Jetzt aber schnell, bevor die Malediven alle weg sind. Muss ja schlimm um die Inseln bestellt sein, wenn der Präsident schon Geld für einen Umzug aufs Festland sammelt. Der Untergang - hat er etwa schon begonnen?
Sobald man am Flughafen von Malé auf den ruhigen Indischen Ozean blickt und ein Boot besteigt, ist die Angst weg. Malé ist Hauptstadt und Hauptinsel der Malediven und besitzt eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt: 120 000 Menschen leben auf zwei zubetonierten Quadratkilometern, mit 30 000 Motorrollern. Vor und um das hässliche Malé liegen all die Inseln, nach denen sich Menschen aus aller Welt sehnen: 87 Hotelinseln, die allein Touristen vorbehalten sind, Trauminseln. Baros zum Beispiel. Diese Hotelinsel gehört zum Nord-Malé-Atoll. Sie liegt nur 25 Minuten mit dem Boot von Malé entfernt, ist gerade 200 mal 250 Meter lang, ein Rundgang dauert 20 Minuten. Die größte Gefahr auf Baros: Kokosnüsse. Ein eigener Palmenbeauftragter klettert jeden Tag die Stämme hinauf, um lockere Kokosnüsse und Blätter zu schlagen. Ansonsten: Drei Restaurants, eine Freiluftbar unter Palmen, die Hotelbungalows mit Klimaanlage und Freiluftdusche bieten Platz für 150 Paare und liegen auf Pfählen über dem Wasser oder direkt am Sandstrand. Ungefährliche Weißspitzen-Babyhaie schwimmen ganz nah heran. Die Fischgerichte in den Restaurants sind exzellent, die Weinkarte ausgesucht, das Personal lächelt, man isst unter Sternenhimmel auf Betonstelzen über türkisblauem Wasser, ohne Geländer, man darf sich sicher fühlen im Indischen Ozean. Luxus und Idyll machen Baros zum begehrten Ziel für Flitterwochen. Alles ganz großartig, solange man nicht allein unter lauter verliebten Paaren an der Bar steht. Von Untergangsstimmung ist auf Baros jedenfalls nichts zu spüren. Zumindest über Wasser.
Baros liegt etwa einen halben Meter über dem Meer. Um 60 Zentimeter wird der Meeresspiegel noch in diesem Jahrhundert steigen, da sind sich die Wissenschaftler einig. Der Tsunami vor fünf Jahren überspülte schon die halbe Insel. Drei von etwa 1190 Malediven-Inseln in den 14 Atollen verschwanden damals endgültig im Meer. Allerdings sind nur 200 Inseln überhaupt bewohnt, jedes Jahr verschwinden ein paar, andere tauchen auf, ganz ohne Klimawandel oder Tsunami. Der Präsident der Malediven hat vor einem Jahr Alarm geschlagen: »Zuerst gehen wir unter, dann der Rest der Welt.« Die Nation müsse sich für den Untergang rüsten. Die Regierung will einen Fonds anlegen, um irgendwann einen Umzug für die Bevölkerung bezahlen zu können. Im Unterschied zu den Vorjahren hörte die Welt dieses Mal zu: Mohamed Nasheed, kurz Anni genannt, hatte gerade die Wahlen gewonnen. Einem Präsidenten glaubt die Welt eher als einem Oppositionspolitiker, auch wenn der zuvor zwölfmal verhaftet und gefoltert wurde. 400 Zeitungen aus aller Welt druckten die Meldung, Nasheed bereite den Exodus seines Volkes vor.
Alles ein großer PR-Gag? »Anni wollte nur auf die prekäre Lage der Malediven aufmerksam machen und um internationale Hilfe bitten. Panik wollten wir nicht verbreiten«, heißt es ein Jahr später dazu aus dem Büro des Präsidenten. Aufmerksamkeit bekam er konkrete Hilfe nicht. Ein Bürgermeister aus Australien bot über die Presse günstiges Bauland an, aber er nahm nicht einmal das Telefon in die Hand, um sein Angebot persönlich mitzuteilen. Anfang des Jahres hat Präsident Nasheed nun versprochen, die Malediven bis 2020 zum ersten CO2-neutralen Staat der Welt zu machen.
Das Hausriff von Baros liegt nur 25 Meter vom Strand entfernt. Taucher können vom Strand aus hinschwimmen, es ist der größte Luxus der Luxusinsel. Die Tauchschule verteilt nach jedem Gang unter Wasser verschiedene Stempel für gesichtete Fischarten. Die Tauchbücher auf Baros bersten vor Fischstempeln: zwei Meter lange Napoleonfische, die bei Bedarf das Geschlecht wechseln, Thunfischschwärme, Makrelen, Garnelen, Adlerrochen und scheue Grauriffhaie. Kleine giftige Steinfische, die gar nicht schwimmen können, watscheln auf den Korallen, Schaukelfische schaukeln sich langsam vorwärts. An der Außenriffseite liegen die Putzstellen, an denen sich bis zu vier Meter große Mantarochen von kleinen blauweiß gestreiften Putzerfischen säubern lassen. Thunfische und Haie haben ihre eigene Putzstelle. Das Riff leuchtet blau, rot, violett, in der Strömung wiegende Weichkorallen gehen über in feste Tischkorallen, fächerförmige Hornkorallen, baumförmige Geweihkorallen und Anemonen. Die Unterwasserwelt vor Baros scheint völlig intakt.
28 Grad ist das Wasser am Hausriff an der Oberfläche warm. Vor zehn Jahren erhöhte sich die Temperatur schon einmal schlagartig auf 33 Grad, wegen El Niño, jenem Wetterphänomen, das die Weltmeere in unregelmäßigen Abständen immer wieder erhitzt. Viele Korallen starben ab und blichen aus. Die meisten Rifffische verschwanden. Sechs Jahre dauerte es, bis sie nach Baros zurückkehrten. Alle Riffe des Nord-Malé-Atolls hätten sich inzwischen vollständig erholt, erzählt Ronny van Dorp, der die örtliche Tauchschule betreibt.
»Die Korallen sind gestresst, sie sterben bei kleinsten Störungen im Ökosystem oder leichten Berührungen ab, aber noch ist vom Klimawandel unter Wasser nichts weiter zu merken, zumindest im und um das Nord-Malé-Atoll«, sagt der holländische Tauchlehrer, der seit zwölf Jahren auf den Malediven lebt. Auf den Monsun ist kein Verlass mehr, auch Haie und Thunfische sind nicht mehr regelmäßig an ihren angestammten Plätzen anzutreffen. Aber industrieller Fischfang ist auf den Malediven verboten, die Bestände erholen sich.
Nein, den Bewohnern der Malediven und allen, die noch mal hinwollen, bleibt noch Zeit bis zum Untergang. Allerdings weiß niemand, wie viel genau.
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Übernachten Eine Woche auf Baros inklusive Flug ab München und Transfers ab 2286 Euro, über Art of Travel, Tel. 089/211 07 60, www.artoftravel.de.
Essen Fisch und Currys in den drei Inselrestaurants.
Unbedingt tauchen oder wenigstens schnorcheln. Pro Tauchgang ab 35 Euro, bei Ronny van Dorp, Baros, Tel. 00960/664 45 65, www.baros.com/diving.php.
Olivier Kugler (Illustration)