Ob er ein Scharfmacher sei? Ein Populist, Provokateur, Rechtsaußen? »Wer mich kennt, weiß, dass mich diese Beschreibungen nicht richtig charakterisieren«, sagt der CSU-Politiker.
Macht es ihn stolz, dass er von einem renommierten Club weggegangen ist, um jetzt bei einem noch renommierteren zu sein? »Natürlich ist Real Madrid als ganze Marke, weltweit betrachtet, noch mal größer als die Bayern. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich auf so etwas nicht schaue«, sagt der Fußballspieler.
Dass sich das Kapitalmarktgeschäft seiner Bank künftig nach den Wünschen der Kunden richten solle – fordert er das nur, um die deutsche Öffentlichkeit zu beruhigen? »Wer mich kennt, weiß, dass das kein Lippenbekenntnis ist«, sagt der Chef. Es ist wichtig, dass man Leute kennt. Noch wichtiger ist allerdings, dass man Leute kennt, die einen kennen. Und zwar nicht nur von Weitem, vom Sehen, Bewundern oder Kritisieren, sondern wirklich. Leute, die wissen, wie es ganz tief drinnen aussieht, dort, wo das wahre Ich sitzt. Die wissen, dass Markus Söder keinesfalls so skrupellos ist, wie die Medien annehmen, dass der wahre Toni Kroos, als er zu einem zahlungskräftigeren Verein wechselte, nur eine neue persönliche Herausforderung suchte, und dass der Vorstandsvorsitzende der kriselnden Deutschen Bank, John Cryan, eine ganz ehrliche Haut ist.
Die »Wer mich kennt …«-Masche ist in diesen Tagen sehr beliebt unter Prominenten. Nicht nur können sie, wie in den zitierten Interviews, sich vom ruppigen Image distanzieren, Bodenständigkeit beweisen oder verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Auch lässt sich damit Integrität untermauern (Martin Schulz: »Wer mich kennt, weiß, dass ich sicher nicht zum Brüsseler oder Berliner Establishment gehöre«) oder ein wilderes Bild von sich zeichnen, als man es einem sakkotragenden Schriftsteller zutrauen würde (Richard Ford: »Die meisten Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich ein Mensch mit angeborener Neigung zur Gewalt bin«). Eine rhetorischer Generalschlüssel.
Besonders Politiker lieben den Trick. Sie begeben sich damit auf Augenhöhe mit dem Bürger, sie werden zu normalen Menschen mit einem Privatleben und mit Vertrauten – und wer Vertraute hat, muss ja irgendwie liebenswürdig sein, sonst wäre er einsam und hätte niemanden, der ihn gut genug kennt, um zu wissen, dass was auch immer. Werden Politiker angegriffen, flüchten sie argumentativ gern in dieses eigene Nest, sie wählen den Rückzug ins Private, der keinen Widerspruch erlaubt und keinen Faktencheck nach sich ziehen kann. Und noch besser: »Wer mich kennt, weiß, dass …« bedeutet ja zugleich: »Wer mich nicht kennt, weiß natürlich nicht, dass …« beziehungsweise der weiß eigentlich gar nichts, es ist eine der höflichsten Formen der Herablassung.
Am dreistesten hat diesen Trick natürlich der präsenteste aller Menschen genutzt. Nachdem im vergangenen Herbst der Mitschnitt eines jahrealten, aber zeitlos geschmacklosen Gesprächs publik geworden war, in dem Donald Trump schwärmte, er könne Frauen einfach so in den Schritt fassen, sagte er: »Wer mich kennt, der weiß, dass diese Worte nicht für das stehen, was mich ausmacht.«
Viele Wähler dürften durch diese Worte tatsächlich beruhigt gewesen sein – noch mal Glück gehabt, der Mann ist doch keine Arschgeige, er wurde nur in einer ungünstigen Situation erwischt, und die gnadenlosen Medien schließen nun wirklich von diesem einen Moment auf den Charakter dieses Mannes? Dass zu den Menschen, die Trump am besten kennen dürften, seine Ehefrau gehört, lässt immerhin daran zweifeln, ob sie seiner Beteuerung zustimmen würde: Mit Melania war er noch kein Jahr verheiratet, als er »grab them by the pussy« sagte.
Anderes Beispiel: Frauke Petry. Die sagte am Tag nach der Bundestagswahl über ihren Rückzug aus der AfD, mit dem sie partei-interne Konkurrenten düpierte: »Wer mich kennt, weiß, dass ich so etwas nicht spontan mache.« Vulgo: Ihr hättet es wissen können – würdet ihr zu meinen Freunden zählen.
Oder Joachim Herrmann. Der Innenminister von Bayern nannte Roberto Blanco einmal vor laufenden Kameras einen »wunderbaren Neger«. Aus so einer Geschichte kommt man sachlich nicht mehr raus. Darauf angesprochen, sagte der CSU-Politiker daher: »Roberto Blanco hat mir das übrigens gar nicht übelgenommen, er hat mein Zitat richtig verstanden. Wer mich kennt, weiß, dass ich gegen jede Form von Diskriminierung bin.« Nicht nur führt er unbeteiligte Freunde als Zeugen der eigenen Unschuld auf – er zählt auch das Opfer zu dem Kreis, der ihn schon richtig zu verstehen weiß. Das ist doppelt schlau.
Möglich, dass der Wer-mich-kennt-Trick mal faul wird. Es kann der Glaubwürdigkeit ja ziemlich schaden, wenn man in sozialen Netzwerken permanent auf Kumpel macht, im Ernstfall aber zum Publikum von oben herab eine klare Grenze zieht: Ihr denkt, ihr wisst über mich Bescheid? Ihr kennt mich bis hierhin und nicht weiter, Freundchen – das Wichtigste habe ich euch stets vorenthalten. Bis dahin kann man darauf warten, dass sich einer der angeblichen Zeugen mal meldet und widerspricht. Das Model Lena Gercke sagte: »Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu wenig esse – eher im Gegenteil!« Was, wenn da einer sagt: »Also ich kenne Lena supergut, und so wie ich sie kenne, isst sie pro Woche eine halbe Avocado.« Aber heißt das dann, dass auch ihre Nächsten die wahre Lena Gercke nicht kennen? Wer kennt die wahre Lena Gercke dann? Nur Lena Gercke? Und um was geht es eigentlich noch mal?
Wahrscheinlich möchten genau das die Menschen erreichen, die auf unbequeme Fragen mit dem eigenen Freundeskreis antworten: dass der Fragesteller kurz abgelenkt ist. Was hat Donald Trump noch mal angestellt? Egal, war eh ein Missverständnis, das hat er später ja auch gesagt: »Ich entschuldige mich, falls sich irgendjemand angegriffen fühlen sollte.«
Noch so ein moderner Klassiker: Ich habe euch gar nicht beleidigt, ihr seid nur zu empfindlich. Wer Trump kennt, weiß, was er eigentlich meint, nämlich: Sorry für nichts, ihr Pussys.
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