Ich bin gebeten worden, für dieses Heft einen Beitrag zu verfassen. Sollte Ihnen dieser eher uninspiriert vorkommen, bitte ich das zu entschuldigen. Schreiben ist nicht mein Metier. Oder: nur am Rande.
Im Gegensatz zu den Büros meiner Kollegen, wo sich die Regale biegen unter vielen schweren, schön geformten Trophäen, gewonnen für tiefschürfende Reportagen oder bewegende Porträts, steht auf meinem Schreibtisch verloren eine Auszeichnung aus dem Jahr 2007, Kategorie: Beste Frisur der Redaktion. Nur damit Sie Bescheid wissen. (Die Konkurrenz auf der jährlichen SZ- Magazin-Geburtstagsfeier, auf der solche Preise eine Zeit lang vergeben wurden, war übrigens gewaltig.)
Der Preis, den ich damals genauso verdient hätte, aber aus unerfindlichen Gründen nicht bekam, war der für den ordentlichsten Schreibtisch. Womit wir beim Thema sind: Meine Aufgabe beim SZ-Magazin ist es, Ordnung zu schaffen. Nicht auf dem Schreibtisch, das ist mein Privatvergnügen, sondern in den Texten: Ich muss Fehler aufspüren. Im Idealfall vor Heftveröffentlichung.
Jeder Mensch – auch der erfahrenste, belesenste, akribischste Journalist – macht Fehler. Mal mehr, mal weniger, mal grobe, mal lässliche. Das Ausmerzen der gemeinen wie spezifischen Fehlleistungen dieser Redaktion erfolgt in zwei Schritten: Zuerst wird der Textinhalt gefilzt wie früher ein rostiger, mit langhaarigen Jungs besetzter VW-Bus an der deutsch-niederländischen Grenze. Namen, Daten, Sachverhalte, Definitionen, Zitate – immer wieder kommt Zweifelhaftes zum Vorschein, das penibel abgeklopft werden muss. (Wobei eine Schlussredaktion vorbehaltlos arbeitet. Denn es stimmt zwar oft, dass ein Text, der sprachlich schlampig daherkommt, auch inhaltlich löchrig ist; doch bekommt man auch Beiträge zu lesen, deren gestochener Stil und verschachtelte Sätze nur darüber hinwegtäuschen, dass in ihnen rein gar nichts steht. Was natürlich der schlimmste Fehler von allen ist.)
Als Zweites folgt die Prüfung von Rechtschreibung und Grammatik. Das ist, zugegeben, der langweiligere Teil der Aufgabe, denn selbstverständlich sind meine Kollegen im Großen und Ganzen der deutschen Sprache mächtig. Die Schnitzer, die sie mir auftischen, sind also fast immer die gleichen. Aber, bitte, soll ich mich aufregen, nur weil die komplette Redaktion »Referenz« schreibt, wenn sie »Reverenz« meint? Oder weil es ihnen nicht auszutreiben ist zu behaupten, jemand verfüge über »große Expertise«? Wenn sie falsche Schreibweisen (Jacket, Grafitti, Triologie) konsequent über die Jahre beibehalten? Kommas wie mit dem Salzstreuer über ihre Texte verteilen? Und händeringend um Sätze feilschen, die grammatischer Unsinn sind (»Aber es klingt doch so hübsch!«)?
Wo käme ich denn da hin?
Im Ernst: Wo käme ich hin?
Manchmal fragen mich Leute, warum ich diesen Beruf gewählt habe. Dann sage ich, weil ich klare Regeln liebe, einen Hang zum Perfektionismus und Freude an guter Sprache habe. Das ist eine schöne Erklärung, und komplett gelogen. In Wahrheit bin ich einer dieser Menschen mit notorisch zwanghaften Neigungen, die schlicht alles in die richtige Ordnung bringen müssen. Und noch dazu, um es auf Bairisch zu sagen, ein rechtes Gscheidhaferl, dem das Herz aufgeht, wenn es nur andere korrigieren kann. Und was, bitte, würde aus mir, wenn es diesen Beruf nicht gäbe oder meine Kollegen von heute auf morgen die Fehlerproduktion einstellen würden? Wo könnte ich sonst tagtäglich meine kleine Neurose ausleben? Und obendrein dafür bezahlt werden?
Zum Glück ist kaum etwas im Leben perfekt. Meine Fehler zeigen mir meine Grenzen auf, anderer Leute Fehler sorgen dafür, dass ich mir jeden Tag eine warme Mahlzeit leisten kann. Und hin und wieder einen guten Friseur.
Illustration: Mrzyk & Moriceau