Aminah und Scott mit ihrer Tochter Laila. Aus Scotts Spenden wurden insgesamt sechs Kinder gezeugt. Zu den anderen fünf hat er keinen Kontakt.
Das Erste, was Aminah an Scott gefällt, ist seine makellose Gesundheit. Vor allem seine Gene scheinen in Ordnung zu sein, so versteht Aminah das Schreiben der Kinderwunschklinik, das im Juli 2011 vor ihr liegt. In Scotts Familie, heißt es, sind bisher keine Erbkrankheiten aufgetreten. Auch seine Haarfarbe, seine Größe und sein Beruf sind vermerkt: blond, 1,78 Meter, Rinderzüchter. Aber diese Daten interessieren sie nicht – Aminah, 42 Jahre alt, Marketingspezialistin, Single, will nur endlich ein gesundes Kind.
»Natürlich war unser erster Kontakt nicht besonders romantisch«, sagt sie heute. Sie suchte damals eine Samenspende, Scott war ein anonymer Spender. Seinen Namen erfuhr sie erst später. Ihre gemeinsame Geschichte aber sollte auf eine Weise enden, dass sie in Hollywood davon gehört haben. Einige Regisseure hätten wegen der Rechte nachgefragt, erzählt Aminah. »Es ist verrückt!«
2004 wird Aminah zum ersten Mal schwanger. Sie lebt zu dieser Zeit in London und arbeitet für eine Werbeagentur. Ihre große Liebe heißt Jake, sie sind seit einem Jahr verheiratet. Am 18. Mai wird Marlon geboren, »aber er war ganz blau und schlaff«, sagt Aminah. Die Ärzte wissen nicht, warum. Sie beatmen das Baby künstlich, weil es nicht genug Kraft hat, dies allein zu tun. Nach 14 Wochen stirbt Marlon. Sein Tod belastet die Beziehung zwischen Aminah und Jake. Ende 2006 trennen sie sich, und Aminah kehrt nach Melbourne zurück, Australien, wo sie aufgewachsen ist und wo ihre Mutter lebt.
Ein Jahr später, im Januar 2008, verliebt sie sich in Simon und ist kurz darauf wieder schwanger, diesmal ungeplant. Von Monat zu Monat wird sie nervöser, weil ihr Sohn sich im Mutterleib nicht so bewegt, wie er soll. Er wirkt kraftlos. Als er am 31. Oktober 2008 auf die Welt kommt, ist auch er blau und schlaff. Aminah denkt: Es muss an mir liegen – ich gebe den Jungs etwas mit, was sie krank macht.
Diesmal erkennen die Ärzte eine X-chromosomal rezessive myotubuläre Myopathie, eine sehr seltene vererbte Muskelkrankheit: Im Mutterleib reifen die Muskeln der Kinder nicht richtig, und nach der Geburt sind diese oft zu schwach, den Kopf zu heben oder auch nur zu atmen. Die meisten Kinder sterben in den ersten Monaten. Betroffen sind nur Jungen, weil der Gendefekt auf dem X-Chromosom sitzt. Jungen haben nur ein X-Chromosom, Mädchen zwei, sie können den Defekt ausgleichen. Die Ärzte sagen Aminah, dass etwa einer von 50 000 geborenen Jungen an dieser Muskelreifestörung erkrankt. Louis, so heißt ihr zweiter Sohn, wird 14 Monate alt.
Nur eineinhalb Jahre nach seinem Tod, im Juli 2011, entscheidet sich Aminah, es ein letztes Mal zu versuchen. »Ich war eine Mutter ohne Kind«, sagt sie, »das wollte ich nicht sein.«
Die Beziehung mit Simon ist auseinandergegangen, also meldet sich Aminah bei einer Kinderwunschklinik, die Samenspenden vermittelt. Sie wird zum dritten Mal schwanger, und als der Arzt ihr nach zwölf Wochen mitteilt, dass es ein Mädchen wird, löst sich ihre Anspannung langsam. Am 14. August 2012 wird Leila geboren, vollkommen gesund, und Aminah denkt: Mensch, ist die blond.
Aminah hat dunkle Locken und einen dunklen Teint, ihr Vater stammt aus der Karibik. Aminahs Eltern haben sich in den Sechzigern in London kennengelernt, aber kurz nach Aminahs Geburt getrennt. Aminahs Mutter zog nach Australien zurück, Aminah hatte wenig Kontakt zu ihrem Vater. Damit es Leila anders ergeht, schreibt sie eine Mail an den anonymen Samenspender, die von der Klinik weitergeleitet wird.
Scott, damals 41 Jahre alt, freut sich über die Nachricht. Er hat selbst vier Kinder, drei Jungen, ein Mädchen. Für die Samenspende hatte er sich eher zufällig entschieden: Eine Klinik hatte ihn angerufen und gefragt, ob er sich das nicht vorstellen könne – warum gerade ihn, weiß er bis heute nicht.
Fürs erste Treffen fahren Aminah und Leila zu ihm aufs Land, 130 Kilometer von Melbourne entfernt. Von seinem Haus aus blicken sie auf den Pazifik. Scott zeigt ihnen die Rinderställe, seine Tochter spielt mit Leila. Zum Abschied sagt er, dass er Leila gern regelmäßig sehen würde. Aminah ist begeistert. Sie treffen sich bald wöchentlich. Beide sind zu dieser Zeit Single.
Nach vier Monaten, sie sind gerade auf dem Weg zu Scotts Haus, bleiben sie in einem Stau stecken. Die Straße ist gesperrt. Sie entscheiden sich, umzudrehen und zu einem Pub zu fahren. Später wollen sie bei einem von Scotts Freunden übernachten, der ganz in der Nähe wohnt. An diesem Abend küssen sie sich zum ersten Mal.
»Ich nenne es nicht Happy End«, sagt Aminah, »weil meine beiden Söhne ja noch immer tot sind. Aber es ist ein Neubeginn.« An Weihnachten wollen die beiden heiraten.
Foto: Tobias Titz