Ohne ihn wäre John Travolta nie berühmt geworden: 1975 schrieb der englische Musikjournalist Nik Cohn eine legendäre Reportage für das »New York Times Magazine« mit dem Titel »Tribal Rites of the New Saturday Night« – Hollywood kaufte ihm die Filmrechte für eine Million Dollar ab und machte daraus »Saturday Night Fever«. Trotz seines Erfolgs als Autor hat Cohn, 62 Jahre alt, ziemlich harte Jahre hinter sich, von denen er in seinem neuen Buch »Triksta: Leben, Tod und Rap in New Orleans« (Hanser Verlag) berichtet. Heute lebt Cohn auf Shelter Island in der Nähe von New York.
SZ-Magazin: Herr Cohn, haben Sie Ihre Midlife-Crisis inzwischen überwunden?
Nik Cohn: Wie kommen Sie darauf? Ich wollte nie meine Jugend zurückerobern; ich habe nie vorgegeben, jünger zu sein, als ich tatsächlich war. Und jetzt bin ich 62 Jahre alt, viel zu alt für eine Midlife-Crisis. Mit 55 Jahren haben Sie beschlossen, nach New Orleans zu ziehen und sich als Produzent schwarzer Rap-Musiker aus einem Ghetto zu versuchen – was anderes als eine schwere Midlife-Crisis könnte einen weißen Schriftsteller mit einem netten Häuschen auf einer Insel vor Long Island dazu bewegt haben?
Ich bin eher in eine Art Middeath-Crisis geschlittert.
Sie meinen, Sie sind wegen Ihrer Krankheit nach New Orleans gegangen?
Ich wollte einfach etwas tun, was ich zuvor noch nie getan hatte, mich ohne die Infektion vielleicht auch nie getraut hätte. Sie leiden an Hepatitis C.
Darf ich fragen, ob Sie wissen, wie Sie sich infiziert haben?
Das Virus befindet sich im Blut, also werde ich es mir in der Zeit eingefangen haben, als ich Drogen nahm – vor meiner Hochzeit 1983. Mitte der Neunzigerjahre erfuhr ich von der Infektion. Ich hatte in der Zwischenzeit keine Transfusionen erhalten, es gibt also keine andere plausible Erklärung, als dass meine Drogen-Vergangenheit mich eingeholt hat.
Ist Hepatitis C lebensbedrohlich? Man stirbt nicht daran, aber die Leber wird allmählich so zerstört, dass man irgendwann meist Leberkrebs oder -zirrhose bekommt. So weit ist es bei mir zwar noch nicht, aber meine Leber arbeitet sehr schlecht: Ich fühle mich schnell erschöpft und müde. Hier auf Shelter Island ist das auch kein großes Problem, aber als ich im Tonstudio in New Orleans produzierte, war es schwierig. Meine Krankheit habe ich den Musikern gegenüber natürlich verschwiegen. Ich habe dort über meine Kräfte gelebt.
Warum haben Sie sich gerade für New Orleans entschieden, als Sie von Ihrer Infektion erfahren hatten?
Ich bin schon in den Achtzigerjahren gern nach New Orleans gereist, die Winter auf Long Island können sehr kalt werden. Aber das Wissen um die Krankheit verstärkte dann den Wunsch, mehr Zeit in New Orleans zu verbringen – bis ich endlich den Plan fasste, Rap zu produzieren, und ganz hinzog.
Sie schrieben in Ihrer Jugend das legendäre Buch Awopbopaloobop Alopbamboom über Rock und die Vorlage zu dem Film Saturday Night Fever. Haben Sie schon als kleiner Junge davon geträumt, einmal selbst Musik zu machen?
Nein, Saxofon spielte ich so schlecht, dass ich nicht mal davon zu träumen wagte, später über Musik zu schreiben. Die Entscheidung fürs Schreiben fiel dann auch ganz pragmatisch, die Frage war: Wie kann ich Geld verdienen, ohne richtig dafür arbeiten zu müssen? Dass Schreiben auch harte Arbeit bedeuten kann, lernte ich erst viel später. Die ersten Jahre war ich ein Viel- und Schnellschreiber. Der Wunsch, mich als Rap-Produzent zu versuchen, entstand erst, als ich schon erwachsen war.
Können weiße Menschen schwarze Musik überhaupt verstehen?
Bis zu einem gewissen Grad sicher. Nur Gangsta Rap ist ein Code, den kein Weißer richtig teilen oder gar bewundern kann.
Haben sich die Rapper in New Orleans nicht gewundert, als da plötzlich ein weißer, alter Mann vor ihnen stand?
Einige wenige sind gleich mit mir ins Studio gegangen, vielleicht auch nur aus Mangel an Alternativen. Die meisten haben mir ins Gesicht gelacht. Ich wusste ja selbst, dass ich mich lächerlich machen würde – ein Rap-Produzent ohne jegliche Erfahrung, in meinem Alter, mit meiner Stimme, meinen Klamotten. Ohne die Infektion wäre mir das zu peinlich gewesen. Aber wer vom Tod bedroht ist, verliert jedes Schamgefühl. Man denkt nicht mehr darüber nach, ob andere einen auslachen. Das spielte von dem Moment an keine Rolle mehr, als ich von meiner Infektion erfuhr.
Die Krankheit hat Sie mutiger gemacht?
Krankheiten ziehen einige wirklich ärgerliche Konsequenzen nach sich, eine aber ist richtig gut: Man fühlt sich plötzlich außerordentlich frei, einige Fragen werden vollkommen belanglos: Wird man mich auslachen? Ist das ein geschickter Schachzug für deine Karriere? Wird sich das Buch gut verkaufen? Eitelkeit zählt nicht mehr.
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Haben die Rapper denn gewusst, dass Sie der berühmte Schriftsteller sind, der die Reportage zu Saturday Night Fever geschrieben hatte?
Das Buch kannte sicher niemand. Ich glaube nicht mal, dass irgendjemand von denen den Film je gesehen hat. Die Leute, mit denen ich im Studio arbeitete, kannten vielleicht gerade mal James Brown oder Prince, weil ihre Mütter diese Musik gehört hatten. Sie kannten auch noch Fats Domino, der ja in New Orleans lebte, aber ich würde darauf wetten, niemand hätte auch nur einen seiner Songs nennen können. Vielleicht haben die Jungs also irgendwann im Internet nachgelesen, dass ich der Kerl mit Saturday Night Fever bin. Geholfen hat mir das nicht, eher im Gegenteil – ich tat mir schwer, ihnen klarzumachen, dass ich es mir nicht leisten konnte, ein Tonstudio gleich für drei Monate zu mieten.
Hat Sie Ihr Traum viel Geld gekostet?
Ich habe nicht allzu viel in den Sand gesetzt, wir bekamen einen Vorschuss von einem Label und später dann auch Geld von meinem Verleger, als ich beschloss, über meine Erlebnisse in New Orleans ein Buch zu schreiben.
Ende der Achtzigerjahre setzten Sie schon einmal einer Stadt ein Denkmal – New York, mit Ihrem Buch über den Broadway: Das Herz der Welt.
Ja, und beide Städte sind heute kaputt. Der Broadway ist zu einer Shopping-Mall verkommen, und drei Monate nachdem ich New Orleans verlassen hatte, ging die Stadt im Hurrikan Katrina unter. Sie sollten mich wohl besser nie bitten, über München zu schreiben.
Ab wann dachten Sie daran, doch wieder nur ein Buch zu schreiben, statt Musik zu machen?
Ich kam kurz nach dem 11. September 2001 nach New Orleans, ich kann mich daran so gut erinnern, weil alle außer mir im Flugzeug anfingen zu beten. Da habe ich gemerkt, dass ich immer noch Engländer und kein richtiger Amerikaner bin. An das Buch dachte ich erst viel später. Ich wollte ja ursprünglich weg vom Schreiben, ich steckte als Schriftsteller in einer Sackgasse und suchte eine neue Herausforderung.
Sie hatten also keine Midlife-Crisis, sondern nur eine Schreibblockade?
Jeder Schriftsteller muss irgendwann begreifen, dass ein weiteres Buch kaum die Welt verändern wird. Wohingegen in der Musik ein Reiz des Neuen für mich lag, aus dem ich neue Kraft gezogen habe. Eine Energie, die mich am Ende ja auch wieder zum Schreiben gebracht hat. Aber die Energie veränderte meine Stimme als Erzähler. Meine Stimme wurde sehr direkt, ich versuchte keine Spielchen, keine Tricks mehr. So hat mir mein Rap-Abenteuer auch als Schriftsteller weitergeholfen. Als Schriftsteller war ich immer recht erfolgreich – nie sehr, sondern immer nur recht –, seit meinem 20. Lebensjahr hat man mir überall auf die Schulter geklopft für irgendein Buch. Da ist es sehr erfrischend, an einen Ort zu kommen, wo den Leuten völlig egal ist, was du zuvor getan hast, wo du dich selbst erneut beweisen muss. Das war eine fantastische Erfahrung.
Angst hatten Sie nie?
Ich lebte in überwiegend schwarzen Gegenden und fühlte mich da auch wohl, aber mir hat auch nie jemand eine Waffe an den Kopf gehalten.
Worauf sind Sie mehr stolz: den Namen Triksta, den Ihnen die Rapper gaben, oder das Buch über Ihre Zeit in New Orleans?
Die Erfahrung ist untrennbar mit dem Buch verbunden. Wenn das Buch Kraft besitzt, dann nur wegen der authentischen Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gesammelt habe.
Sie fühlen sich gar nicht als Don Quichotte?
Doch natürlich, das ganze Unternehmen war absurd, aber sogar Don Quichotte feierte ja kleine Siege. Wir produzierten keinen einzigen Hit, aber die Musik war gut. Mit den meisten Musikern stehe ich heute noch in Kontakt. Und durch Zufall kam das beste Buch heraus, das ich je geschrieben habe, denn es ist sehr wahrhaftig geworden. Ich will nicht behaupten, dass ich kein Trottel war, aber immerhin war ich kein so großer Trottel, wie ich dachte.