Evi Mittermaier-Brundobler
Evi Mittermaier-Brundobler, geboren 1953, gewann als Skirennläuferin zwei Weltcuprennen und wurde im Abfahrtslauf 1976 Deutsche Meisterin. Sie ist die jüngere Schwester der Doppel-Olympiasiegerin Rosi Mittermaier.
»Als Rosi 1976 die Goldmedaille im Abfahrtsrennen in Innsbruck gewann, hatte sie die Startnummer neun. Ich die elf. Kurz vor meinem Start kam unser Trainer Klaus Mayr zu mir und sagte: ›Rosi hat die Bestzeit.‹ Dadurch war ich total aufgewühlt und konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich machte Fehler und wurde Dreizehnte, obwohl ich erst wenige Wochen davor als erste Deutsche das Weltcup-Abfahrtsrennen in Cortina d’Ampezzo gewonnen hatte. Rosi beendete ihre Karriere nach den Olympiasiegen. Ich fuhr weiter. Auf Werbeveranstaltungen hieß es oft: ›Mensch, super, du bist nett, aber deine Schwester wäre uns lieber.‹ Da stand ich drüber. Heidi, die Älteste von uns dreien, Rosi und ich, wir waren alle Skirennläuferinnen, und auch wenn Rosis Erfolg erst mal alles überstrahlte, waren wir zu Hause alle gleich. Als ich 1981 aufhörte, fiel mir das sehr schwer. Ich war 28 und hatte mich gerade von einer meiner vielen Verletzungen erholt, einem Kreuzbandriss. Dann lernte ich meinen Mann kennen, das machte den Abschied leichter. Ich habe ziemlich gut gesungen, hatte aber nicht den Mut, mich am Mozarteum in Salzburg zu bewerben. Ich war für meine Kinder da. Noch heute fahre ich für mein Leben gern Ski, bin ehrenamtliche Expertin für Sicherheit und technische Delegierte beim internationalen Skiverband FIS, bin im Vorstand des Ski-Clubs Bergen. Und Präsidentin des Golfclubs Reit im Winkl. Und ich singe jetzt im Chor. Singen macht glücklich.«
Protokoll: Jennifer Lichnau
Arabella Kiesbauer
Kiesbauer, geboren 1969, moderierte von 1994 bis 2004 die Nachmittags-Talkshow »Arabella« auf Pro 7. Sie lebt in Wien.
»Meine prägendste Erinnerung: 1997, ich war 28, wurde Franz Fuchs festgenommen, der Attentäter, der auch mir eine Briefbombe geschickt, aber meine Assistentin verletzt hatte. Anfeindungen wegen meiner Hautfarbe war ich gewohnt, ich wurde beschimpft, bekam Hassmails oder Gewehrkugeln in einem Brief. Aber ein Attentatsversuch war eine andere Dimension. Deshalb spürte ich pure Erleichterung, als ich von seiner Festnahme erfuhr. Grundsätzlich aber war ich in dieser Zeit froh und unbeschwert, obwohl ich quasi Tag und Nacht im Studio stand, um meine Talkshows aufzuzeichnen. Als ich 29 war, starb meine geliebte Großmutter, die vielleicht größte Zäsur. Seither teile ich mein Leben in ein Davor und ein Danach. Die Unbeschwertheit war vorbei.«
Protokoll: Susanne Schneider
Silvana Koch-Mehrin
Die Präsidentin und Gründerin von Women Political Leaders, einem weltweiten Netz von Frauen in politischen Führungspositionen, ist seit 2014 nicht mehr in der Politik. Sie ist heute 50 Jahre alt und lebt in Brüssel.
»1999 kam ich in den Bundesvorstand der FDP und hatte kaum Vorstellungen davon, welchen Vorurteilen Frauen begegnen, die sich um Führungspositionen bewerben. Alle Fehler, die ich machte, bezog ich auf mich persönlich und dachte, das gehe nur mir so. Ich verstand erst viel später, dass das ein gesellschaftliches Problem ist mit zähem, klebrigem Fundament. Inzwischen gibt es klare Daten, die zeigen: Grundgesetz-Gleichberechtigung und Realität klaffen auseinander, nicht nur in der FDP. Damals bestand die FDP vor allem aus Männern über 55, heute sind es immer noch überwiegend Männer, nur etwas jünger. Als ich 28 war, gab es in der Partei keine Frau meines Alters, die ich um Rat fragen konnte, wie die ungeschriebenen Regeln aussehen. Hielt ich eine Rede, lobten mich Männer dafür, dass sie logisch und strukturiert war. Und ich dachte mir, während sie meine Schulter tätschelten: Guck mal, Silvana ist 28 und kann schon reden. Frauen in der Politik wurden selten ernst genommen. Eine Standardfrage an mich war, wie ich gedenke, mal meine Karriere mit der Familie zu vereinbaren. Meine Überzeugung ist: Es gibt keine Frauenthemen, jedes Thema ist ein Frauenthema, ein Männerthema, ein Gesellschaftsthema. Wenn Fragen wie Familie und Beruf nur auf Frauen abgeladen werden, ändert sich nichts.«
Protokoll: Susanne Schneider
Sanyal ist promovierte Kulturwissenschaftlerin sowie Journalistin und Schriftstellerin. Sie wurde mit ihren Sachbüchern über die »Vulva« (2009) und »Vergewaltigung« (2016) bekannt. Dieses Jahr erschien ihr erster Roman, »Identitti«. Am 21. September wurde sie 50, an dem Tag, an dem die Shortlist für den Deutschen Buchpreis veröffentlicht wurde. Ihr Roman steht drauf.
SZ-Magazin: Was dachten Sie, als die Anfrage kam, ein Gespräch über Ihre Zeit als 28-Jährige zu führen?
Mithu Sanyal: Ich habe an den Club derjenigen gedacht, die mit 28 schon tot waren. Und wie es ist, wenn man doch erwachsen wird. Mit 28 konnte ich zum ersten Mal von meinem Schreiben leben, ich wusste, ich bin Journalistin – ich fing damals übrigens an, den Roman zu schreiben, der jetzt im Frühjahr erschienen ist. Und ich hatte die unglücklichste Beziehung meines Lebens.
Waren Sie eher eine fröhliche oder eine traurige 28-Jährige?
Vieles war ganz toll, aber ich war nicht in der Lage, das so zu genießen. Ich bin jetzt viel glücklicher und fühle mich deutlich mehr in der Welt aufgehoben.
Hatten Sie Ängste?
Meine Selbstwahrnehmung ist, dass ich massiv von Ängsten geplagt war. Wenn ich mir angucke, was ich alles gemacht habe, kann es so schlimm nicht gewesen sein. Aber ja, es gab Existenzängste und die Frage, habe ich ein Recht, hier zu sein? Literarisch war das ähnlich. Ich hatte schon sehr früh mein Thema gefunden, aber ich stand mit der Nase davor und konnte es nicht wirklich erfassen, weil es in Deutschland keine breiten Debatten über race gab. Ich habe wie durch eine Nebelwand geschrieben. Für postmigrantische Literatur war der deutsche Buchmarkt damals nicht bereit.
Wie würden Sie Ihr Thema im Rückblick benennen?
In meinem Roman geht es um being mixed-race. Dafür gibt es heute noch kein deutsches Wort und damals erst recht nicht. Mit 28 habe ich mich daher hauptsächlich mit Sexismus auseinandergesetzt. Das sind ja alles strukturelle Diskriminierungsformen, und ich brauchte einen Rahmen, in dem es diese Auseinandersetzungen schon gab, also im Feminismus respektive Antisexismus.
War race Ihr Thema aufgrund Ihrer eigenen Lebenserfahrung?
Ich war schon früh sehr beeindruckt von der britischen postmigrantischen Literatur, so wollte ich auch schreiben. Hanif Kureishi, Der Buddha aus der Vorstadt, und Meera Syal, Anita and Me und Life isn’t all ha ha hee hee, waren Schlüsseltexte für mich. Und später natürlich auch Zadie Smith. Ich habe Germanistik studiert, mich aber in der damaligen deutschsprachigen Literatur nie wiedergefunden. Ich bin mit 15 mit meinem damaligen Freund nach London getrampt, wir sind ausgestiegen, und es war das erste Mal, dass ich ins Stadtbild gepasst habe. Eine körperlich beeindruckende Erfahrung.
Obwohl Sie aus Nordrhein-Westfalen sind, das ist ziemlich multikulti.
Und dafür bin ich dankbar. Ich bin in Oberbilk zur Schule gegangen, das ist der multikulturellste Stadtteil Düsseldorfs, aber die meisten anderen Kinder hatten zwei Eltern aus irgendwo, aus der Türkei oder aus Italien. Und ich war mixed race. Außerdem gibt es in Deutschland wenige Inderinnen und Inder, in Großbritannien sind wir die größte Minderheit, in London gibt es Straßenschilder auf Bengali.
Ihr Vater ist Inder, Ihre Mutter war polnischer Abstammung. Haben IhreEltern Ihr Anderssein thematisiert ?
Ja. Als ich in den Kindergarten kam, sagte meine Mutter zu mir, der ist gut, da gibt es viele braune Kinder. Wir haben ewig lange im sozialen Wohnungsbau gelebt, obwohl mein Vater, der Ingenieur ist, genug verdiente. Er wurde zwar schlechter bezahlt als seine Kollegen, weil er Inder war, trotzdem hätte er eine andere Wohnung bezahlen können, aber an meine Eltern wurde nicht vermietet. Meine Eltern haben sich einander unterlegen gefühlt, meine Mutter als Frau und Arbeiterkind und mein Vater als Ausländer. Meine Mutter hat sich in der Initiative der mit Ausländern verheirateten Frauen Anfang der Siebzigerjahre dafür eingesetzt, dass sie ihre Staatsbürgerschaft an mich vererben durfte. Vorher bekamen nur Kinder von deutschen Vätern die deutsche Staatsbürgerschaft. Meine Mutter tat das nicht nur aus feministischen Gründen, sondern auch aus Angst, dass die Männer mit den Kindern zurück nach Hause gehen und sie ihre Kinder nie wiedersehen, das war die Propaganda, damit die deutschen Frauen keine Ausländer heirateten. Viel von dem Feminismus, mit dem ich großgeworden bin, richtete sich gegen das Patriarchat der fremden Männer. Das war für mich eine Zerreißprobe. Später war es eine Erleichterung zu sehen, dass Feminismus auch Antirassismus sein kann.
Interview: Gabriela Herpell
Serap Güler
Güler, 41, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, zog im September über die CDU-Landesliste in den Bundestag ein.
»2008 war ich seit einem Jahr mit der Uni fertig, lebte in Düsseldorf und begann, in der Politik zu arbeiten. Ein Jahr später bin ich in die CDU eingetreten, es war – so sage ich es immer – mein Praktikumsjahr, in dem ich beweisen musste, was ich einbringen kann, aber auch bewiesen haben wollte, dass Politik was kann. Schon nach dem Abitur wollte ich unbedingt arbeiten, mit den Händen, nicht weiter in Bücher gucken. Ich machte eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Meine Eltern fanden das nicht toll. Dreckige Arbeit, sagten sie dazu. Mein Vater war Bergmann, seit er nach Deutschland gekommen war, er wusste also, wovon er redet. Sie wollten mich an der Uni sehen. Dort landete ich später auch – als Erste in der Familie. Nach wenigen Wochen Ausbildung merkte ich, wie hart und undankbar diese Arbeit ist, aber gerade weil meine Eltern mich gewarnt hatten, machte ich die Ausbildung fertig. Ich habe einiges über Menschen gelernt, vor allem über die piekfeinen, die an der Rezeption auf höflich machen, aber ihr Zimmer als Schlachtfeld hinterlassen. Noch jahrelang habe ich bei Hotelbesuchen am Abreisetag mein Bett selbst abgezogen und alles fürs Housekeeping vorbereitet. Danach studierte ich in Duisburg-Essen. Ich schrieb meine Magisterarbeit über Integration aus politischer und medialer Sicht, das führte mich in die Politik. Auch privat wurden Weichen gestellt: 2008 habe ich meinen Mann kennengelernt. Ein Partner ist wichtig für eine politische Karriere. Er muss das mittragen, wenn man vorhat, in den Bundestag einzuziehen, und 22 Wochen im Jahr nicht zu Hause ist. Das tut er.«
Protokoll: Lara Fritzsche
Dolores Schendel
Die US-Immunologin, Jahrgang 1947, gilt als eine der bedeutendsten Expertinnen für Krebstherapie. Sie arbeitete ab 1978 an der Uni München, gründete später ein eigenes Unternehmen und erhielt 2002 das Bundesverdienstkreuz.
SZ-Magazin Mit 28 hatten Sie gerade Ihren Doktor in Genetik gemacht. Was war das für eine Zeit in Ihrem Leben?
Dolores Schendel: Ich fühlte mich großartig, die Universität in Wisconsin war hervorragend, ich bekam Anerkennung in der internationalen Gemeinschaft. Bei der Arbeit mit dem Immunsystem von Mäusen hatte ich eine schreckliche Allergie gegen Mäuse entwickelt, sodass ich zu menschlichen Zellen übergehen musste – was mich letztlich dahin brachte, wo ich heute bin.
Das klingt so reibungslos. Hatten Sie als Forscherin auch mit Widerständen zu kämpfen?
Das kam erst später, an der Universität in München. Ich bewarb mich auf höhere Positionen, und das war für Frauen nicht leicht. Dass ich überhaupt eine der ersten beiden Direktorinnen eines Helmholtz-Instituts wurde, lag wohl daran, dass ich Amerikanerin war. Vermutlich war ich einfach hemdsärmeliger. Oder wenn Sie so wollen: aggressiver. Heute hat das Institut mehr als 30 Prozent, vielleicht sogar 40 Prozent weibliche Führungskräfte.
Warum war das damals so?
Wissenschaft spiegelt immer auch die Gesellschaft. Natürlich. Deutschland ist sehr hierarchisch. Da hat man einen Institutsleiter und lauter Gruppenleiter und sonstige Leiter – aber nur derjenige, der an der Spitze steht, ist wirklich mächtig und trifft alle Entscheidungen.
Nach all diesen Erfahrungen als Studentin, Forscherin und Chefin – welchen Rat geben Sie heute Studierenden und jungen Mitarbeiternund Mitarbeiterinnen?
Auch wenn es für Sie jetzt vielleicht wieder etwas amerikanisch klingen mag, würde ich sagen: Du musst nicht alles bis ins letzte Detail planen – aber du musst wissen, wo du hinwillst.
Interview: Max Fellmann
Gisela Schneeberger
Foto: privat
Die heute 73-jährige Schauspielerin war »Maria Magdalena« und die Elli in »Monaco Franze«. Fernsehgeschichte schrieb sie als kongeniale Partnerin von Gerhard Polt.
SZ-Magazin: Frau Schneeberger, welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrem 28. Lebensjahr?
Gisela Schneeberger: Meine Zeit in Berlin. 1975, als ich 27 war, kam ich ans Schillertheater. Leider bekam ich meist nur kleine Rollen. Deshalb habe ich nach drei Jahren gekündigt. Ich war neidisch auf die großen Rollen, das war nicht gut für meine Seele.
Was waren mit 28 Ihre Träume?
Ich habe das Leben auf mich zukommen lassen. Ich hatte eben auch Glück, die richtigen Menschen getroffen zu haben. Mein Schauspiellehrer Jochen Striebeck hatte mich dem Franz Xaver Kroetz für seine Maria Magdalena empfohlen. Und Gerhard Polt kennenzulernen war sicher eine Weichenstellung, für uns beide. Ich kannte ihn über meinen Mann Hanns Christian. Die beiden sind zusammen groß geworden, mein Mann im Vorderhaus, der Gerhard im Hinterhaus. Einmal sollten mein Mann und ich mit Helmut Brasch, einem Freund und Schauspieler, in der »Kleinen Freiheit« einen Abend machen. Das war eine Kellerbühne, wo Boulevardtheater gespielt wurde. Jochen Busse sollte auch mitmachen, hatte aber keine Zeit. Ich habe dann vorgeschlagen, doch den Gerhard zu fragen, weil er immer so lustig war, wenn er am Tisch erzählte.
Also haben Sie ihn entdeckt.
Ja, das sagt auch der Gerhard. An dem Abend hat er total abgesahnt, er war der Star des Abends. Er stand so naiv und unverstellt auf der Bühne. Das Arbeiten mit ihm war ganz anders, als ich es dann am Schillertheater erlebt habe. Als wir später Fast wia im richtigen Leben gedreht haben, gab es keine Konkurrenzgedanken. Wir waren beide offen für Vorschläge des anderen. Jeder durfte seinen Senf dazugeben und hat sich gefreut, wenn der andere noch besser wurde. Vom Menschlichen her waren das meine tollsten Jahre.
War Ihnen Ihr Weg schon damals klar?
Ich wollte schon Schauspielerin werden, als ich im Gymnasium in der Theatergruppe war. Das war das einzige Fach, in dem ich fleißig war. Vor allem fand ich es verlockend, dass man am Theater erst um zehn Uhr das Proben anfängt.
Wie war Ihr Leben im Berlin der Siebzigerjahre?
Wir wohnten in einer düsteren Genossenschaftswohnung im Erdgeschoss in Steglitz. Die Mieten waren billig, das Straßenbild heruntergekommen. Am Wannsee lag man wie Sardinen, überall haben die Hunde hingemacht. Wir sind oft über die Zonengrenze zum Müggelsee. Abends dann ins »Ganymed« zum Essen, vorbei an den Schlangen der Ossis, weil wir Wessis dank unserer Westmark natürlich bevorzugt wurden. Ich verstehe gut, warum die so einen Groll auf uns Wessis hatten. Nach der Arbeit waren wir oft in unserer Theaterkneipe, die anderen zogen danach weiter in den »Zwiebelfisch« am Savignyplatz, den gibt es heute noch. Ich wusste, da versumpfe ich. Ich hatte mit 18 mal eine Alkoholvergiftung gehabt, da hing ich drei Tage lang über der Kloschüssel. Seitdem trinke ich maximal ein Glas Wein.
Was haben Sie von Ihren Berlin-Jahren mitgenommen?
Dass ich nie wieder fest in einem Ensemble sein will. Das Fremdbestimmtsein ist nicht meins.
Die Siebzigerjahre waren eine Zeit der Politisierung. Die 68er-Revolte hallte noch nach.
Wir waren auf jeder Demo. Man debattierte darüber, ob man RAF-Terroristen bei sich übernachten lassen würde, wenn sie vor der Tür stünden. Ich war damals der Meinung, ja – das sehe ich mit dem heutigen Wissen anders.
Was hielten Sie von Alice Schwarzer und der aufkommenden Frauenbewegung?
Ich gestehe, ich habe nie die Emma gekauft, obwohl ich ihre Agenda richtig fand. Vielleicht lag es daran, dass ich mir nie was gefallen ließ. Unser autoritärer Vater hat später gesagt: Die Gisela war die Widerspenstigste! Schreiende Regisseure kamen bei mir nicht weit, die haben gespürt, dass mir das wenig anhaben kann.
Wie blicken Sie heute auf die Person, die Sie mit 28 waren?
Sie hat mehr Selbstsicherheit vorgespielt, als da war. Was ich Leuten für Predigten gehalten habe, wie man gut lebt! Ich bin froh, dass ich diese Hybris nicht mehr habe. Im Nachhinein muss ich selbstkritisch sagen: Wir sind bei allem mitgelaufen, was sich gegen das Establishment richtete.
Gibt es Züge an Ihnen, die Ihnen verlorengegangen sind? Die Sie sich zurückwünschen?
Neugierig bin ich nach wie vor, aber als älterer Mensch kennt man die Mechanismen des Lebens. Mit 28 dachte ich, ich will wo leben, wo immer Sommer ist, heute werde ich melancholisch, wenn wieder einer vorbei ist. Und man denkt zwangsläufig öfter an den Tod. Ich beneide Menschen, die sagen, ich möchte am liebsten tot umfallen. Ich würde gerne vorher noch meine Schubladen aufräumen.
Interview: Thomas Bärnthaler
Yaa Gyasi
Foto: Basso Cannarsa/Opale/Leemage/laif
Als die ghanaisch-amerikanische Schriftstellerin 27 wurde, erschien ihr Debütroman »Heimkehren«. Ein Jahr später war er ein Weltbestseller und sie ein Star. Nun erscheint ihr zweites Buch.
SZ-Magazin: Die Protagonistin in Ihrem neuen Buch Ein erhabenes Königreich ist 28 Jahre alt. Was interessiert Sie an diesem Alter?
Yaa Gyasi: Das war anfangs eher eine mathematische Entscheidung, ich wollte, dass sie promoviert. Außerdem war ich selbst in dem Alter, als ich mit dem Buch anfing. Ich wollte über eine Frau schreiben, die in ähnlichen Umständen und an einem ähnlichen Punkt in ihrem Leben ist wie ich.
Wie würden Sie diese Umstände beschreiben?
Die späten Zwanziger sind wie ein Scharnier, viele stehen zu diesem Zeitpunkt vor wichtigen Entscheidungen. Unter meinen Bekannten gab es damals dieses Gefühl, die Fersen entweder tiefer in ihren bisherigen Lebensweg eingraben zu müssen oder in eine ganz andere Richtung zu marschieren. Ich glaube, ich war in dem Alter auf sieben Hochzeiten.
Welches Gefühl kommt bei Ihnen hoch, wenn Sie an diese Zeit denken?
Müdigkeit. Ich war wahnsinnig viel unterwegs.
Konnten Sie den Erfolg nicht genießen?
Das erste eigene Buch zu schreiben ist wie Schreiben im Dunkeln. Man kann nie wissen, ob es je das Tageslicht sehen wird. Dass Heimkehren dann so im Scheinwerferlicht stand, war überwältigend. Gleichzeitig war ich überfordert. Wenn man so will, hatte ich mein ganzes vorheriges Leben an diesem ersten Buch gearbeitet, mich schon immer mit den Themen beschäftigt, die darin vorkommen, Sklaverei, Rassismus. Als das Buch endlich fertig war, fühlte es sich an, als wäre ich beraubt worden.
Das Buch erschien 2016, während des Wahlkampfes von Donald Trump gegen Hillary Clinton. Wie hat Sie das beeinflusst?
Es war seltsam dissonant. Während ich einen persönlichen Erfolg erlebte, wurden die Welt und die Zukunft dieses Landes immer unsicherer. Diese Angst wirkte sich auch auf die Gespräche über mein Buch aus. Mir wurden sehr viele Fragen über Politik gestellt.
Aber es war doch ein politisches Buch.
Natürlich, aber ich war nicht davon ausgegangen, dass es so auf die gegenwärtige politische Situation bezogen würde. Als ich anfing zu schreiben, dachte ich zwar über die historischen Konsequenzen des Handels mit versklavten Menschen nach und darüber, was Schwarzsein vor diesem Hintergrund in den USA bedeutet, aber damals gab es noch nicht einmal Black Lives Matter. Mir hat das gezeigt, dass wir nie so weit von der gewaltvollen Geschichte entfernt sind, wie wir glauben wollen. Es ist deprimierend, darüber nachzudenken, dass mein Buch immer relevant sein wird.
Sie zeichnen in Heimkehren das Leben zweier ghanaischer Schwestern und ihrer Nachkommen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart der USA nach. Hatten Sie keine Angst, als junge Person über Ältere zu schreiben?
Um so ein ambitioniertes Projekt umzusetzen, braucht es etwas Hybris. Die hatte ich. Damals fühlte sich die Welt auf eine Weise weit an, wie sie es heute nicht mehr tut. Zudem wird das Jungsein in den USA ziemlich privilegiert, davon habe ich profitiert.
Ihr neues Buch handelt von Gifty, einer Doktorandin, die das Suchtverhalten von Mäusen erforscht und ihre Mutter pflegt. War das Schreiben anders?
Ich fühle mich sicherer. Es gibt nicht mehr so viele erste Male. Die erste Rezension, das erste Interview, das erste Mal im Fernsehen, das alles habe ich hinter mir.Interview: Simon Sales Prado
Ulrike Folkerts
Foto: actionpress
Als sie 28 war, lief ihr erster Ludwigshafen-»Tatort«, es folgten andere Figuren, aber die Hauptkommissarin Lena Odenthal bleibt ihre Lebensrolle.
»1989 war für mich ein doppelter Neustart, durch den Mauerfall und privat. Durch das Angebot, mit 28 die Kommissarin Lena Odenthal zu spielen, konnte ich ein unglückliches Theater-Engagement beenden und nach Berlin ziehen – in die Stadt, in der ich immer leben wollte, seit ich als Dorfkind mit 14 erstmals hier war. Ich habe in Berlin-Kladow ein Gartenhäuschen gemietet, dort konnte ich im Glienicker See schwimmen, durch den die Grenze verlief. Der Tatort›Die Neue‹ war direkt ein Erfolg: Eine junge Ermittlerin in Lederjacke, die gut Auto fahren und schießen kann, kam an. Trotzdem habe ich noch in einer Lesben-Bar gekellnert. Auch wenn ich in Berlin freier leben konnte, hatte ich immer Sorge, dass die Presse mich outet. Am 28. Oktober 1989 lief mein Tatort, zwölf Tage später fiel die Mauer, man konnte in Kladow durch ein Loch rüberklettern. Es gab im Osten tolle alte Häuser – und böse Blicke, wenn ich die Hand meiner Freundin hielt. 32 Jahre später immer noch Lena Odenthal zu spielen hätte ich 1989 erschreckend gefunden, heute bin ich froh, eine der wenigen Rollen zu haben, mit denen man als Frau im Fernsehen altern darf.«Protokoll: Marc Baumann
Annette Humpe
Foto: Fryderyk Gabowicz/Picture Alliance
SZ-Magazin: In welchem Alter kamen Sie auf die Idee, Musikerin zu werden?
Annette Humpe: Als Kind hätte ich mich nie getraut, mir so etwas vom Schicksal zu wünschen. Meine Eltern hatten eine Konditorei, wir lebten in der Provinz, und ich bekam zwar Klavierunterricht, seit ich sechs war, aber der Gedanke, eines Tages ernsthaft Musik zu machen und davon leben zu können, war ganz weit weg.
Wie begabt waren Sie am Klavier?
Ich konnte etwas, was mein Klavierlehrer nicht konnte, nämlich nach Gehör spielen. Wenn ein Schlager oder ein Beatles-Lied im Radio lief, hatte ich ruckizucki die Melodie und wusste, welche Akkorde ich drunterlegen muss. Ich habe damals schon Songs geschrieben, zum Beispiel für Familienfeste. Immer wenn ich Klavier spielte oder mit meiner Schwester zusammen sang, guckten uns meine Eltern mit einer Liebe an, mit der wir sonst nicht angeschaut wurden. Die ganze Familie stand mit leuchtenden Augen um uns rum – inzwischen glaube ich, dass da bereits der Grundstein für später gelegt wurde. Aber einen Plan hatte ich nicht, auch weil die Vorbilder fehlten.
Sie meinen, dass es damals in der Popmusik keine namhaften Pianistinnen gab.
Ja, nur Sängerinnen, die vorne standen und Lieder sangen, die die Bandmänner für sie geschrieben hatten. Dass das nichts für mich ist, war mir ganz früh klar. Ich hatte aber keine Ahnung, wie man sonst ins Musikgeschäft reinkommt, und habe mir zum Beispiel überlegt, jemanden wie Udo Jürgens zu heiraten. Nicht weil ich den toll fand – ich stellte mir vor, dass ich den ganzen Tag in unserem Heimstudio Songs für ihn schreiben könnte, und wenn er abends nach Hause kommt, spiele ich ihm die vor.
Stattdessen haben Sie ab 1971 in Köln Musik studiert.
Ja, auf Lehramt. Ich hatte anfangs noch dieses Sicherheitsdenken und dachte, ich werde eines Tages vielleicht Studienrätin für Musik und Deutsch.
Was hat Ihnen das Studium gebracht?
Was ich konnte, nämlich Improvisieren, hat da niemanden interessiert. Das Studium war aber gut für mein Selbstbewusstsein. Ich habe später oft mit Männern zusammengespielt, die versucht haben, den Ton anzugeben und alles zu dominieren. Ich war aber harmonisch einfach besser als die und brauchte mir von niemandem was erzählen zu lassen.
1974 brachen Sie Ihr Studium ab und gingen nach Berlin. Warum?
Ich wollte nicht mehr Kontrapunkt und Dirigieren lernen, sondern in Bands spielen. Und ich wollte das nicht in der Provinz tun. Ich war bereit, Opfer zu bringen und zu kellnern, um irgendwann erfolgreich Popmusik zu machen. Das war das Ziel.
Wie lief es in Berlin?
Super! Ich habe dort gelernt, unabhängig zu leben und zu arbeiten. Keinem vorgefertigten Weg zu folgen, sondern meinen eigenen Weg zu finden. Ich habe zweimal die Woche gekellnert, da habe ich 400 Mark verdient. Mein WG-Zimmer kostete 180 Mark im Monat, ich bin nicht essen gegangen, die Klamotten kamen vom Trödler, ich kam gut klar. Und ich habe in diversen Bands gespielt, ganz viel gelernt und so nach und nach, auch dank einer USA-Reise, meinen eigenen Stil gefunden.
Was ist auf dieser Reise passiert?
1978 bin ich mit einer Freundin nach San Francisco geflogen. Wir haben einen alten Chevrolet gekauft und sind zwei Monate lang durchs Land gefahren. Ich habe auf dieser Reise Konzerte von Devo, Blondie und den Talking Heads gesehen, als die in Europa noch gar nicht so präsent waren. Ich merkte, da geht ein neuer Spirit durch die Musik, und kam mit dem Gedanken zurück, so was Ähnliches hier in Deutschland zu machen.
Am 28. Oktober 1978 sind Sie 28 geworden, danach ging alles recht schnell.
Ja, der Plan ging auf, und all das, was ich in den Jahren zuvor ausgesät hatte, trug auf einmal Früchte.
Mit Ihrer Schwester Inga gründeten Sie die New-Wave-Band Neonbabies, die in Berlin schnell Furore machte. Bald darauf hatten Sie großen Erfolg mit Ideal.
Ich habe oft beobachtet, auch bei mir selbst, dass man mit 28, 29 noch mal einen großen Entwicklungsschritt macht. Der Blick wird schärfer, Blockaden verschwinden, man lässt sich nichts mehr gefallen und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Türen öffnen sich, und es kommen einem Gedanken, die vorher nicht da waren. Ich habe mal gelesen, dass sich das Gehirn in diesem Alter noch mal weiterentwickelt, dass sich da die Synapsen schließen oder so was. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber dass sich in dieser Zeit eine Menge klärt, beobachte ich jetzt wieder an meinem Sohn, der gerade 29 geworden ist.
Würden Sie sagen, dass der relativ lange Anlauf eine Voraussetzung für Ihren Erfolg war?
Ich denke schon. Weil ich schon einiges hinter mir hatte, konnte ich auch besser mit dem Erfolg umgehen. Ich wusste so viel übers Scheitern, dass ich nicht dachte, ich bin jetzt die Königin, bloß weil Ideal auf Platz eins standen und ich auf vielen Titelbildern zu sehen war. Ich bin cool geblieben.
Warum war nach drei Jahren schon Schluss mit Ideal?
Aus der sogenannten Neuen Deutschen Welle war schnell die Luft raus, und in der Band sind wir uns auch gegenseitig auf den Wecker gegangen. Aber das war nicht schlimm, da ich Ideal eher als mein Sprungbrett gesehen habe. Jetzt geht es bei mir richtig los, dachte ich. Jetzt stehe ich nicht mehr selbst auf der Bühne, sondern schreibe und produziere Hits für andere. Das zweite Album von Ideal hatte ja der berühmte Conny Plank produziert. Ich habe den im Studio genau beobachtet und mir gedacht, das versuche ich auch. Gleich nach Ideal habe ich mit meiner Schwester und zwei Österreichern eine Comedy-Platte unter dem Namen DÖF gemacht. Ich wusste, jetzt habe ich meinen Fuß in der Tür. Und den nehme ich nicht mehr raus.Interview: Johannes Waechter
Anke Domscheit-Berg
Foto: privat
Mit 28 fing Anke Domscheit-Berg, heute 53, Publizistin und Netzaktivistin, als Unternehmensberaterin bei Accenture an, später wechselte sie zu McKinsey. Politisch stand sie immer links, ging von den Grünen zu den Piraten und gehört jetzt der Linkspartei an.
»Für mich war es ein Sechser im Lotto, einen Arbeitsvertrag bei einer angesehenen Firma zu bekommen. Ich glaube, das war auch eine Folge der Wende. Wir hatten alle Existenzangst. Ich hatte in der DDR Textilkunst studiert. Meine Mutter war als Kunstwissenschaftlerin für den Bereich Frankfurt/Oder zuständig. Sie packte ihre beiden Töchter immer hinten ins Auto, fuhr in den Oderbruch und besuchte Künstler. Ich fand faszinierend, wie die auf Bauernhöfen und wilden Grundstücken lebten und völlig unbehelligt waren von allem. Mein Studium war nach der Wende natürlich überflüssig. Eines Tages rief eine Freundin meiner Mutter an, die in den Fünfzigerjahren in den Westen ausgewandert war. Ich klagte ihr mein Leid: Hier sind alle arbeitslos! Sie sagte, komm, in Hessen liegt die Arbeitslosigkeit bei drei Prozent. Am nächsten Tag habe ich meine Koffer gepackt und bald in Frankfurt bei Ameropa-Reisen angefangen. Drei Jahre sparte ich, um noch mal zu studieren. Beim Arbeitsamt fragte ich, womit man auf jeden Fall einen Job bekommt: ›Mit BWL-Abschluss.‹ Ich habe in drei Jahren den Bachelor für International Business Administration in Bad Homburg und den Master of European Business Administration in Newcastle absolviert. Am Ende des Studiums ging es mir gesundheitlich sehr schlecht. Ich habe manchmal grünes Zeug gekotzt und wog noch 47 Kilo. Mir tat es richtig weh, in der Badewanne zu liegen, so stachen die Knochen raus. Mir war das damals nicht bewusst, aber es lag wohl am Leistungsdruck. Ich dachte oft, ich werde zu alt für den Arbeitsmarkt oder arbeitslos. In der DDR hatten viele in dem Alter zwei Kinder und waren geschieden. Kaum war mein Studium vorbei, der Abschluss in der Tasche, der Arbeitsvertrag bei Accenture unterschrieben, konnte ich endlich wieder essen, ohne dass mir übel wurde. Ich hatte mich bei einer Unternehmensberatung beworben. Mir wurde erklärt, es sei im Prinzip eine Art Zeitarbeitsfirma,›aber der Job hat ein super Prestige und ist gut bezahlt‹. Das Konzept Zeitarbeit verstand ich als Ossi nach der Wende gut. Ich wollte das als Übergang machen, aber die abwechslungsreiche Projektarbeit gefiel mir. So blieb ich elf Jahre lang Unternehmensberaterin, bevor ich zu Microsoft wechselte und mich dann als Publizistin selbstständig machte.« Protokoll: Gabriela Herpell