Der Tod in Paderborn - Ein Besuch beim Bestatter

Mutprobe Nr. 8: Ein Journalisten-Schüler beim Bestatter.

Das Thema unseres Männerheftes kommt von der Henri-Nannen-Schule, der Journalistenschule des Gruner+Jahr-Verlags, des Spiegel und der Zeit. Bei deren jüngstem Auswahlverfahren mussten die Bewerber auch eine Reportage schreiben - und eines der Themen hieß: "Was ich an einem Ort erlebte, den zu besuchen ich mich bisher nicht getraut hatte". Von knapp 2000 Bewerbern gelangten schließlich 20 an die Schule, darunter die vier Autoren der folgenden Texte. Sie alle hatten zuvor nur wenige Reportage geschrieben.

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Das Tor zum Totenreich liegt eingeklemmt zwischen einem China-Restaurant und einer Hot-Dog Bar. Leute bummeln an den milchigen Fensterscheiben vorbei, nichtsahnend. Drinnen sitzt Herr Voss in seinem Büro und wartet. „Sie haben also noch nie eine Leiche gesehen", sagt er lächelnd, „dann wird es ja höchste Zeit." In Filmen kommen Bestatter schlecht weg: Sie sind hagere Männer, Geier im Sonntagsanzug. Herr Voss ist ganz anders. Der Seniorchef ist kein Charon und schon gar kein Cerberus. Er sieht gemütlich aus, wie ein Busfahrer im Ruhestand. Sein fliederfarbenes Hemd spannt über der grauen Hose. „Seit 1895 sind wir im Geschäft", sagt er zur Begrüßung, und der Stolz des ehrlichen Handwerkers leuchtet ihm aus den wässrigen Augen.

Man merkt schnell: Herr Voss spricht gern über das Geschäft. Leichen und Tod kommen dabei nicht vor; alles dreht sich um „Trauerdrucksachen", „Vorsorgeberatung" und „Kostentransparenz". Der Tod ist nur ein Haufen Formulare. Wie er zu dem Job gekommen sei? Er sei „da hinein geboren worden," seine Familie habe schon seit Jahrzehnten Särge gemacht. Wenn er „Sarg" sagt, klingt das so alltäglich wie „Bett".

Und dann wird seine Stimme doch ernst. Den ersten Toten habe er 1945 „eingesargt". Da war er vierzehn - diese Leichen waren Opfer des großen Bombenangriffs auf Paderborn. „Wir mussten sie uns in der Leichenhalle raussuchen. So schlimm war es danach nie wieder."

Voss steht auf. Die Firma sei groß, es gebe noch viel zu sehen, und schließlich gehe es ja um die Leiche. Er habe gerade jemanden da. Aber zuerst der Verkaufsraum mit Särgen „und Zubehör". Er hinkt ein wenig, als er den Flur hinuntergeht. Der Gang ist hell, Toskana-Töne wie im Wellness-Hotel. Im Verkaufsraum stapeln sich Särge, Urnen, Leichenhemden. Es riecht nach IKEA: Frisches Holz und Lack.

Stolz präsentiert Herr Voss seine Accessoires, ein Verkäufer in einer Boutique für die Unterwelt. Das „Modell Lebensfluss" zum Beispiel, mit „Intarsien" aus Kieselsteinen. Tod und Kitsch harmonisch vereint. Auf einem Podest thront ein Fußball. „Fan-Urne, 480 Euro", sagt Voss. „Wollen Sie meinen Lieblingssarg sehen?" Schlichte Eiche, „ohne Schnackeleien." Den Kardinal Degenhardt hat er darin beerdigt. „Natürlich im Sondermodell, dreißig Zentimeter länger - wegen der Mitra." Der absolute Renner ist der Papstsarg. „Schon dreimal verkauft!" So sieht er aus, der Tod in Paderborn.

In der Werkstatt wartet Oliver Bierhoff. Breit grinst der Fußballer von einem Plakat mit den EM-Tipps der Mitarbeiter. „Hat immer mehr Fans", steht darunter. Herr Voss wirkt ein wenig verloren in dem kargen Raum, der aussieht wie eine Mischung aus OP und Hobbykeller. „Hier richten wir die Verstorbenen her." Zu zeigen gibt es nichts, er will schnell weiter. Zwei Bahren stehen im Raum, hellblaue OP-Tücher lugen hervor. Ringsum verstreut die Spuren eines unbekannten Handwerks - Werkzeuge, Nackenstützen, Lockenwickler. In der Ecke, versteckt hinter einem Schirmständer, ein kleiner weißer Kindersarg. Die Kühlung brummt monoton.

Durch die offene Hintertür fällt der Blick auf den Lieferanteneingang: Graue Zinksärge liegen auf dem Hof. „Alles gesehen?" Herr Voss wendet sich zum Gehen. Oliver Bierhoff grinst immer noch manisch von der Lifttür. „Na, dann wollen wir mal in den Abschiedsraum." Herr Voss füllt sich wieder mit Stolz, es gibt etwas zu präsentieren. „Dank eines technischen Zugangssystems können unsere Kunden jederzeit zu ihren Angehörigen. Wie in der Bank." Er tippt einen Pin-Code ein. Ein Summer brummt pietätlos laut, die Tür fährt zur Seite und gibt den Blick frei: Ein alter Mann im offenen Sarg, vier Stühle, Blumengesteck. Der Tod braucht wenig Mobiliar. „Der ist Aramäer. Sind ja alles Christen." Ganz hager liegt der da mit schwarzem Schnurrbart, die Hände gefaltet. Eine Decke mit fremden Schriftzeichen und einem Kreuz zu seinen Füßen. Voss beachtet ihn nicht weiter und spricht lieber über das Fenster: „Die Blume strebt empor zum Licht." Dazu „wahlweise Musik". Seltsam normal wirkt das Ganze, nur die Kühle passt nicht. Fast überrascht es, dass der Tote seinen Besuchern beim Hinausgehen nicht hinterher schaut.

Am Ausgang der Unterwelt steht Herr Voss und strahlt. „Auf Wiedersehen", sagt er. Und fügt lachend hinzu: „Hoffentlich nicht so bald!"

Foto: ddp