Von den Songwritern, deren Lieder bekannter sind als ihre Namen, ist Lee Hazlewood einer der berühmtesten. Er wurde am 9. Juli 1929 in Oklahoma geboren und wuchs in Texas auf. Erste Erfolge gelangen ihm als Produzent und Songwriter für Sanford Clark und Duane Eddy, bekannt wurde Lee Hazlewood aber erst, als andere Interpreten seine Lieder sangen: Elvis Presley, Frank Sinatra, Dean Martin. Ende der Sechziger verhalf er Sinatras Tochter Nancy mit Liedern wie »Some Velvet Morning« und »These Boots Are Made for Walking« zu Welterfolgen. Obwohl er sich schon als junger Mann immer wieder »selbst in Rente schickte«, hörte Hazlewood nie auf, Musik zu komponieren. Außerdem veröffentlichte er ein gutes Dutzend eigene Alben, die von seiner lakonisch-sonoren Whiskeystimme geprägt waren. Um die Jahrtausendwende gelang ihm mit mehreren Europa-Tourneen und neuen Alben ein überraschendes Comeback. Hazlewood lebte in Spanien, Schweden, Deutschland und überall in den USA; inzwischen wohnt er in Las Vegas. Er ist in dritter Ehe mit der Deutsch-Amerikanerin Jeane verheiratet. Sein letztes Album »Cake or Death« erschien im Dezember 2006.
SZ-Magazin: Mr. Hazlewood, es heißt, Sie bekommen ein neues Medikament – so neu, dass es noch keinen Namen hat. Lee Hazlewood: Helfen wird es nicht. Ich habe Nierenkrebs, und dagegen gibt es kein Mittel. Von einigen Tabletten bekommt man Pickel am Arsch. Das nervt. Und mir wird ständig schlecht. Zum Kotzen.
Haben Sie jemals daran gedacht, die Tabletten abzusetzen? Ich bin nicht tapfer. Ich habe jede Tablette, die es auf diesem Planeten gibt. Und ich nehme sie alle.
Wann haben Sie erfahren, dass Sie Krebs haben? Vor anderthalb Jahren. (Hazlewood zündet sich eine Zigarette an.) Vielleicht etwas früher. Erst haben sie mir eine Niere weggenommen, dann hat sich der Krebs überallhin ausgebreitet, in die Knochen, in mein Blut. Genießen Sie die Anwesenheit Ihrer Familie oder wären Sie lieber allein? Solange wir Witze machen, ist es okay. Das ist der Trick. Man muss lachen. Manchmal merke ich, wie schwer das meiner Frau fällt, aber Jeane reißt es immer wieder herum und macht einen Scherz, über den wir beide lachen. Hätte ich diese fantastische Frau schon vor 20 Jahren gefunden, wäre ich heute ein reicher Mann. Als ich erfuhr, dass sie zur Hälfte irische und zur Hälfte deutsche Wurzeln hat, wusste ich, warum wir ein Paar wurden. Erst hat sie mich besoffen gemacht und dann erobert!
Kann man immer über alles lachen? Humor ist ein absolutes Muss, er gehört zur Show und wir führen sie für uns und für meine Enkelkinder auf. Wissen Sie, ich mache das hier zum ersten Mal: sterben. Ich bin geboren worden, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Und jetzt sterbe ich, aber ich bezweifle, dass ich mich daran erinnern werde. An die Scheißschmerzen, an die erinnere ich mich jetzt. Aber das Sterben kann man wohl vergessen.
Warum haben Sie immer so gern und so viel Scotch getrunken? Jetzt verrate ich Ihnen mal ein Geheimnis. Alle haben immer gedacht, der Hazlewood geht in die Kneipe, weil er seinen Scotch braucht. Das stimmt nicht. In erster Linie war ich in Bars, um den Leuten heimlich zuzuhören. Wir zwei könnten uns an den Tresen setzen und unterhalten. Ich würde Ihnen zuhören, antworten – und die ganze Zeit lang abspeichern, was der Typ da hinten redet. Ich kann das, denn ich habe es über Jahrzehnte geübt. Das macht mir großen Spaß. Daraus sind wenigstens ein Drittel meiner Lieder entstanden.
Sie arbeiten bei Ihren Liedtexten oft mit Pausen und Gegensätzen. Da gibt es eine Zeile, dann eine Pause, und dann kommt ein Wort, das den Sinn entweder völlig verkehrt oder sonstwie verändert. Ja, das ist lustig, nicht wahr? Sie haben mich erwischt.
Dachten Sie schon immer gern über Gegensätze nach? Ich liebe es. Der Titel meines letzten Albums Cake or Death drückt das ebenfalls aus. Er entstammt einem Sketch des englischen Komikers Eddie Izzard. Hätte die Spanische Inquisition in England stattgefunden, wären die Leute vom Bischof gefragt worden: Willst du sterben oder mit mir Tee trinken und Kuchen essen? Die Leute nehmen natürlich den Kuchen. Und wenn der alle ist, ganz höflich und britisch, kommt der Tod noch immer nicht, dann gibt es erst noch Hühnchen.
Ihr bester Freund und langjähriger Songwriting-Partner Al Casey ist neulich gestorben. Vor Kurzem. Wir haben einen Tag vor seinem Tod noch telefoniert. Er hat überhaupt nicht damit gerechnet, er war zwar sehr krank, aber er dachte, er komme noch mal davon. Am Tag, als er starb, hatte er Besuch von seinen Kindern, sie wollten gemeinsam im Krankenhaus frühstücken. Er schickte sie in die Kantine, um das Essen zu holen, und als die Kinder wiederkamen, war er tot. Das ist kein schlechter Abgang, finde ich. Die gehen runter, er geht rauf.
Haben Sie mit ihm über den Tod gesprochen? Nein, nie. Die einzigen Momente, in denen Gott bei uns ein Thema war, waren die, wenn einer von uns dem anderen im Studio zubrüllte: »Jesus, kannst du das nicht besser spielen?« Mich hat überrascht, dass er verbrannt werden wollte. Das will ich auch.
Warum? Die Indianer verbrennen ihre Toten, und das ist gut genug für mich. Außerdem will ich keinen Platz wegnehmen, es ist eh viel zu voll hier auf der Erde, um gutes Land mit toten Körpern zu belegen, nein. Und am Ende fressen die Würmer an einem herum. Ich will keine blöden Würmer, die an mir nagen.
Von dem deutschen Produzenten Bert Kaempfert, der gern in Kasinos spielte, erzählt man sich, dass er ausgerechnet am Abend vor seinem Tod noch mal richtig viel Geld gewonnen habe. Seine Freunde sagten: Schön, dass er mit dem Gedanken, gewonnen zu haben, gegangen ist. Ich habe nur den Tag danach geplant. Alle Freunde sollen kommen oder werden eingeflogen. Dann wird meine Urne in mei-ne Lieblingsbar in Phoenix gestellt. Alle sollen sich besaufen und Lee-Hazlewood-Geschichten erzählen.
Sie haben vergangenes Jahr eine Art Roman über Ihre Zeit als Produzent von Nancy Sinatra herausgebracht. Schreiben Sie momentan an etwas? Ich schreibe noch Songs, aber nicht mehr so intensiv wie früher. Wegen meiner Termine im Krankenhaus in Phoenix verpasse ich jetzt zur Football-Saison blöderweise alle Spiele, aber ich zeichne sie auf. Auf dem Fernseher da drüben im Wohnzimmer können Sie übrigens auch Ihren deutschen Fußball gucken. Den Kanal habe ich extra für meinen Besuch gekauft, als Weltmeisterschaft war.
Haben Sie das Endspiel geguckt? Um Gottes willen, ich doch nicht. Aber als ich hier meinen Geburtstag gefeiert habe, sollten alle eine feine Zeit haben, immerhin war das mein letzter. Nur für die Europäer habe ich diesen blöden Fußballkanal gekauft. Wissen Sie, was mich das gekostet hat? 13 Dollar, nur für den Kanal!
Geld ist anscheinend noch nicht egal. Es ist das einzig Wichtige. Ich schreibe Lieder, um Geld zu verdienen. Das ist mein Beruf. Sie können das Kunst nennen. Ich nenne es meinen Lebensunterhalt. Es macht mich schon glücklich, wenn ich was gemacht habe, das älter wird als ich. Aber ich will auch schwer hoffen, dass ein paar meiner Lieder die Zeit überdauern. Ich habe eine Riesenfamilie, die soll von den Tantiemen leben können.
Und für wen schreiben Sie wirklich? Nur für mich. Ich versuche nicht, jung zu schreiben. Ich versuche nicht, alt zu schreiben. Manchmal schreibe ich für eine Gruppe von Menschen, die ich kenne, die verstehen, was ich meine, vorausgesetzt, sie bekommen das Lied je zu hören. Aber eigentlich habe ich immer nur für mich geschrieben.
Sie sind ein guter Songwriter? Inzwischen ja. Am Anfang war ich entsetzlich schlecht. Das Problem war aber: Mein drittes oder viertes Lied, The Fool, wurde sofort ein Hit. Deswegen glaubt mir ja auch keiner. Ich sage den Leuten immer: Haltet euch von diesem Geschäft fern, denn selbst wenn ihr gut seid, müsst ihr euch darauf vorbereiten, sehr, sehr lange zu warten, bis irgendwas Gutes dabei rumkommt.
Also hatten Sie bloß Glück? Als ich anfing, Ende der Fünfziger, waren die anderen Plattenproduzenten im Teenageralter. Ich war acht bis zehn Jahre älter als die. Aber ich hatte mein Teenagerherz und die nicht. Inzwischen habe ich als Produzent mehr als 70 Millionen Platten verkauft. Als Songwriter weiß ich das gar nicht genau, aber allein These Boots Are Made for Walking hat sich 25 Millionen Mal verkauft, das ist recht ordentlich.
Elvis, Dean Martin, Frank Sinatra haben Ihre Lieder gesungen. Sie haben Nancy Sinatra zu einer legendären Karriere verholfen. Gibt es etwas, was Sie als Songwriter hätten anders oder besser machen wollen? Ich wäre ein besserer Schreiber geworden, wenn ich eine unglücklichere Kindheit gehabt hätte. Alle anderen Kinder wollten so schnell wie möglich Erwachsene werden. Ich nicht. Ich wollte mein Leben lang nichts anderes sein als zehn Jahre alt. Noch heute ist das so.
Es gibt ein Lied auf dem neuen Album, da fragen Sie sich, ob es nach dem Tod noch Lieder zu singen gibt. Sie benutzen da auch das Wort »forever«. Wir reden oft von ewiger Liebe, ewiger Treue, der ewigen Seele. Ich sage: Lebe von einem Tag zum nächsten. Vermeide Ärger um jeden Preis. Vor allem, wenn du in einem Polizei-staat lebst, wie etwa den USA oder Deutschland oder Frankreich. Lebe dein Leben, als könntest du mit deiner Zunge die Ewigkeit schmecken.
Ist das Poesie? Was? So was fragen Sie ausgerechnet mich? Ich halte nichts von Poesie. Wer mit Gedichten sein Geld verdienen möchte, wird leiden – es sei denn, er fügt Musik hinzu. Mit einer schönen Melodie kann man nämlich prima verstecken, was für ein lausiger Poet man eigentlich ist.
Welche Lieder sind Ihnen am liebsten? Die subversiven, in denen ich alles so sage, wie es ist: Anthem etwa. Da heißt es: »Leute, ich habe in meinem Leben allen möglichen Mist gebaut, aber ich habe nie die Republikaner gewählt.«
Tatsächlich? Um Gottes willen, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Kein Hazlewood hat jemals die Republikaner gewählt, auch nicht mein Opa, der Richter war. Wir sind liberale Texaner.
Im Lied White People Thing malen Sie ein recht zynisches, böses Bild vom Leben in den amerikanischen Vorstädten. Ich finde es traurig. Das ist Amerika. Es bekümmert mich. Wir sind immer nur angeblich fair, nur angeblich geordnet, nur angeblich aufgeräumt. Wir lassen Einwanderer in unser Land, aber wir sind nicht bereit, sie auch fair zu behandeln. Wir sind nicht bereit, uns um die nächste Generation zu kümmern. Wir lassen unsere Kinder verblöden. Es wäre gut, wenn wir hier so vorurteilsfreie Schulen hätten wie die Schweden.
Sie sind in Ihrem Leben ständig umgezogen. Warum sind Sie jetzt ausgerechnet in Las Vegas gelandet? Ich zahle hier keine Steuern. Ich mag das Wetter. Und ich gehe gern ab und zu ins Kasino. Sehr gern sogar, eigentlich. Aber hören Sie, können Sie bitte mal schnell Jeane holen? Hazlewood wird schlecht. Seine Frau eilt von der Terrasse herbei. Sie hilft ihm auf, beide verschwinden im Bad. Eine halbe Stunde später bittet seine Frau darum, das Interview weiterzuführen: »Er möchte das.«
Lee Hazlewood: Tut mir leid, das passiert andauernd, machen wir weiter. Ich rede gern mit Ihnen. Sie tun mir einen Gefallen. Ich verspreche, ich werde während des Interviews nicht sterben, okay? Sehen Sie Ihren Tod als einen weiteren Umzug, etwa als einen Umzug der Seele? Meinen Sie, ich sterbe und nenne das bloß anders? Ich bin nicht religiös. Ich glaube an das, was mich meine halbindianische Großmutter gelehrt hat. Als ich noch klein war, verbrachte ich jeden Sommer bei meinen Großeltern. Alle anderen gingen am Sonntag in die Kirche. Meine Großmutter setzte sich auf die Veranda hinterm Haus, schloss die Augen und schwieg. In solchen Momenten war sie Gott nah. »Lee«, sagte sie mir, »du kannst nicht nicht glauben. Es gibt einen Geist, und der hat nichts mit meinem alten Körper oder deinem jungen Körper zu tun, und wenn du irgendwann mal denkst, wir Menschen sind ein Unfall, bist du ein gottverdammter Idiot.« Damit hatte sich die Sache mit der Religion für mich erledigt.
Ihre Enkelin Phaedra, acht Jahre alt, hatte vor zwei Wochen einen Herzinfarkt. Wie hat Sie das berührt? Sie ist mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen. Wenn sie elf oder zwölf ist, dann können die Ärzte operieren, früher nicht. Aber sie nimmt ihre Medizin, sie ist da sehr gut und artig. Sie kommt auf die Beine, das weiß ich. Sie haben mit Phaedra das Stück Summerwine neu aufgenommen. Meine Enkel sind Weltklasse. Phaedra musste neulich einen Aufsatz über den Menschen schreiben, den sie am liebsten hat. Wissen Sie, was die Kleine geschrieben hat? (Hazlewood ruft seine Frau Jeane, die ihm ein Blatt Papier bringt.) Hier, das müssen Sie hören. »Mein Großvater Lee Hazlewood: Lee Hazlewood singt sehr gern, aber jetzt ist er ein Rentner. Er ist in einem Krebs. Heute lebt er in Las Vegas, dorthin ist er aus Arizona umgezogen. Er reist in verschiedene Staaten. Nachts hat er schlimme Schmerzen. Er hat Boots Are Made for Walking geschrieben. Und Phaedra Is My Name. Dieses Lied hat er geschrieben, bevor ich geboren wurde. Er geht gern ins Kasino und spielt. Er nimmt mich auch mal mit, dann darf ich in den Kasino-Kindergarten.« Fantastisch, oder? Phaedra ist großartig. Sie weiß, man kriegt nie Ärger, wenn man bei der Wahrheit bleibt.
Woran werden Sie denken, wenn Sie heute Abend ins Bett gehen? Der Komiker George Burns hat das einmal sehr schön formuliert. Er sagte: »In meinem Alter kaufe ich keine grünen Bananen mehr.« So geht es mir auch. Ich plane nicht mehr. Schon gar nicht drei Tage im Voraus. So lange brauchen Bananen nämlich, bis sie gelb sind.