Wenn es um Männer und Bequemlichkeit geht, weiß man nie so genau, womit es angefangen hat: damit, dass Männer von vornherein gern der Anstrengung aus dem Weg gehen? Oder damit, dass sie so hart ranklotzen, dass sie es sich zum Ausgleich so bequem wie möglich machen müssen? So oder so führte dies Ende des vorigen Jahrhunderts zum modischen Phänomen der abseits des Sports stattfindenden Jogginghose. Dass Frauen sie inzwischen genauso gern wie Männer zu Hause und im Alltag tragen, mag ein emanzipatorischer Akt sein – als Männer damit anfingen, war es einfach nur Faulheit.
Nun tut sich viel, seit Karl Lagerfeld der Nachwelt sein berühmtes Jogginghosen-Epigramm hinterlassen hat, und die Arten, wie Menschen ausdrücken, dass sie die Kontrolle über ihr Leben verloren haben, kann man gar nicht mehr zählen. Die Männermode aber erlebt eine schleichende, unauffällige Jogginghosenisierung, wenn man so will. Denn Männermode wird auf unauffällige Art und Weise immer bequemer. Es gibt Sneakers, die aussehen wie Anzugschuhe, und Hosen oder Hemden aus Funktionsstoff, die man vom Look her ins Büro anziehen kann, die aber vom Gefühl her so leicht und atmungsaktiv sind, dass man auch Sport darin machen könnte. Man kann also etwa, wie der Komiker Conan O’Brien neulich bemerkte, in den Hemden der Firma Mizzen + Main erst einen Fünftausender besteigen und dann auf dem Gipfelplateau eine Unternehmensfusion verhandeln.
Der Bedarf an Männermode, mit der man einem Beruf in geschlossenen Räumen nachgehen kann und es dennoch bequem hat, war schon immer groß. Das konnte man in den Neunzigern beobachten, als Holzfällerhosen-Hersteller wie Carhartt oder Briefträgerhosen-Hersteller wie Dickies in den Herrenoberbekleidungsmarkt drängten und anfingen, mit ihren Produkten auch Männer auszustatten, die in ihrem Beruf noch kein anderes Werkzeug als einen, wie man damals sagte, Blackberry benutzen würden. Der Arbeitsklamotten-Modetrend hat nie mehr aufgehört, doch recht bald stellte sich heraus, dass die entsprechenden Kleidungsstücke zwar lässiger aussahen als der klassische Schurwolleanzug oder sein unansehnlicher, aber verbreiteter Cousin, die Sakko-Jeans-Combo. Nur, viel bequemer waren sie auch nicht.
Ein mit mir befreundeter Lehrer war der Erste in meiner Umgebung, der auf die Idee kam, bei der Arbeit Wanderhemden zu tragen. Vor der Klasse, sagte er, gerate er oft ins Schwitzen, es sei psychologisch und körperlich oft anstrengend, da wolle er nicht zu allem Überfluss im triefenden Hemd dastehen. Und er hatte ein glückliches Händchen in der Auswahl seiner Wanderhemden, die er in den gängigen Outdoorläden fand: mittel- bis dunkelblau und langärmelig, und erst auf den dritten oder vierten Blick sah man den etwas unmodischen Hemdtaschenüberfluss und die an Wanderhemden zur Belüftung an vielerlei Nähten angebrachten, mit Netzfutter ausgekleideten Schlitze. Die Zeit solcher Notlösungen ist jedoch vorbei, denn große und kleinere Modelabels setzen auf augentäuschende Männerkleidung: außen Büro oder Bar, innen atmungsaktive Kunstfaser oder weich gepolsterte Sneakersohlen.
Grundsätzlich scheint erst mal alles begrüßenswert, was einem das Leben leichter oder gemütlicher macht – warum nicht auch als Mann, traditionelles Rollenverhalten und die Aufrechterhaltung des Patriarchats strengen auf die Dauer an, die Überwindung womöglich noch mehr. Dennoch muss man beim An- und Ausprobieren der neuen gemütlichen Mode eine innere Sperre überwinden. Diese Sperre hat zwei Schlagbäume. Auf dem einen steht, wie oben erwähnt, atmungsaktiv, auf dem anderen Funktionskleidung. Denn die Haptik ist erst mal recht ähnlich wie bei Yogaklamotten: Die modernen Kunstfasern haben zwar durchaus etwas Handschmeichelndes, aber es bleibt doch immer das Gefühl, man würde in eine Art überdimensionales Mikrofasertuch schlüpfen, das eigentlich zur Brillen- oder Cockpitreinigung gedacht ist.
Bei den Schuhen ist das Tragegefühl vom Alltagssneaker vertraut, aber beim Blick nach unten bekommt man anfangs immer einen leichten Schreck angesichts der dunklen Farbe: Klar passt die nun besser zum dunkelblauen oder grauen Anzug, aber was wegfällt, ist zum Beispiel das Statement, das der helle oder farbige Sneaker sendet. Er sagt: Ich gehöre hier nicht so richtig hin, aber meinem Träger ist es egal, er ist ein cooler Junge. Ob das noch funktioniert, seit Joschka Fischer in diesem Look 1985 den hessischen Landtag betrat, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber der Sneaker, der aussieht wie ein Anzugschuh, beziehungsweise der Anzugschuh, der sich trägt wie ein Sneaker, sagt fast gar nichts mehr, außer: Ich möchte lieber nicht auffallen, und ich habe es gern bequem. Dies trifft sicherlich auf sehr viele Menschen und insbesondere Männer zu. Ist es noch ein modisches Statement oder eher etwas, das schon sehr weit ins Territorium »vernünftiges Schuhwerk« lappt?
Sehr angenehm sind Anzughemden für unterm Sakko, wenn sie aus Material sind, das eigentlich für Sport entwickelt wurde. Hemden müssen hart arbeiten unter der Jacke. Sie knittern, falten, dehnen, spannen und werden feucht, und die klassische Baumwolle ist hier, von allen ökologi-schen Erwägungen abgesehen, auf Dauer überfordert. Wenn das Hemd (das theoretisch dann ja sogar aus recycelten Plastikflaschen sein könnte) materialseitig Hilfe bekommt: immer her damit. Man fühlt sich beim Tragen entlastet: Es kann sein, dass alles schwierig und unübersichtlich ist, auch heute werde ich wieder viel falsch machen, aber, und dies
ist ein sehr großes Aber, zumindest über mein Hemd und darüber, ob ich es durchschwitze, brauche ich mir keine Gedanken zu machen. Das hat dann schon weniger mit Gemütlichkeit oder Bequemlichkeit und mehr mit Sorgenfreiheit zu tun.
Ein vergleichbarer Effekt stellt sich allerdings nicht ein beim Tragen einer gemütlichen Hose, die vom Material her sportlich bequem, von der Optik her aber Business und Kundenkontakt ist. Natürlich ist dies ein individueller Eindruck, bloß: Es stellt sich schnell das Gefühl ein, man trage zum Sakko und/oder zur Arbeit eine Turn-, wenn nicht eine Schlafanzughose. Nicht kurz, sondern in professioneller Länge, aber eben doch ein Couch- und Privatsphäregefühl. Man fühlt sich, als könnte man aus Versehen jederzeit die Füße auf den Tisch legen und mit offenem Mund aufstoßen. Fürs Büro ein schwieriger Effekt.
Am Ende bleibt ein leichter Zwiespalt. Einerseits, ein Prosit der Gemütlichkeit, na klar. Andererseits: Wollen wir noch mehr Grenzen verwischen? Hat sich die Aufteilung zwischen Berufs- und Privatleben, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Ausgehen und Zuhausebleiben nicht sowieso schon soweit aufgelöst, dass man die meiste Zeit nicht weiß, wo, wer und wie man gerade ist, alles verschwimmt, man kommt gar nicht mehr Ruhe? Wäre es da nicht schön, zumindest in der Kleidung noch Unterschiede zu machen? Wenn alles gemütlich ist, fällt auch eines der schönsten Rituale weg, die es überhaupt gibt. Die eine Seite dieses Rituals ist, sich etwas Schönes, Schickes oder Feierliches anzuziehen, wenn man etwas Besonderes vorhat. Oder sich gewisser-maßen zu uniformieren, wenn man seiner Lohnarbeit nachgehen muss. Die andere Seite ist, diese Uniformen des Besonderen oder Professionellen danach mit einem Seufzen endlich auszuziehen und sich in der gemütlichen Hose
irgendwo abzulegen. Das funktioniert nicht, wenn man sie die ganze Zeit schon anhatte.