Die Griechen, flüstert man sich in Peking zu, die hätten das ganz locker gesehen: Als sie Hostessen suchten, die den Olympiasiegern in Athen ihre Medaillen umhängen sollten, machten sie keinen Aufstand. Suchten einige ansehnliche Exemplare aus dem Heer der Freiwilligen aus. Führten ein kurzes Interview. Alles ganz entspannt. Einem chinesischen Funktionär läuft es da kalt den Rücken hinunter. Dies hier ist die Volksrepublik China! Die Olympischen Spiele sind eine Frage der Nationalehre! Nichts darf schiefgehen. Schon gar nicht der Moment, in dem ein Sieger die Medaille bekommt.
Und so steht die 20-jährige Chen Yunie nun jeden Tag um sechs Uhr auf. Der Drill beginnt mit einem Dauerlauf in der Pekinger Sommerhitze. Das anschließende Training wird bis halb neun abends dauern, und auch das würde jeden Leistungssportler zum Schwitzen bringen. Willkommen im Ausbildungslager der 337 Olympia-Hostessen. Seit einem Jahr trainieren junge Chinesinnen jeweils für mehrere Wochen in einem Camp am Rande von Peking. Eingeteilt sind sie in Gruppen von sieben, mit jeweils einer Gruppenführerin. Die Zahl Sieben erklärt sich so: Drei Mädchen werden für das Halten der Tabletts ausgebildet, auf denen drei Medaillen liegen: Gold, Silber, Bronze. Drei weitere werden den Athleten die Medaillen um den Hals hängen. Eine weitere soll das Siegertrio zur Tribüne geleiten.
Vor ein paar Monaten war Chen noch Studentin an der East China Normal University in Shanghai. Dann kamen Olympiafunktionäre und suchten aus 3000 Mädchen in der Stadt 40 aus, nach strengsten Kriterien. Alter: zwischen 18 und 24. Maximal 55 Kilo schwer. Größe: 1,68 bis 1,78 Meter. Die Augenlänge durfte »drei Zehntel des Gesichtes« betragen. Die Figur: nicht zu dünn, nicht zu dick. Gesunde Hautfarbe. Die Nase nicht zu kurz. »Sie haben auch unsere sprachliche Ausdrucksfähigkeit getestet«, sagt Chen. Da hatte sie keine Schwierigkeiten, schließlich studiert sie Chinesisch als Fremdsprache. Die anderen 297 Hostessen stammen aus Peking.
Offensichtlich hat sich die Kommunistische Partei auch hier auf die »5000 Jahre alte chinesische Geschichte« besonnen, die sie so gern beschwört. Und dabei besonders auf die Ming-Zeit, in der die Konkubinen des Kaisers ähnlich ausgesucht wurden. Damals wählten Eunuchen 5000 bis 6000 Mädchen aus, zwischen 13 und 16 Jahre alt. Checkten Haare, Haut, Figur. Da schieden 2000 aus. Die Mädchen mussten auf- und ablaufen, ihren Namen deutlich aufsagen. Wieder ein paar weg. Hofdamen befühlten ihre Körper. Da waren’s nur noch 50. Drei davon schafften es ins kaiserliche Schlafgemach.
Im Jahr 2008 haben Stöckelschuhe die Plateausohlen der Ming-Dynastie abgelöst. »Die Körperbau-Stunde (xingti ke) ist die anstrengendste«, sagt Chen Yunie. »Wir müssen in Stöckelschuhen stehen und laufen lernen.« Das Stehen haben sie geübt, indem sie sich ein Buch auf den Kopf legten und ein Blatt Papier zwischen die Knie klemmten. »Davon hatte ich tagelang Muskelkater.« Seit Reporter daran herumgemäkelt haben, ist dieser Drill abgeschafft worden.
Was übrig ist, hat es aber immer noch in sich. Nach dem Dauerlauf üben die Mädchen Lächeln: Genau sechs bis acht Zähne dürfen sie zeigen – wer das nicht schafft, muss sich ein Essstäbchen zwischen die Zähne klemmen. Später trainieren sie Bücken: 90 Grad, 60 Grad, 45 Grad. Danach stehen Ballett auf dem Plan, traditioneller Tanz und Etikette.Die chinesische Führung hat nichts dem Zufall überlassen. Bettler sind vertrieben, 40 Millionen Blumentöpfe aufgestellt, Dissidenten ins Gefängnis geworfen worden. Fabriken stehen still, damit der Smog nachlässt. Und auch das Lächeln der Hostessen wird perfekt sein. Wir sind hier schließlich nicht in Griechenland!