Ich muss gestehen, ich hab das mit Marshall McLuhan jetzt erst so richtig kapiert. Im multimedialen Zeitalter. Eine Zeit lang, es ist ewig her, geisterte dieser Satz des Kommunikationstheoretikers durch die Seminare: The Medium is the Message. Joah, dachte man da, witzig. Der Witz ging so: Unterhalten sich zwei Indianer über ein Tal hinweg per Rauchzeichen. Es gibt einen Atomtest und ein Atompilz wölbt sich über der Prärie und da bedeutet der eine Indianer dem anderen, per Rauchzeichen: Junge, Junge, ich wünschte, ich hätte das gesagt!
Das Medium ist die Message, die Botschaft ist jetzt endlich auch in meinem Alltag angekommen. Wenn ich den Ton vom Medium Facebook-Messenger höre, kann ich mit nahezu 83-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Message von meiner Freundin A. kommt. Die mit mir mittagessen gehen will. Es könnte auch eine Message von einem alten Freund aus Übersee sein, aber der schreibt mir nicht vormittags, weil es da bei ihm noch Nacht ist. Sonst benutzt kaum einer meiner Kontakte dieses Medium, um mir eine Botschaft zukommen zu lassen.
Wenn ich den Ton von WhatsApp höre, ist es entweder meine Freundin C. oder meine Freundin N.. Nur sie versuchen, mich darüber zu verständigen. Ich weiß, bevor ich die Message gelesen habe, dass es jetzt ums Joggen geht (mit C.) oder um einen Cappuccino am Donnerstagnachmittag, denn nur dann hat N. alle paar Monate mal Zeit. Ich muss nicht mal draufgucken, auf den Text. Ich weiß es auch so.
Das Pling einer SMS kommt fast immer von dem Mann an meiner Seite, meistens sind das Einkaufslisten, und da ich ihn kenne, weiß ich, ohne draufschauen zu müssen: Ich soll noch Magerquark, Milch und Obst mitbringen.
Meine Kinder schreiben mir nie Messages, aber ein Medium zur Kommunikation haben sie schon: Der Sound, den eine Anfrage bei der Familienfreigabe von Itunes macht, lässt mich - ich sitze beispielsweise beim nicht enden wollenden Elternabend im Glauben, die Kinder schliefen längst - wissen: Der Kleine hält mich für bescheuert, er denkt, wenn er die Anfrage für das Herunterladen einer Daddel-App schickt, schnalle ich nicht, dass er noch gar nicht schläft? Ts. Wenn ich also den Sound spät abends höre, gehe ich ohne Umschweife in die Luft.
Gerade erfahre ich - durch eine Push-Nachricht: Breaking News? -, dass es einen neuen Messenger geben soll, von Google: Allo. Allo, allo! Ich werde meinem französischen Freund vorschlagen, dies Medium für unsere Kommunikation zu nutzen.
Medien können einen verraten. Ohne dass man die Message kennen muss. Die Form ist wichtiger als der Inhalt. Mein Kleiner ist beispielsweise der einzige Mensch, der mit mir alle Jubeljahre über den hochkomplex verschlüsselten Messenger Threema kommuniziert. Weil WhatsApp nicht auf seinem Ipod funktioniert und wir damals, als WhatsApp mit all unseren Daten von Facebook geschluckt wurde, aus Protest zu Threema wechselten. Leider waren wir die einzigen. Obwohl ich gern mit allen verschlüsselt kommunizieren würde. Und zwar in einem einzigen Medium. Dann würde ich auf den Empfangs-Ton hin aufspringen und voller Spannung zum Über-Medium Smartphone hechten, mich fragend: Wer will da wohl mit mir kommunizieren? Und mir was mitteilen? Vielleicht sogar was Wichtiges?
Aber die Zeiten sind vorbei, als es nur ein Medium gab oder zwei oder drei. Nur zwei Personen versuchen immer wieder, mich über das gute alte Festnetztelefon zu erreichen. Wenn es klingelt, in der Regel Sonntagmorgens, ist es hundertpro meine Schwiegermutter. Dann weiß ich: Das wird jetzt ein anregendes Gespräch übers Wetter. Oder, zu jeder anderen Zeit als Sonntagmorgens: dann ist es meine Mutter. Das Festnetztelefonklingeln unter der Woche versetzt mich umgehend in Panik, meine Eltern sind nicht mehr die Allerjüngsten. Ring ring, es könnte was wirklich Wichtiges passiert sein.
Wenn wir eine Postkarte bekommen, muss ich nicht mal die Kitschmaus vorne drauf betrachten, sofort weiß ich: Ach, einer meiner Jungs hat Geburtstag! Deswegen schreibt die Großtante ein Kärtchen. Würde ich jemals ein Telegramm erhalten, umgehend wäre mir klar: Das kann nur von einem Indianerhäuptling sein. Botschaft aus einer vergangenen Zeit.
Für all jene, die nun versucht sind, mich zu bemitleiden, weil ich so wenige Freunde habe, also quasi so viele wie Medien: Keine Sorge. Ich überzeichne mal wieder. Und: Es gibt ja auch noch Mails. Ich habe fünf Accounts!
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