Italienisch für Fortgeschrittene

Es wäre so wunderbar, wenn man schöne Dinge noch mal zum ersten Mal erleben könnte. Zum Beispiel die Toskana. Geht doch: Fahren Sie einfach in die Marken.

Toskana für Arme

Als zurückgeblieben gelten die Bewohner der Marken im Rest Italiens. Sagt Umberto Eco, der sein Urlaubshaus an der nördlichen Grenze zu den Marken hat, hinter Rimini, in der Emilia-Romagna. Eco hat hinzugefügt: Die Menschen sind wirklich einfach, aber ungewöhnlich herzlich und liebenswert. Die Region ist in vielem hinterher: Viel später als in der Emilia-Romagna kamen Touristen an die langen Sandstrände der Marken, nördlich von Ancona und im Süden bei San Benedetto del Tronto. Später als in der Toskana kauften Engländer, Belgier und Deutsche verfallene Natursteinhäuser im Landesinneren von Italienern, die ans Meer zogen; Toskana für Arme nennt man die sanfte Hügellandschaft auch deswegen. Erst in den Siebzigerjahren entdeckte man die Grotten von Frasassi, mit Höhlen so hoch, dass Notre-Dame hineinpassen würde. Noch immer ziemlich unbekannt sind das Opernfestival in Macerata und siebzig historische Theater. So arm sind die Marken gar nicht.

Frisch aus dem Wald

Meistgelesen diese Woche:

An den besten Restaurants der Marken fährt man erst mal vorbei. Trüffelnudeln in einem Holzverschlag mit Plastikstühlen davor an dieser gottverlassenen Straße? Wildschwein in der Kaschemme einer Tankstelle? Frischer Fisch in einer windigen Strandbude? Das kann doch nicht wahr sein? Doch, ist es. In dem Holzverschlag kocht ein mürrischer Koch in roten Hosen Penne aus Kastanienmehl mit Knoblauch und eigenartigen Bohnen, die nur in dieser Gegend wachsen. Auf seinem Vorspeisenteller finden sich wilder Spargel und ein Kraut namens Vitalba, das wuchert hier im Wald (»La Pianella« in Serra San Quirico). Die einsame Trattoria in der Tankstelle hat nur mittags geöffnet, und entweder ist Fisch- oder Fleischtag, aber die Leute kommen gern von weit her, denn außer von Benzin und Wildschwein versteht man auch was von Weinmachen (Sparapani bei Cupramontana). Die Strandbude in Senigallia mit dem tollen Fisch heißt »Da Carlo«. Der leichte weiße Verdicchio, der so gut dazu passt, ist inzwischen auch im Ausland bekannt, wie auch allmählich der Rosso Conero, ein eher günstiger Rotwein. Der teuerste mit dem Namen »Afro« kostet 130 Euro und kann mit weit berühmteren Bordeaux mithalten. Alberto Serenelli verkauft ihn in einer Garage irgendwo am Rande von Ancona. Man macht wirklich um nichts viel Aufhebens in den Marken.

Der deutsche Mann und das Meer

Wenn man im Mai oder September jemanden im Meer vor San Benedetto del Tronto schwimmen sieht, dann ist es mit Sicherheit jemand aus Deutschland. Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutsche Frau. Ein deutscher Schriftsteller hat San Benedetto für deutsche Frauen entdeckt, Hanns-Josef Ortheil schrieb Die große Liebe im Jahr 2003, seine Leserinnen suchen seitdem die Stätten dieses Romans auf: das kleine San Benedetto mit den Palmen an der Strandstraße und einen alten Vogelbeobachtungsturm in der angrenzenden Sentina, einem Naturreservat im äußersten Süden der Marken. 180 Kilometer Strand haben die Marken, nur südlich von San Benedetto, in der Sentina, blieben ein paar Kilometer Küste unbebaut. Auch das haben die Marken einem Buch zu verdanken: Albano Ferri, ein Naturschützer, schrieb es über die Geschichte der Sentina. 15 Jahre arbeitete er daran und konnte in dieser Zeit auch alle Begehrlichkeiten nach neuem Bauland abwehren. Gegen die Nacktbader, die den dazugehörigen Strand allmählich erobern, ist Ferri machtlos.

Architektur und Fußball

In den Marken gibt es viele Kleinstädte aus der Antike und dem Mittelalter: Urbino, Jesi, San Costanzo, Camerino – es ließe sich endlos darüber streiten, welche die schönste ist. Über den schönsten Platz herrscht Einigkeit: die Piazza del Populo in Ascoli Piceno, ganz im Süden am Rande der Marken. 35 Kilometer liegt die Stadt vom Meer und San Benedetto entfernt und hat nur zwei größere Hotels. Den Menschen reicht es meist schon, sich einmal in das Jugendstilcafé »Anisetta Miletti« an der Piazza zu setzen. Dort trinkt man süßlichen Anisschnaps und isst frittierte Oliven, gefüllt mit Fleisch, Huhn oder Fisch. Die Idylle in Ascoli ist diesen Sommer getrübt: Das Café wird gerade renoviert, und der örtliche Fußballverein aus der zweiten Liga ist in den italienischen Wettskandal verwickelt.

Adressen über www.enit.it und www.turismo.marche.it

Fotos: Marcus Gaab