Rauch und davon

Unsere Autorin ist eine versteckte Raucherin. Sie vermutet: so wie viele andere Frauen auch. Wer sie ist, will sie nicht sagen. Aber die Geheimnis­tuerei kann sie erklären.

Wenn Sie das lesen, sind wir längst über alle Berge. Haben mit Mundwasser gespült, uns mit Parfum umnebelt, die restlichen Zigaretten weggeworfen. Soll uns einer mal nachweisen, dass wir heimlich geraucht haben, als wir diesen Text schrieben! Falls Sie aber kürzlich jemandem zugehört haben, der besonders klug und leidenschaftlich über die Schädlichkeit des Nikotins dozierte, könnte es eine von uns gewesen sein. Wir sind ja nicht blöd.

Unsere Namen tun nichts zur Sache. Nennen Sie uns einfach Eve und Lucky S. Unsere Familien und die meisten Freunde dürfen nichts von unserem Geheimnis erfahren. Wir beide kannten uns zwar, wussten aber jahrelang nicht, dass die andere ebenfalls heimlich raucht – so ausgefeilt war unsere Tarnung. Dann kam diese laue Sommernacht, wir saßen im Gartenlokal mit Freunden, an verschiedenen Tischen, nickten uns beiläufig zu, Weißweinschorle und Gin Tonic in größeren Mengen. Kurz vor Mitternacht dann dieser magische ­Moment, den alle Heimlichraucherinnen kennen. Die Luft war rein, die Stimmung gut, als jede von uns beiläufig in die Runde sagte: »Bin gleich wieder da.«

Wir erwischten uns gegenseitig hinter diesem Bauzaun. Eve, na ja, mit einer »Eve« in der Hand und ich mit einer ­»Lucky Strike«.
»Was, du?«
»Ja, und du?«
»Sag bloß nichts!«
»Und du auch nicht!«
»Logo.«

Meistgelesen diese Woche:

Die anfängliche Scham wich Erleichterung, komplizenhaftes Gaunertum folgte. Nun hatten wir eine Schwester im Geiste. Und wurden schnell beste Freundinnen – wenigstens für drei Zigarettenlängen. Zwei mehr als geplant. Ohne einen Blick in die Handtasche der anderen zu werfen, wussten wir: Es befinden sich darin Mundspray, Kleiderspray, Handwaschgel, alles in Handgepäcksgröße, dazu Parfumpröbchen, aus Zeitschriften gerissen. Unsere Männer und Kinder dürften nie etwas von unserem Geheimnis merken.

»Rauchen eigentlich nur Frauen heimlich?«, fragte meine neue beste Freundin Eve. Wir kamen schnell auf Laura, Judith, Anne, Carolin und Sybille, die ebenfalls heimlich rauchen. »Sybille auch?«, fragte Eve ungläubig. »Ich habe neulich eine Schachtel aus ihrer Handtasche blitzen sehen«, sagte ich. »Anfängerfehler!«

»Warum rauchst du heimlich?«, fragte mich Eve. »Vielleicht weil ich Lust habe, irgendetwas Verbotenes zu tun«, sagte ich.
»Und gelegentliches Rauchen ist das Wildeste, was ich mir noch zugestehe. Kiffen, klauen, den Eltern vorgaukeln, man würde bei einer Freundin übernachten, den Freund betrügen – macht man ja alles nicht mehr. Und den Kindern muss man ein Vorbild sein. Das ist alles richtig, aber eben auch ein bisschen langweilig.«

Nun folgten absurde Geschichten, wie sie viele heimlich rauchende Frauen einander beim Rauchen erzählen: »Ich kenne eine, die wegen ihrer Tochter heimlich raucht«, erzählte Eve. »Bis ihr eine Freundin erzählte, dass die Tochter ebenfalls heimlich raucht – wegen der Mutter. Trotzdem rauchen beide heimlich weiter. Sie wissen, dass nach einem lauten Streit, der einem Bekenntnis folgen würde, die Zigaretten nur so aus der Schachtel flutschen würden.« Und das wollen beide nicht: richtige Raucherinnen sein, offensichtlich süchtig sein, als Person mit schwa­chem Willen gelten.

Ich schob gleich die Geschichte einer Schauspielerin nach, die ich persönlich kenne, die Eltern leben im Dorf, sie in der Stadt, sie raucht nie vor ihnen. Dann aber hatte ein Stück Premiere, in dem sie aus dramaturgischen Gründen zwei Zigaretten rauchen musste. Die Eltern der Schauspielerin saßen im Publikum. Nun hätte sie ihnen guten Gewissens sagen können, die Regisseurin wollte es so. Trotzdem hätten die Eltern an der Selbstverständlichkeit, wie sie ihre Zigaretten anzündete, vielleicht gemerkt, dass hier ein Profi am Werk war. Sie griff zu einem Trick: Stümperhaft saugte sie an ihrer Zigarette, die sie scheinbar hilflos ganz vorn zwischen zwei Finger klemmte, und blies stakkatohaft den Rauch auf die Bühne, ohne zu inhalieren. Die in Wahrheit rauchende Schauspielerin spielte also eine Frau, die nicht raucht. Das konnte jeder Raucher sehen.

Noch eine: »Ich war mal auf einer Geburtstagsfeier«, sagte Eve. »Da treffe ich vor der Tür eine Frau, die ›Ah, endlich!‹ sagt, als sie den ersten Zug nimmt. ­›Warum rauchst du heimlich, dein Freund raucht doch auch?‹, frage ich. Sagt die Frau: ­›Wegen meinem Papa.‹ Frage ich: ›Ist der da?‹ Sie: ›Nein.‹« Eve verstand sie sofort, auch sie will unter keinen Umständen mehr zu den Rauchern gehören.

Was die Frauen gemeinsam haben, bis auf die Schauspielerin vielleicht: Sie waren alle mal bekennende Raucherinnen und haben fast immer aus den gleichen Gründen aufgehört wie ich – als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Mein Mann schmiss aus Solidarität ebenfalls seine ­Zigaretten weg. Vier Jahre lang habe ich gar nicht geraucht, dann mal eine, ein paar Wochen später zwei. Und jetzt ab und zu im Sommer, draußen. Funktioniert seit Jahren, nur muss man ein paar Regeln einhalten: Die Wohnung bleibt rauchfreie Zone, die Kinder dürfen einen nie mit Zigarette sehen, der Mann und Nichtraucher-Freunde auch nicht. Der Winter ist, was das betrifft, eine harte Zeit. »Aber ich kann und will nicht wieder offiziell anfangen«, sagte ich. »Dann würde ich nämlich viel mehr rauchen.« – »Schmeckt halt so gut«, meinte Eve und fragte: »Bist du sicher, dass dein Mann nicht auch heimlich raucht?« – »Ja. Ganz sicher«, sagte ich. »Männer können nicht so gut lügen. Jedenfalls nicht in kleinen Dingen. Die fliegen unterhalb ihres Radars. Darum sind sie ungeübt darin, ­wegen so etwas zu schwindeln. Ich als heimliche Raucherin würde sofort merken, wenn mein Mann heimlich rauchen würde. Wenn, dann würde er einfach ­offen rauchen.«

Die Evolutionsbiologie will heraus­gefunden haben, dass Männer sich schon vor Jahrtausenden vor allem für die äußere Attraktivität von Frauen interessiert haben, Frauen dagegen für ökonomisch erfolgreiche Männer. Beide Interessen ergänzten einander, weil sie der Vermehrung und dem Erhalt der Sippe dienten. Verließ ein Mann seine Familie, weil die Frau ihn zum Beispiel mit einem anderen betrogen hatte, waren die Konsequenzen für sie und ihre Kinder drastisch – der Ernährer war weg. Für den Mann war das Risiko weitaus geringer. Also – meint die Evolutionsbiologie – musste die Frau geschickter sein im Betrügen.

Komm, schnell noch eine letzte. Par­fumwolke, Mundwasser. Zurück zum Tisch, natürlich getrennt. Und dann sind wir wieder Nichtraucherinnen.