber das ist hier alles eine Spur kleiner. Der ORF hat eine Gesellschaftssendung, die heißt Seitenblicke. Da treten Leute auf wie eine gewisse Janine Schiller mit ihren aufgespritzten Lippen, die Mausi vom Baumeister Lugner, ein paar abgehalfterte Skifahrer, der Ex-Fußballer Toni Polster. Abstrus und superjämmerlich.
Kann es sein, dass diese Figuren irgendein Vakuum ausfüllen? In den Zwanzigerjahren kamen bei uns die Sozialisten an die Macht. Da wurde zuerst einmal nivelliert. Intellektuelle, künstlerische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Eliten waren verpönt. Im alten Österreich hingegen waren traditionell nur die gesellschaftlichen Eliten wichtig, das lag naturgemäß in der Monarchie. Man darf nicht vergessen: Österreich war 700 Jahre lang eine Monarchie. Der Kaiser und die Aristokratie gaben schon immer den Lebensstandard vor, den das Großbürgertum kopierte. Und das Kleinbürgertum kopierte das Großbürgertum. Alle hatten den Blick streng in die Vergangenheit gerichtet. Das prägt das Land bis heute. Bildung und Wissenschaft zum Beispiel – zu Zeiten des Kaisers verpönt. Heute haben wir Anton Zeilinger, einen weltberühmten Physiker, oder da waren Sigmund Freud, der Philosoph Wittgenstein, Schönberg, Loos, Gödel und Herzl – alles Österreicher. Aber fragen Sie mal herum, wer die kennt! Der Österreicher ist im Grunde genommen ein sehr ungebildeter Mensch.
Aber Ihr Land versteht sich doch als Kulturnation. Ich weiß: Mozart und die Lipizzaner. Stimmt alles nicht. Für die meisten hier ist der Künstler nur eine schräge Figur. Einer, der irgendwie grundelt. Darunter kommen nur noch die Obdachlosen. Und wenn ein Künstler doch Erfolg hat – batsch! –, steigt er schon in den nächsten Dreck. Ein Scharlatan, heißt es dann, nur am Geld interessiert, aber nicht an ernsthafter Arbeit. Ich will aber nicht nur jammern: Wien ist heute viel dynamischer als vor 15 Jahren. Das liegt vor allem an der jungen Generation, den heute 30- bis 50-Jährigen, die sich hier überall in den öden Stadtvierteln eingemietet und diese verändert und attraktiv gemacht haben – fast ein bisschen wie in New York. Die Kunstszene hat sich sehr bewegt und es gibt heute elf Museen, die Gegenwartskunst zeigen auf einem guten Niveau. So viele finden Sie in keiner deutschen Stadt.
Schwer vorstellbar auch, dass Sie in Deutschland einen Pater finden würden, der Modell steht – mit einem Apfel im Mund. Das war eine Arbeit am Stift Admont. Die haben eine große Kunstsammlung und kaufen immer noch für viel Geld ein, auch Gegenwartskunst. Der Kulturbeauftragte des Stifts fragte, ob ich was über das Kloster machen will. Das hat mich natürlich gereizt, weil das Katholische in Österreich immer noch sehr präsent ist. Die Kirche wird zu allen wichtigen Themen gefragt. Und wenn nicht, sagt sie einfach was. In Admont lernte ich also einen Mönch kennen und erklärte ihm, dass ich gern etwas mit den Attributen aus Kirche und Liturgie machen würde: dem Brot, also dem Leib Christi, oder dem Apfel von der Eva. Und dass ich diese Attribute gern interpretieren würde, um einen modernen Blick auf die Kirche zu werfen. Geheuer war ihm das nicht, aber er hat mitgemacht.
War er mit dem Resultat glücklich? Er hat es gesehen und ist dazu gestanden.
Schrecken die Leute in der Regel nicht eher zurück, wenn sie sehen, was Sie mit ihnen angestellt haben? Ganz selten. Ich gehe ja auch vorsichtig mit ihnen um und mache mich nicht lustig über sie. Natürlich versuche ich, sie so weit zu bringen, dass sie die Hemmschwelle der Peinlichkeit überschreiten. Mich interessiert das einfach: Peinlichkeit ist ja etwas, was jeder kennt und keiner will. Aber wenn man sie akzeptiert und lernt, damit umzugehen, erleichtert es einen.
Trotzdem gibt es nur wenige Künstler, die wie Sie mit Humor arbeiten. Stimmt. Adorno hat mal gesagt, dass Kunst etwas Ernstes ist und sich mit ernsthaften Problemen beschäftigt. Ein Künstler, Philosoph oder Wissenschaftler, der sich für seriös hält, würde nie auf die Idee kommen, sich lachend darzustellen. Aber meiner Meinung nach verwechseln diese Leute Ernst und Ernsthaftigkeit. Und sehen das Lachen nur als etwas Banales, aber nicht als etwas Befreiendes.
Dann stört es Sie auch nicht, wenn die Besucher im Museum stehen und sich vor Ihren Werken schieflachen? Natürlich nicht. Die erste Ebene ist ja der Humor, der lockt die Leute zur Skulptur. Aber mir ist natürlich wichtig, dass sie auch die zweite Ebene sehen. Nehmen Sie zum Beispiel meinen Künstler, der die Welt verschluckt hat, und den Künstler, der die Welt verschluckt hat, als sie noch eine Scheibe war. Das sind zwei Skulpturen, die lustig ausschauen mit ihren ausgebeulten Bäuchen. Aber die Frage dahinter lautet: Können wir der Wissenschaft vertrauen? Und das ist nicht mehr so lustig.
Noch mal zum Thema Peinlichkeit: Wenn das für Ihre Arbeit so wichtig ist, warum arbeiten Sie dann eigentlich nicht mehr mit österreichischen Politikern? Die Tagespolitik ist von einer derartigen Fatalität, damit will ich nichts zu tun haben. Mit dem Arnold Schwarzenegger würde ich gern etwas machen. Und – das ist allerdings kein Politiker – mit Michael Jackson. Mich fasziniert es, wie der sich formal von einem schwarzen Mann in ein weißes, androgynes Wesen verwandelt hat. Das ist Bildhauerei!
Zumindest Ihr Ex-Bundeskanzler Schüssel scheint auch nicht ganz ohne zu sein. Sonst hätten Sie ihn wohl kaum mit einer Hommage bedacht: ein Mann, der zwei Jahre lang mit einer Schüssel über dem Kopf herumläuft. Die Performance entstand in der Zeit, als Schüssel Kanzler wurde. Der Mann mit der Schüssel geht aus dem Haus, weil er seiner Freude Ausdruck geben möchte, dass sich die Welt jetzt endlich zum Guten wendet. Dass er sich als Österreicher mit den Großen der Welt eins fühlen darf: mit Bush, Berlusconi und diesen Leuten. Er ist halt stolz auf seinen Schüssel.
Also hat er doch etwas Komisches, der Schüssel. Logisch, schauen Sie ihn doch an! Wissen Sie eigentlich, dass er vor seiner Zeit als Bundeskanzler immer Mascherl getragen hat?
Sie meinen eine Fliege? Ja, der Mann ist tatsächlich drei oder vier Jahre in der Politik nur mit Mascherl aufgetreten. Die Partei-Stylisten haben sich wohl gesagt: Wir müssen ihm eine Persönlichkeit verschaffen. Und das kriegen wir hin, wenn wir ihm ein Mascherl dranmachen. Das sagt doch schon alles. Als er dann Bundeskanzler wurde – zack! –, war das Mascherl weg. Zuletzt habe ich ihn mit einer Krawatte gesehen: rot-weiß-rot gestreift. Ganz wichtig!
Lustige Geschichte. Schon. Trotzdem darf man natürlich nicht vergessen, dass es Schüssel war, der den Jörg Haider erst salonfähig gemacht hat. Er hat ihn in die Regierung geholt, um überhaupt an die Macht zu kommen – eine unglaubliche Sauerei.
Haben Sie Hoffnung, die von Ihnen angesprochene junge Generation könnte etwas an diesen elenden politischen Verhältnissen ändern? Na ja, es gibt auch in dieser Generation viele, die rechts gewählt haben, erst jetzt im Oktober wieder. Außerdem hat es in Österreich noch nie eine Revolution gegeben. Außer vielleicht 1972.
Wie bitte? Ja, als der Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen ausgeschlossen wurde, weil er einen Werbevertrag hatte. Damals kamen, man glaubt’s kaum, 200 000 Leute auf den Wiener Heldenplatz, um ihrer Empörung Luft zu machen. Das hat die Nation zusammengeschweißt.
Zählen Sie zu den Österreichern, die ganz schlimm unter ihrem Land leiden? Nein, das geht mir zu weit. Es gibt hier viele gute und interessante Leute. Natürlich auch unglaublich viele Dodl, aber die gibt’s eh überall. Wenn ich nach England oder Spanien fahre, fallen mir die halt nur nicht auf. Hier dagegen seh ich sie leider sofort.
Erwin Wurm, 52, lebt in Wien und ist zurzeit der wohl bedeutendste österreichische Künstler. Er bezeichnet sich selbst als Bildhauer. Im Gegensatz zu den meisten seiner Berufskollegen versteht er unter einer Skulptur keineswegs »eine festgelegte Form, an der nicht mehr zu rütteln ist«. Das zeigt sich etwa an seinen »Ein-Minuten-Skulpturen«, für die sich Modelle oder Museumsbesucher – nach Anweisung des Künstlers – Bleistifte in die Nase oder Gurken zwischen die Zehen stecken und für kurze Zeit selbst zur Skulptur werden. Momentan sind seine Werke im Museum Moderner Kunst in Wien zu sehen, im Jahr 2007 u. a. in den Hamburger Deichtorhallen und im Kunstmuseum Sankt Gallen.