Die Stars von morgen

Das Central Saint Martins ist das wichtigste Mode-College der Welt. Studierende erzählen, was ihre Uni einzigartig macht. Dazu zeigen sie die Meisterstücke ihrer Kommilitonen und die aktuelle Sommermode.

Foto: Marton Perlaki

Fabio Piras, 56, Direktor Masterstudiengang Mode

Fabio Piras in seinem Büro. Zu seiner Linken hängt auch ein kleines Foto von Louise Wilson.

Das große Finale eines Masterstudiums Mode am Central Saint Martins bildet die Abschluss-Show im Rahmen der London Fashion Week. Bei Ihnen studieren 38 Menschen, aber nur 21 dürfen ihre Kollektion dort zeigen. Warum?
Die Show ist nicht nur die Abschlusspräsentation eines Colleges. Die Show des Masterstudiengangs Mode ist ein Statement, das wir als Designhaus abgeben.

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Wie meinen Sie das, »als Designhaus«?
Wir führen diesen Studiengang wie ein Haute-Couture-Atelier, mit dem gleichen Grad an Professionalität, den künftige Arbeitgeber von unseren Studierenden erwarten. Deshalb müssen ihre Kollektionen mit den Kollektionen während der London Fashion Week mithalten können. Das ist ein sehr hohes Level, und nicht alle Studierende erreichen dieses Level – auch nicht alle, die gut sind.

Die Studierenden arbeiten zwei Jahre lang auf diese Show hin. Wird für manche von ihnen nicht eine Welt zusammenbrechen?
Ich hoffe nicht, dass für sie eine Welt zusammenbricht. Einige werden enttäuscht sein, weil die Show eine gute Chance für sie wäre, sich zum ersten Mal der Welt zu präsentieren. Aber es gibt auch andere Wege, sich bekannt zu machen. Und wenn wir nicht so streng wären, dann wäre dieser Studiengang nicht so erfolgreich.

Richtig berühmt gemacht hat diesen Kurs Ihre Vorgängerin Louise Wilson, unter der viele später bekannte Designer wie Alexander McQueen studiert haben und die sich selbst einmal als »rude and bossy bitch« (unhöfliche und herrische Zicke) beschrieb. 2014 starb Wilson mit 52 Jahren an Krebs. Sie übernahmen, nach 20 Jahren in ihrem Team. Was haben Sie von Wilson gelernt?
Ehrlich zu sein. In diesem Job gibt es keinen Platz für Verlogenheit, weil man damit das Spiel verfälscht. Ein Mindestmaß an Höflichkeit, das Louise nicht immer hatte, gehört für mich auch dazu. Zur Ehrlichkeit kommt Großzügigkeit. Einige Studierende haben ein Talent, das ich nie hatte. Sobald mir das ein schlechtes Gefühl bereitet, bin ich nicht mehr richtig hier. Und ich habe von Louise gelernt, meinen Studierenden absolut verpflichtet zu sein. Wenn ich mit ihnen über ihre Kollektionen spreche, zählt nichts anderes auf der Welt.

Woran liegt es, dass dieser Studiengang seit mehr als 30 Jahren erfolgreiche Modedesignerinnen und Modedesigner hervorbringt?
Weil wir unseren Studierenden nicht beibringen, Kleider zu entwerfen. Das lernen sie vorher. Wir bereiten sie darauf vor, Kreativdirektorinnen oder Chefdesigner zu werden. Und das fängt bei der Kreativdirektion für die eigene Abschlusskollektion an. Wir treiben sie dazu an, eine eigene Identität zu entwickeln.

Wie unterrichten Sie das?
Indem mein Team und ich uns bis zur Erschöpfung den Studierenden und ihren Ideen widmen. Ich unterrichte nicht Mode, ich diskutiere Mode. In diesem Kurs geht es darum, Individuen auszubilden, die in der Lage sind, eigene gut informierte Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen. Menschen, die resilient sind und somit in der Lage, die Modeindustrie nicht nur zu kritisieren, sondern sie in den entscheidenen Momenten auch zu verändern. Denn einige von ihnen werden einmal sehr viel Macht haben.

Jegor Pister, 26, aus Schorndorf bei Stuttgart, studiert Mode (M.A.)

Jegor Pister mit Model Nina Kunzendorf.

Sie hatten gerade mit Ihrer Abschlusskollektion den letzten Testlauf. Können Sie erklären, was da geschieht?
Man kommt mit seinen Models in den Raum, in dem die Tutoren sitzen, und zeigt, was man bisher geschafft hat. Dann wird debattiert, was rausgeworfen und was beibehalten wird. Man erklärt seine Entwicklung, weist auch auf die eigenen Schwächen hin, denn wenn man es selbst nicht tut, tun es die anderen.

Also sind die Tutoren ein Prüfungskomitee?
Die Professoren reagieren so, wie die Presse reagieren würde. Wenn sie überhaupt reagieren würde. Denn wenn die Kollektion nicht eine gewisse Glaubwürdigkeit hat, wird sie nicht als Mode wahrgenommen. Sie wäre zu unspezifisch. Aber die Tutoren erkennen ein starkes Modestatement, und das holen sie aus uns raus.

Und wie war das Feedback für Sie?
Bei vielen meiner Teile wurde die Verarbeitung bemängelt, da muss ich einiges nachholen. Und es wurde bemängelt, dass ich Looks an Frauen präsentiert habe. An einem Mann ist die Mode, die ich mache, frischer, gewagter.

War es schlimm, das zu hören?
Ja, aber ich kann das gut aufnehmen. Fabio (Piras, Direktor M.A. Mode, Anm. d. Red.) hat gesagt, dass ich kein Designer für Frauenmode bin. Meine Annäherung an den männlichen Körper ist eine ganz andere als an den weiblichen. Das liegt sicher an meiner Sexualität. Aber ich habe immer versucht, Mode für Frauen mit einzubinden, weil mich der Gedanke abgeschreckt hat, nur Männermode zu machen.

Warum?
Es fühlt sich wie eine Einschränkung an, denn in der Frauenmode hat man viel mehr Möglichkeiten. Trotzdem ist es wichtig, das jetzt zu wissen. Und vielleicht kann man daran mitwirken, dass Männermode eines Tages mehr zu bieten hat und dass sich die Geschlechter in der Mode gar nicht so voneinander unterscheiden.

Alle, die den Master in Mode abschließen, wollenihre Kollektion auf der großen Schau der Schule im Rahmen der London Fashion Week zeigen. Wie groß ist die Konkurrenz?
Die ist ständig da. Wir versuchen, Freunde zu bleiben. Aber man kann nicht über alles miteinander reden. Wobei es wahrscheinlich Paranoia ist, denn wir klauen einander die Ideen nicht, wir sind mittlerweile alle sicher in unserer Ästhetik. Und das Ziel der Tutoren sind so viele individuelle Kollektionen wie möglich.

Was ist so wichtig an der letzten Schau?
Sie ist ein Sprungbrett. Da wird man wahrgenommen. Trotzdem ist es mir wichtiger, eine gute Kollektion zu erstellen, mit der ich dann von hier weg- und in die Welt rausgehen kann.

Sie haben einen einprägsamen Vornamen, Jegor. Woher kommt der?
Meine Eltern sind aus Russland, wir kamen nach Deutschland, als ich zwei Jahre alt war. Wir sprechen zu Hause Russisch. Ich bin in Welzheim nahe Schorndorf aufgewachsen. Ich wusste schon früh, dass ich Mode machen möchte, habe mit neun oder zehn angefangen, Entwürfe zu zeichnen und zu nähen. Mit 14 oder 15 zeigte mir eine Lehrerin einen Artikel in der Zeitung über eine Designerin, die im Raum Stuttgart arbeitete und in London präsentierte: Miriam Lehle, Prose Studio ist ihr Label. Ich war begeistert und bin am selben Tag hin, habe ihr meine Entwürfe gezeigt. Seitdem sind wir befreundet. Ich bin dann zwei-, dreimal die Woche ins Studio nach Schorndorf und habe mit ihr gearbeitet. Sie hat mir alles beigebracht.

Hat sie Ihnen von Central Saint Martin erzählt?
Das musste sie nicht, ich hatte alles über Alexander McQueen, John Galliano und Hussein Chalayan gelesen. Ich habe 2011 hier angefangen, im Bachelorstudium.

Wo haben Sie während des Bachelorstudiums ihr Praktikumsjahr gemacht?
In Paris, bei Chlóe und John Galliano - ohne John Galliano leider. Bei Chlóe hatten wir Praktikanten wirklich Einfluss auf die Designs. Vor der Schau wurde es immer ziemlich spät. Aber wenn man nach Mitternacht noch im Atelier war, zahlte Chlóe das Taxi nach Hause. Das war toll, man fuhr nachts am Eiffelturm vorbei und wusste, am nächsten Tag ist die Schau, und man ist dabei.

Paolo Carzana, 24, aus Wales, studiert Mode (M.A.)

Wann wussten Sie, dass Sie Modedesigner werden wollen?
In der Schule wurde ich gemobbt, aber ich hatte trotzdem eine gute Zeit, denn ich bin mittags in die Kunstklasse gegangen, und die Kunstlehrer wurden meine Freunde. Einer meiner Lehrer hat mich auf Gianni Versace aufmerksam gemacht, und ich habe mich in seine Arbeit verliebt. Da muss ich so zwölf gewesen sein, oder 13. Der Übergang von der Kunst zur Mode kam für mich fließend. Wenn die anderen in der Schule in Kunst Bilder malten, habe ich versucht, aus allen möglichen Materia­lien Kleider zu machen. Alle dachten, das sei verrückt, aber ich hoffte, das würde mein Weg sein. Ich habe es sogar geschafft, in meinem Praktikumsjahr während des Bachelor-­Studiengangs bei Versace in Mailand zu arbeiten.

Sie hatten gestern einen wichtigen Termin: die
letzte Präsentation Ihrer Abschlusskollektion. Wie ist es gelaufen?

Gut. Sehr gut sogar. Es geht eigentlich nicht darum, etwas an der Kollektion zu ändern, sondern sie zu vervollständigen.

Können Sie Ihr Konzept erklären?
Meine Master-Kollektion baut auf meiner Bachelor-Kollektion auf. Diese hatte ich »The Boy ­you stole« genannt. Sie war extrem persönlich, es ging um eine Ungerechtigkeit, die mir wider­fahren ist und mit der ich um­gehen musste.

Sie meinen das Mobbing?
Nein, ein viel dunkleres Kapitel. Es geht um Männer, die kontrollieren wollen, um Machtmissbrauch. Darum habe ich diese überdimensionalen Jackets entworfen, die große Schatten werfen. Das war meine Art, mit dem Schmerz umzugehen. Während meiner Zeit hier habe ich mich aus dem Schatten lösen können, ich fühlte mich wiederhergestellt. Mein Leben ist viel heller geworden, das zeigt sich in meiner Kollektion, darum habe ich sie »The Boy who came back to life« genannt.

Das hört sich an wie ein Roman.
Ja. Und darum ist jetzt Heilung mein Thema. Wie kann ich das in meine Arbeit übersetzen? Vorigen Sommer ging ich auf eine Pilgerreise nach Norditalien und Wales, meine beiden Herkunftsländer sozusagen, denn ich bin Halbitaliener. Ich suchte nach heilenden Quellen, in Saturnia in Italien und in Taff’s Well in Wales. Seit Hunderten Jahren sind die Menschen dorthin gepilgert, um sich heilen zu lassen. Die Idee war – und ich weiß, das klingt sehr konzeptionell –, dass die Energie des Wassers in das Material, mit dem ich arbeite, einsickert. Dass ich also eine Kollektion entwickle, die heilende Kräfte hat. Ich habe mich mit 300 Pflanzen beschäftigt, die seit Hunderten Jahren in der Medizin benutzt werden, und die ausgewählt, von denen ich dachte, dass sie in Kleidung ihre Wirkung entfalten können. Mir ist Natur sehr wichtig, unsere Umwelt, soziale Aspekte. Viele Leute, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, sagen, wir brauchen keine Mode mehr. Ich wollte mit diesem Projekt auch zeigen, dass Mode eine neue Relevanz haben kann.

Was tun Sie für Nachhaltigkeit?
Ich benutze Packpapier für meine Modelle, keine Baumwolle, das ist weniger belastend für die Umwelt. Eines meiner Kleider habe ich aus alten Pullovern aus Wohlfahrtsläden zusammen­genäht. Ich habe sie gekauft und versuche, sie zu etwas ganz Besonderem, Neuem zu machen. Anderes Material bekomme ich aus Wales, gewirkte Stoffe nach uraltem walisischem Handwerk, einer Technik aus dem 18. Jahrhundert. Ein Hemd ist aus Lotusseide, die von sich aus schon viele gute Eigenschaften hat: Sie ist atmungsaktiv, wirkt beruhigend und ist mit Färberkrapp und Hamamelis gefärbt, Pflanzen, die Wunden und Krampf­adern heilen können. Wenn man das Hemd trägt, trägt man gleich­zeitig all das auf der Haut, was einem guttut. Lavendel beispielsweise hilft gegen Angst, und ich mag die Vorstellung, dass der Lavendel den, der dieses Hemd trägt, entspannt.

Sie machen Männermode. Stimmen Sie zu, dass
man sie gleichzeitig als ­feminin bezeichnen kann?

Das ist ein anderer sehr wichtiger Teil meiner Arbeit: Wie kann Frauenmode Männermode anregen? Die Fragilität und die Stärke der Frauen. Für mich spielt das Geschlecht eine untergeordnete Rolle. Aminat und Frankie zum Beispiel sind meine Freunde, sie modeln für mich, und wir entwickeln Ideen zusammen. Ihre Energie steckt in den Kleidern. Übrigens sitzt bei dem langen Kleid auf dem Foto Aminat auf Frankies Schultern.

Haben Sie an der Uni mehr über Mode oder über
sich selber gelernt?

Die Lehrer hier ermutigen uns, herauszufinden, wer wir sind, und unsere Erkenntnisse in unsere Arbeit einzubringen. Dass wir die Bedeutung dessen begreifen, was jeder von uns der Welt zu bieten hat. Und wo wir uns in der Industrie sehen, wenn überhaupt.

Wie in einer Therapie?
Absolut. Es ist hart, hier zu studieren, viele Studenten sind extrem ehrgeizig. Und darum auch empfindlich. Ich habe damit Probleme gehabt. Dabei denke ich, jeder wird seinen Platz finden. Wir sollten uns nicht bekämpfen, sondern uns helfen. Ich hatte Glück, ich
wurde vom British Fashion Council unterstützt.

Meinen Sie Stipendien?
Ja, sonst könnte ich als Angehöriger der Arbeiterklasse nicht hier sein, und ich hätte auch meinen B.A. nicht ohne Stipendien machen können.