Manchmal sind sie Ausdruck innerer Dämonen, manchmal freundliche Gefährten, manchmal auch Märchenfiguren – was aber alle Puppen eint: Zum Leben erwachen sie erst in den Händen derjenigen, die sie erfunden, modelliert, bemalt und bekleidet haben. In den Händen, mit den Stimmen, unter der Kontrolle ihrer jugendlichen Schöpferinnen und Schöpfer. In Shatila, einem der ältesten Geflüchtetenlager der Welt, 1949 für Palästinenserinnen und Palästinenser am Rande von Beirut im Libanon errichtet, sind die Jugendlichen des »One Hand Puppet Theatre« mittlerweile Stars. »Sie werden im Camp als Künstler gefeiert«, erzählt Abed AlAziz Aidy, Gründer und Leiter des Projekts, der als junger Mann in den Neunzigerjahren selbst aus Syrien nach Deutschland floh und seit fünf Jahren die Theaterkompanie unter dem Dach der Hilfsorganisation Najda Now International im Shatila Camp führt.
Per Videoanruf führt er durch die Räume, Schreibtische an der Wand, ein großer Arbeitstisch in der Mitte, in der Ecke der Werkstatt trocknen modellierte Puppengesichter in Ton, Studiobühne, Gruppenräume. Hasan, Dima, Omar winken im Vorbeigehen schüchtern in die Kamera. Für viele von ihnen ist das Puppentheater weit mehr als ein Zeitvertreib, vor allem für viele der syrischen Jugendlichen, die in Shatila nicht zur Schule gehen können. Sie kommen stattdessen morgens um zehn Uhr zu Aidy und seinem Team und finden bis 17 Uhr Fürsorge, Kritik, werden bekocht, besuchen Theater-, Tanz- oder Belichtungskurse, gestalten ihre Puppen oder erarbeiten gemeinsam neue Charaktere und Stücke. »Eigentlich sind wir eine Kunstakademie«, sagt Aidy. Nur eben in einer der ärmsten Gegenden Beiruts.
Ayman Mohammed (16) aus Aleppo und seit fünf Jahren im Ensemble, mit Professor Brilliant, der ein »super-duper schnelles Flugzeug« erfunden hat.
Ghazal Al Mahmoud (16) aus Idlib in Syrien ist die Erfinderin von Salma, einer Frau, die zwei Herzen in ihrer Brust trägt.
Die 14-jährige Bayan Fattouh aus der syrischen Hauptstadt Damaskus mit dem Alien Papapa, der vom All aus stets begeistert auf die Erde blickte.
Rund fünfzig Jugendliche kommen regelmäßig in die Kurse, je nach Stück sind mal vier, mal 25 von ihnen fest im Ensemble, die Plätze sind begehrt – einige Ehemalige haben schon Rollen in Fernsehserien ergattert. Gerade dreht Aidy mit dem »One Hand Puppet Theatre« einen Kurzfilm, Titel: Don’t Kill.
Die Puppe Yamen, der Intellektuelle, von Hasan Al Haji (15) aus Deir ez-Zor in Syrien, sollte es eigentlich besser wissen, aber wenn etwas Gutes zu essen vor ihm steht, kann er nicht widerstehen.
Omar Bakeer (16) stammt aus Hama, Syrien, und ist seit fünf Jahren dabei. Seine Puppe heißt Abu Abdo. Sie stellt einen Künstler dar, der sich selbst Picasso nennt und aufgrund der Pandemie gerade Schwierigkeiten hat, Modelle zu finden.
Das nächste Stück soll sich mit dem Thema Flucht beschäftigen. Denn: »Wer vor dem Tod flieht, lässt sich von nichts aufhalten, nur vom Tod selbst«, sagt Aidy. Es sind Erfahrungen, die viele der Jugendlichen selbst gemacht haben. Davon zu erzählen, sei für viele erst schmerzhaft, sagt Aidy – dann lassen sie ihre Puppen sprechen.
Die zwei Herzen, die in Salmas Brust schlagen, sind das einer unterdrückten und das einer freien Frau.
Hussein Al Hasan aus Al-Raqqa in Syrien. Seine Puppe steht für das Element Erde und ist eine der Hauptfiguren der nächsten Produktion.