»Nichts schmeckt so gut, wie sich Dünnsein anfühlt.« Besser lässt sich nicht zusammenfassen, welches Verhältnis der Modewelt zum Essen im Allgemeinen nachgesagt wird. Der Satz stammt von Kate Moss, von der es viele Bilder beim Konsum von allem Möglichen gibt, aber tatsächlich nur sehr wenige, die sie bei der geregelten Nahrungsaufnahme zeigen. Der Äußerung folgte 2009 der Vorwurf, Magersucht zu glorifizieren – allerdings kein Dementi von Moss. Die Kolleginnen sind da heute vorsorglicher. Das derzeit gefragteste Gesicht der Branche, Gigi Hadid, führte die Britische Vogue nach dem Boxtraining direkt zu ihrem Lieblingsburgerladen in New York. Die Australierin Miranda Kerr postet auf Instagram wie sie Clubsandwich mit Pommes verzehrt. Soll keiner denken, Models würden nicht essen. Im Gegenteil. Früher erzählten sie in Interviews gern, dass sie reinhauen wie die Scheunendrescher, »aber einfach nicht zunehmen!« Heute fotografieren sie sich beim Kalorienschaufeln, was ähnlich niedlich ist wie diese Yogurette-Werbung aus den Achtzigern, in der eine gertenschlanke Tennisspielerin namens Ulricke Jokiel bekannte, für Schokolade sogar nachts aufzustehen. Längst gibt es den Instagram-Feed »You did not eat that«, der Bilder von dünnen Frauen mit dick machendem Essen auf die Schippe nimmt.
Deutlich glaubhafter erscheint das US-Model Ashley Graham, das während Telefoninterviews schon mal hörbar in eine Pizza beißt – allerdings auch Kleidergröße 44 trägt. Der Jetzt-aber-wirklich-Siegeszug der sogenannten Plus Size Models wird alle paar Jahre verkündet, aktuell liegt der Anteil bei den großen Prêt-à-porter-Schauen dennoch bei: 0,43 Prozent. Im Mai sorgte derweil der Fall eines normalgewichtigen Models für Aufregung in der Branche, das für die Show eines Luxuslabels gebucht worden war, dann aber in den 24 Stunden davor angeblich nur Wasser trinken durfte, weil sie den Verantwortlichen zu dick für das vorgesehene Kleid erschien. Solche Laufstegmuster entsprechen in der Regel immer noch einer Konfektionsgröße 34. Die Beziehung von Mode und Essen bleibt also kompliziert.
Und doch haben die beiden Welten viel gemeinsam. Nahrung wie Kleidung sind Grundbedürfnisse, die in Wohlstandsgesellschaften zum Genussmittel avancieren. Wir kultivieren das eine wie das andere, um es anschließend zu konsumieren. Mal schneller, mal langsamer: Nach dem Fastfood-Boom der Achtzigerjahre sehen wir nun Biomärkte von der Größe eines McDonald’s mit Drive-in. Kein Zufall, dass auf die flächendeckende Versorgung mit Zara- und H&M-Filialen nun der Wunsch nach ökologisch hergestellter Mode folgt. Beide Märkte folgen den gleichen gesellschaftlichen Strömungen. In den letzten Jahren haben sie sich immer mehr angenähert oder sogar gegenseitig befruchtet.
Pradas legendäre Bananenhemden aus dem Jahr 2011, Geldbörsen in Apfel- und Zitronenform von Hermès – Früchte waren stets eine dankbare Inspiration für Stoffe und Accessoires. Wie Blumen- oder Tiermuster kehren solche natürlichen Motive immer wieder in die Mode zurück. Es muss aber nicht nur biologisch-dynamisch sein: Vor einigen Jahren entwarf der Amerikaner Jeremy Scott für Moschino eine McDonald’s-Kollektion inklusive Fritten-Täschchen. Diesen Sommer bedruckten Dolce & Gabbana Kleider und Handtaschen mit Spaghetti und Waffeleis, ein Entwurf war flächendeckend mit dem stilisierten Etikett einer Dose geschälter Tomaten überzogen. Schon klar, alles made in Italy. Dolce & Gabbana schlachten seit Längerem jeden Winkel ihrer Heimat aus, vor allem das Pasta-Kleid des Designerduos wurde tausendfach fotografiert. »Essen war noch nie so sehr in Mode wie in den letzten Jahren«, sagt Elle Lasher, Trendforscherin von der Agentur WGSN. »Das haben jetzt auch die Modefirmen verstanden.«
Das schlägt sich auch bei Instagram nieder. Neben den üblichen Selfies und Palmen am Strand begegnet einem dort jede Menge »Food Porn«: Appetitlich inszeniertes Essen, Menschen, die zubeißen, saftige Close-ups von der selbst zubereiteten Mahlzeit oder dem Teller aus einem nennenswerten Restaurant als zur Schau gestellte Gradmesser der eigenen Genussorientierung. Kleidung wie Nahrung sind in dieser hedonistischen Welt offensichtlich mehr als körperliche Grundbedürfnisse.
»Klar essen wir noch, um zu überleben, aber alles, was darüber hinaus geht, ist Lifestyle«, sagt der kanadische Wirtschaftsjournalist David Sax, Autor des Buches The Tastemakers über Trends in der Foodindustrie. Der Jahrgangswein, Sprudelwasser aus der Dose von LaCroix, diese handgeschlagene, geprägte Butter aus der Almhütte in Südtirol – alles Statussymbole. »Angeben konnte man mit Essen früher auch schon, aber anders als die Kleidung, die man trägt, sah man die Mahlzeiten nur im Privaten«, sagt Sax. Durch Internet und Social Media sei auch dieser Bereich öffentlich geworden und funktioniere mehr und mehr nach den gleichen Mechanismen.
Man schmückt sich mit Essen wie mit modischen Accessoires, im besten Fall werden diese Produkte dann auch zu Bestsellern. Prominentes Beispiel: Das Croissant, das ein französischer Bäcker in New York wie einen Donut in eine Fritteuse voll Traubenkernöl tunkte und damit quasi eine Massenhysterie auslöste. Nachdem ein Food-Blog über diesen fabelhaften »Cronut« berichtet hatte, standen die Leute bereits im Morgengrauen Schlange. Als der Bäcker die Stückzahl auf zwei pro Kopf limitierte, wurden auf dem Schwarzmarkt bis zu hundert Dollar für den frittierten Plunder gezahlt. Im Internet sah man Bilder von Leuten, die im Müll nach verkohlten Cronuts suchten. Mehr Must-have geht nicht. Eine weitere Folge der sozialen Medien – die Geschmäcker wechseln beim Essen wie in der Mode immer schneller, beobachtet Sax. Gestern Green Juice, heute Ceviche, morgen irgendeine exotische Post-Goji-Beere. Und anders als bei der Mode sind es auch viele Männer, die diesen Hunger nach Neuem verspüren. Warum Essen ein so dankbares Lifestyle-Produkt ist, ließ sich 2000 in der Fernsehserie Sex and the City beobachten. Neben all den Manolo-Blahnik-Highheels waren in einer Folge zwanzig Sekunden lang Cupcakes zu sehen. Kleine, hübsch verzierte Küchlein, kein Hexenwerk – aber zur Abwechslung etwas, was sich jeder leisten konnte, der mal ein Stück Sex and the City-Glamour kosten wollte. Der Umsatz mit Cupcakes sei daraufhin in Amerika innerhalb von vier Jahren um 56 Prozent gestiegen, schreibt David Sax. Ob das nur an der Fernsehserie lag? Schwer zu beweisen. Jedenfalls hielten Fan-Busse auf den Spuren der Serie an der gleichen kleinen Bäckerei, wo die Heldinnen Carrie und Miranda ihre Cupcakes in der Hand gehalten hatten.
Kooperationen, wie sie die Mode sowieso ständig mit anderen Marken eingeht, werde es deshalb in Zukunft mehr und mehr auch bei Lebensmitteln geben, vermutet die Trendforscherin Elle Lasher. Aktuelles Beispiel: die Magnum x Moschino-Edition. Das Eis bekam eine hübsche Verpackung verpasst, Modedesigner Jeremy Scott, Creative Director von Moschino, führte Regie beim Werbespot, in dem das Model Cara Delevingne, in Moschino gekleidet, das Eis am Stil wie eine Luxustrophäe durch die Straßen von New York trägt.
Modemarken verstehen sich heute als Rundum-Anbieter, die für jede Lebenslage die passende Produktwelt bieten. Wer bereits Teller, Tabletts und Stühle im Programm hat, kann auch gleich bei der Gastronomie weitermachen. Vorreiter Armani eröffnete 1989 sein erstes »Armani-Café« in London. In den vergangenen Jahren hat so ziemlich jede Marke nachgezogen. Auswärts essen boomt, in Amerika gaben die Menschen vergangenes Jahr zum ersten Mal mehr Geld in Restaurants als in Supermärkten aus. Prada ließ seine »Bar Luce« im hauseigenen Museum in Mailand von Filmregisseur Wes Anderson entwerfen. In Ralph Laurens Ladenlokal »Ralph’s« in London und Paris soll das gleiche saisonale Essen und Angus-Rind wie auf der Familienranch in Colorado gereicht werden. Bei »Thomas’s« im Londoner Burberry-Store kann man den britischen Afternoon Tea zelebrieren – nicht zufällig mit Blick auf die Geschenkeabteilung.
Selbst gekocht wird nämlich weniger, um den Umsatz mit Fünf-Pfund-Gebäck zu steigern, sondern vor allem, um mehr Mode und Accessoires zu verkaufen. Während das Online-Geschäft weiter boomt, gehen immer weniger Leute in die riesigen Flagshipstores oder verbringen dort deutlich weniger Zeit. In Amerika ist von der »Einzelhandels-Apokalypse« die Rede. Auch in Deutschland fielen die Umsätze in Kauf- und Warenhäusern zuletzt oder stagnierten. Untersuchungen zeigen: Wer sich länger in einem Laden aufhält, kauft am Ende auch mehr. Also müssen die Kunden dazu verführt werden, wieder länger zu bleiben.
Selbst H&M hat jetzt in seinem neuen Vorzeigegeschäft in Barcelona einen Ableger des Restaurants »Flax & Kale« eingerichtet, stadtbekannt für moderne, gesunde Küche – »Fast Fashion« setzt auf »Slow Food«. Auch der neue H&M-Ableger Arket, der gerade in London eröffnet hat und einen Laden in München plant, wird in den großen Läden ein Café anbieten, mit nordischer Küche und »ihrer Vision des healthy living«, wie es in der Pressemitteilung heißt. Wer tatsächlich nur des gesunden Essens wegen dorthin geht, kommt zwangsläufig an den neuesten Blusen, Hosen und Kleidern vorbei.
Fehlt nur noch, dass Modemarken eigene Lebensmittel auf den Markt bringen? Ist längt der Fall: Armani hat Schokolade und Pralinen mit Logoprägung im Programm. Die französische Marke A.P.C. verkaufte Olivenöl in silbernen Dosen in ihren Läden. Vor drei Jahren sah man in Food- Zeitschriften Bilder von Salami mit Louis-Vuitton-Logo-Pelle, Joghurt-Becher von Tiffany im berühmten Türkis, Gewürzgurken mit Gucci-Logo. Sah köstlich aus, war allerdings alles ungenießbar. Die fiktiven Produkte stammten aus der Ausstellung Wheat is Wheat is Wheat des in Tel Aviv lebenden Künstlers Peddy Mergui, der damit thematisieren wollte, wie begehrenswert Marken in unserer Gesellschaft geworden sind. Taugt ein Kilo Mehl als Trophäe, wenn es von Prada kommt? Würden wir wirklich Designer-Essen kaufen, weil die Verpackung so hübsch aussieht?
Wahrscheinlich ja. Als Karl Lagerfeld einmal die Chanel-Show im Set eines riesigen Supermarkts inszenierte, standen Hunderte Fantasieprodukte als Dekoration in den Regalen: »Eau de Chanel«-Mineralwasser, »Coco Pops«-Getreideflocken, Marmeladen, Tee, Cracker – alles mit gut sichtbarem Chanel-Logo. Nach der Laufstegpräsentation begannen die Gäste, selbst die Prominenten darunter, sofort, sich selbst zu bedienen. Sie kamen mit ihren Einkaufskörben nur bis zu den Sicherheitsleuten am Ausgang, die zur allgemeinen Enttäuschung weder Charme, Cash noch Kreditkarte akzeptierten. Dass die Verpackungen ohnehin nicht enthielten, was sie versprachen, sondern leer waren – diese Nebensächlichkeit störte kaum jemand aus dem modehungrigen Publikum.
Foto: David Brandon Geeting