Mein Sohn sagt, im Grunde seines Herzens sei er ein Knüller. Weil er aber weiß, dass sein Vater das nicht gutheißt, wandelt er sich an Weihnachten und Geburtstagen unter dessen Augen vom Saulus zum Paulus, macht das Papier, in das seine Geschenke eingewickelt sind, so vorsichtig auf, als läge die Blaue Mauritius drin und nicht ein neuer Anzünder für seinen Gasherd. Anschließend streift er das Papier glatt, legt es, Achtsamkeit vortäuschend, Kante auf Kante. So, als ob er es wiederverwenden wollte. Er macht das ziemlich gut, nur ein wesentlicher Teil fehlt in den Augen seines Vaters: das schöne Papier zu loben, bevor er vorsichtig öffnet. Dass das geglättete Papier später wirklich noch mal benutzt wurde, habe ich stets zu verhindern gewusst und es in einem unbeobachteten Moment weggeschmissen. Protest gab es nie. Es geht also ums Prinzip. Und immer, wenn es »ums Prinzip« geht, wird es schwierig – in diesem Fall besonders dann, wenn der Glätter dem Knüller das Gefühl gibt, moralisch überlegen zu sein.
Mein Sohn sitzt zwischen allen Stühlen: In meiner Familie sind alle Knüller, in der meines Mannes alle Glätter. So haben wir das gelernt, bis heute ist niemand ausgebrochen aus der Tradition. Als Knüller unter Glättern macht man sich keine Freunde. Soll es mich wundern, dass in der Familie meines Mannes jeder rostige Fingerhut aufbewahrt wird, auch wenn er auf Nimmerwiedersehen im Keller verschwindet, und in meiner Familie alles weggeworfen wird? Ich sehe da einen Zusammenhang, auch wenn der noch nicht wissenschaftlich untersucht wurde.
Das romantische Getue um die Schönheit des Papiers fand ich immer kitschig
Jahrelang hatte ich versucht, eine besonnene Papierglätterin zu werden. Erstens, weil ich kein Kind mehr bin, dem alle das schnelle Aufreißen verzeihen, zweitens, weil mir immer wieder nahegebracht wurde, wie viel Mühe sich der Schenkende mit dem Einpacken doch gemacht habe (mit dem Hinweis, wie fabrikmäßig Bücher zu Weihnachten oft schon in der Buchhandlung eingewickelt werden, konnte ich nie landen), und drittens, weil ich sofort eingeknickt bin bei dem Hinweis, welche Verschwendung mit Papier und Umweltressourcen getrieben wird: Mehr als zwei Milliarden Euro geben Deutsche pro Jahr für Geschenkverpackungen aus, allein nach Weihnachten werden geschätzt 8000 Tonnen davon weggeschmissen.
Es hat viele Jahre gedauert, aber ich habe mich emanzipiert. Das romantische Getue um die Schönheit des Papiers fand ich immer kitschig. Und geglaubt, dass ich zum Team der Glätter gehöre, hat mir doch ohnehin niemand. Inzwischen traue ich mich, vor deren Augen das Papier schnurstracks aufzureißen. Auf der Haben-Seite kann ich nun verbuchen, dass ich mich nicht mehr verstellen muss. Und: dass ich dem Schenkenden das gute Gefühl gebe, es kaum erwarten zu können, sein Geschenk zu sehen, statt minutenlang Rücksicht auf das Papier zu nehmen, bevor ich zum Inhalt, um den es eigentlich geht, vordringe.
Auf der Soll-Seite jedoch bleiben viele Fragen offen: Verwenden Glätter ihr Papier wirklich wieder – oder tun sie nur so? Falls sie es wiederverwenden, wie verhielte ich mich selbst, bekäme ich ein Geschenk, eingewickelt in Papier, das sichtbar schon mal benutzt wurde? Ich fürchte, ich fände es schrecklich, hielte den Schenkenden obendrein für einen Geizhals, zudem übertrüge ich – wie ich mich kenne – das schlechte Gefühl automatisch vom Papier aufs Geschenk und wäre sicher, er hätte es irgendwo abgestaubt, Hauptsache billig. Wäre es aber andererseits nicht unglaublich sinnvoll, Geschenkpapier so oft wiederzuverwenden, wie es geht, zur Not sogar aufzubügeln, um die Abfallmassen wenigstens zum Teil einzudämmen? Die Antwort darauf kann nur lauten: Ja!
Immerhin, die Zukunft könnte auf meiner Seite sein. Der Trend geht stark in die Richtung, Geschenke statt in Papier in Stoff zu wickeln. Das ist nicht nur nachhaltiger, weil man Stoff wiederverwenden kann, es erspart einem auch die Peinlichkeit, Reste von Klebestreifen auf einem wiederverwendeten Papier zu finden.
Gut, dass es noch ein paar Tage bis Weihnachten sind, denn ob mein Hirn mein Herz besiegt, kann ich im Moment nicht sagen.