Ur-ur-ur-komisch

Otto Waalkes wird nächste Woche sechzig. Noch immer lacht Deutschland über seine blöden Witze. Warum eigentlich?

In diesem Text geht es um alte Witze, weswegen es angemessen erscheint, mit einem solchen zu beginnen. Also: »Ich habe gelesen, dass Alkohol nicht gesund sein soll«, ruft Otto in den voll besetzten Saal. »Da habe ich am nächsten Tag gleich aufgehört zu lesen!« Ach, du liebe Güte! Nichts gegen diesen Kalauer, aber Otto hat ihn schon seit Ewigkeiten im Programm.

Auch den Rest seines Auftritts in der Nürnberger Meistersingerhalle bestreitet Otto Waalkes – wie immer bekleidet mit Schlabberhemd, sackartiger Hose, Turnschuhen – zu großen Teilen mit Humormaterial weit jenseits des Frischedatums: Harry Hirsch und Richter Ahrens treten auf, der Koch Louis Flambé schmeißt Gemüse ins Publikum, und als der Satz »Der Kutscher kennt den Weg« ertönt, weiß jeder im Saal, dass Robin Hood sich sogleich als »Riecher der Verderbten, äh, Rechner der Vererbten« zu erkennen geben wird.

Gegen Ende des Programms kommen dann die Hänsel-und-Gretel-Parodien, mit denen Otto schon zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle glänzte, sowie als krönender Abschluss »Dänen lügen nicht«. Da schunkelt der ganze Saal zu Ottos Parodie eines Schlagers, der aus einer Zeit stammt, als Katsche Schwarzenbeck noch Vorstopper in der deutschen Nationalelf war und Bundeskanzler Schmidt gerade zu regieren begonnen hatte.

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Doch das Nürnberger Publikum lacht. Es lacht nicht nur, die Leute japsen vor Vergnügen. Selbst wenn Otto einfach nur jodelt, eine Fratze schneidet oder wie ein Kaninchen über die Bühne hopst, branden wahre Euphoriewellen durch die Sitzreihen. Otto – Das Original heißt die Show, und offensichtlich sind die Fans hier, um zu erleben, dass ihr Idol sich genauso verhält, wie man es erwartet, und dieselben Scherze erzählt, die alle ohnehin schon auswendig können.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Keiner muss ohne ausreichend »Holleriditi« nach Hause gehen.)

Ottos aktuelle Tournee begann im vergangenen Herbst und wurde in diesem Frühjahr mit Dutzenden Auftritten in großen Hallen weitergeführt – im 36. Karrierejahr hat Otto weiterhin als Publikumsmagnet zu gelten. Im Programmheft zur Tour wird dabei eine unmissverständliche »Warnung« ausgesprochen: Wer hoffe, »etwas anderes zu sehen als das, was er von Otto gewohnt ist, der wird enttäuscht werden«. Im Klartext: Keiner muss ohne ausreichend »Holleriditi« nach Hause gehen.

Doch das Publikum lacht. Dann ist ja alles wunderbar. Oder vielleicht doch nicht? Ottos sechzigster Geburtstag am 22. Juli mag Anlass sein, etwas eingehender über den Ostfriesen nachzudenken, der seit den Siebzigerjahren Deutschlands erfolgreichster Komiker ist.

Schon beginnen die Ehrungen auf ihn niederzuprasseln. Im Carlsen Verlag erscheint pünktlich zum Eintritt ins siebente Lebensjahrzehnt ein Sammelband mit dem Titel Otto – Das Werk, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hieß es, »mindestens eine Generation hat er mit seinen Witzen geprägt«. Und auf RTL lief bereits eine dreistündige Geburtstagsshow, in der verkündet wurde, Otto habe den »Grundstein für alles gelegt, was wir heute in Deutschland Comedy nennen«.

Und damit nicht genug: »Selbst die mutigsten und progressivsten Comedians«, behauptete der Laudator Christian Tramitz, »kratzen heute nur an Grenzen, die er gesetzt, oder an Tabus, die er schon lange gebrochen hat«. Es stimmt, Otto war einmal wahnsinnig modern. Doch aus dem Umstürzler ist ein Rumsülzer geworden, in dessen Programm die nostalgischen Momente jede zeitgemäße Komik ersticken. Einst befreite Otto den deutschen Humor, nun bescheißt er ihn.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Otto hat den deutschen Humor mit anarchischer Energie vollgepumpt und ihn für Nonsens, avancierte Wortkomik und gepflegte Ferkeleien geöffnet.)

Otto Waalkes’ Karriere ist schnell zusammengefasst: erfolgreiche Schallplatten ab 1972; erfolgreiche Fernsehshows ab 1973; Witz-bücher in Millionenauflage; gigantische Kinoerfolge, von Otto – Der Film (14,5 Millionen Zuschauer) bis 7 Zwerge – Männer allein im Wald (6,7 Millionen Zuschauer).

Mit Hilfe seiner Gagschreiber Bernd Eilert, Peter Knorr und Robert Gernhardt hat Otto den deutschen Humor mit anarchischer Energie vollgepumpt und ihn für Nonsens, avancierte Wortkomik und gepflegte Ferkeleien geöffnet; dabei wurde er vom Studentenclown zum Volkskomiker, dessen Publikum quer durch sämtliche Alters- und Bildungsschichten reicht.

Er gewann einen Haufen Preise, schaffte es auf den Spiegel-Titel und scheint sich trotz der ganzen Erfolge treu geblieben zu sein, als sympathischer, von Natur aus alberner Typ, der einfach für sein Leben gern Witze macht.

Dass diese Witze oft uralt sind, wird ihm allerdings nicht erst seit gestern angekreidet. Vor 21 Jahren, im Juli 1987, erkannte der Kritiker der Süddeutschen Zeitung, Ottos zweiter Film sei »so lustig, als hätte ein Ottomat die Gags zusammengestellt: maschinell, serienmäßig, völlig vorhersehbar«. Und zwei Jahre später hieß es unter der Überschrift »Witz-Recycling« wiederum in der SZ, beim neuen Film Otto – Der Außerfriesische stelle »sich die Sehnsucht nach einer Zeit ein, in der die Scherze noch neu waren«.

Ähnliche Vorwürfe ziehen sich durch Ottos gesamte Karriere, und da er ihnen ständig neue Nahrung gibt, muss man schlussfolgern, dass ihm die Wiederverwertung von Scherzen einfach in Fleisch und Blut übergegangen ist: Erst vor drei Wochen beendete Otto ein Interview im KulturSpiegel mit der Geschichte, wie er über die Straße gegangen sei, als jemand »Ey, da ist Otto!« gerufen habe.

Die Pointe: »Ich wurde knallrot und ganz verlegen. Vielleicht hätte ich doch nicht so laut rufen sollen.« Derselbe Witz stand schon in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung und er tauchte, viele Fans werden sich erinnern, auch bereits in der TV-Show Hilfe, Otto kommt von 1983 auf.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wer glaubt, Komik lebt nur von der Überraschung, hat einen veralteten Begriff von Komik«, sagte er dem Stern.)

Fragt man bei Otto Waalkes nach, warum er unverdrossen immer wieder dieselben Witze mache, so kontert er mit einer ganzen Reihe von mehr oder weniger einleuchtenden Argumenten. Das simpelste: Ist doch schön, wenn die Leute lachen, weitere Gedanken erübrigen sich angesichts des andauernden Publikumserfolgs.

Etwas raffinierter erscheint sein Versuch, die Wiederverwertung von Scherzen zur progressiven Tat zu erklären: »Wer glaubt, Komik lebt nur von der Überraschung, hat einen veralteten Begriff von Komik«, sagte er dem Stern. Ottos wichtigste Verteidigungsstrategie besteht jedoch darin zu behaupten, dass gute Komik »kein Verfallsdatum« habe und man bestimmte Witze deshalb immer wieder erzählen könne.

»Komiker sind irgendwie alterslos«, sagt er und verweist auf Charlie Chaplin und Loriot, die beide bis ins hohe Alter aktiv waren. Diese Vorbilder hatten allerdings ein Thema, welches sich durch ihre gesamte Karriere zog und ihren Scherzen dauerhaft Relevanz verlieh. Loriot klopfte auch in seinem Spätwerk die Rituale des deutschen Bürgertums auf Absurditäten ab; und Charlie Chaplins Tramp wurde zeit seines Lebens auf der ganzen Welt als Symbol der Armen und Unterdrückten verstanden, der sein Los dennoch mit Humor zu meistern wusste.

In den Siebzigern, in seinen Reklameparodien oder Figuren wie dem verklemmten Fernsehpfarrer, hatte auch Otto einen solchen Bezugsrahmen. Doch die Tabus, gegen die er damals anrannte, gibt es längst nicht mehr – und in seiner Komik ist nichts an deren Stelle getreten. Eine Zeit lang ging das gut, denn natürlich hat auch der pure Nonsens seinen Wert, zumal in Deutschland, wo man zum Lachen lange in den Keller ging.

Doch nach Jahrzehnten des sinnfreien Rumblödelns wirkt diese humoristische Grundidee reichlich dünn, und man sehnt sich danach, dass es in Ottos Komik mal wieder um etwas anderes, irgendwie Gewichtigeres ginge als um jene Geisteshaltung, die am besten durch den Liedtitel Drunt im Tal, ja da sitzt das kleine Ottili versinnbildlicht wird.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was der einstige Götterbote heute zu bieten hat, ist unreifer Humor für ein erschreckend unreifes Volk)

Nirgends wurde die Leerstelle im Zentrum von Ottos Komik deutlicher als bei den 7 Zwerge-Filmen, die 2004 und 2006 ins Kino kamen. Diese beiden Kassenschlager spielen überwiegend in einem Märchenwald, denkbar fern von unserer Welt, und schaffen es, dem dichten, mythisch aufgeladenen Märchenstoff jede inhaltliche Idee auszutreiben, bis nur noch Grimassen und erigierte Zipfelmützen übrig sind.

Völlig unverständlicherweise machte sich Otto hier mit einer Reihe von nervtötenden Fernsehkomikern gemein, Knallchargen wie Ralf Schmitz, Mirco Nontschew und Martin Schneider. Anscheinend wollte er sich als Ahnherr des Comedy-Booms in Szene setzen, doch obwohl kommerziell erfolgreich, hatte das Ganze einen überraschenden Nebeneffekt:

Während Otto bei aller Kritik stets zumindest als einzigartig galt, scheint er seit den 7 Zwergen auf einmal eine von zahlreichen mediokren TV-Figuren zu sein, die sich von einer müden Pointe zur nächsten hangeln.

In beiden Filmen spielt Otto dabei den jüngsten Zwerg namens Bubi, zieht sich also ins Kleinkindalter zurück. Bubi greint, Bubi grinst und Bubi bekommt von den anderen Zwergen – das ist der Running Gag des Films – alle paar Minuten einen Schlag auf den Hinterkopf.

Letztlich scheint in dieser Rollenwahl das entscheidende Kennzeichen seines Spätwerks auf: die freiwillige Infantilisierung. Was der einstige Götterbote heute zu bieten hat, ist unreifer Humor für ein erschreckend unreifes Volk, das seine Sehnsucht nach der Fürsorge und Zuwendung, die Kleinkinder genießen, auf einen alten Mann projiziert, der wie ein Baby plärrt und Grimassen schneidet.

Oh, oh, Otto…