Da liegt es, klein, schlank und metallisch-kühlen Chic verströmend: ein iPhone. Einfach so, kein Bild, das man irgendwo im Internet gesehen hätte, sondern ein real existierender Gegenstand – beinahe hätte man geschrieben: aus Fleisch und Blut. Erster Gedanke: ein alter Bekannter. Jeder Handgriff ist vertraut aus all den Werbefilmchen der Herstellerfirma Apple. Zweiter Gedanke: Es ist auf unwirkliche Weise real. Hat man sich nach dem monatelangen Werbegetrommel, das aus dem Gerät einen Heilsbringer, eine nie da gewesene Wundermaschine machte, eigentlich noch vorstellen können, dass dieses iPhone tatsächlich existiert mit seinen 11,5 mal 6,1 Zentimetern? Dritter Gedanke: Junge, komm runter. Es ist nur ein Handy. Man telefoniert damit, hört vielleicht Musik und schießt mal ein Foto.
In diesem Emotionen-Dreiklang spielt sich der ganze Mythos des Unternehmens Apple ab. Ein einfacher Gebrauchsgegenstand, in dem eine stets von Neuem revolutionär einfache Bedienung auf eine geradezu religiös aufgeladene Aura trifft – diese, Pardon, Dreifaltigkeit, prägt Apple seit vielen Jahren. Neu in diesem Herbst wird nur das Ausmaß sein. Wenn Apples iPhone nach der Sommerhysterie in den USA nun auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern Einzug hält, dann wird man das Gefühl haben, das messianische Zeitalter sei angebrochen und das Objekt aller Anbetung herabgestiegen zu uns Unwürdigen auf die Erde. Denn das iPhone, wie es uns Kunden vermittelt wird, interessanterweise eher durch Journalisten und die Fangemeinde als durch das Unternehmen selbst, verspricht nicht weniger als das Ende aller technischen Kommunikationsprobleme. Es will das Gerät sein, das die Erlösung bringt in all dem technischen Kleinkrieg mit all den elektronischen Kleingeräten wie Handys, Musikplayern, Fotoapparaten und Organizern, den jeder permanent zu führen scheint. Erlösung – das ist nicht so weit hergeholt, wie es vielleicht klingt, und das zeigt schon das in Amerika neu geschaffene Wort »Jesusphone«, das teils satirisch, teils ernsthaft mit der angeblich übernatürlichen Wunderkraft des Apple-Handys spielt. In den USA hat es sich so fest etabliert, dass auch die englischsprachige Ausgabe des Onlinelexikons Wikipedia beide Bezeichnungen als Synonyme verwendet. Wer nach »Jesusphone« sucht, wird zum Eintrag über das iPhone geleitet. In Deutschland zeichnet sich Ähnliches ab: »Berühren heißt glauben« textete Media-Markt vorab in einer Anzeige über das hierzulande noch gar nicht erhältliche iPhone. Solche Anspielungen haben System bei dem kalifornischen Computerbauer und seinen Anhängern.
Selbst wer nur oberflächlich durch den Apple-Kosmos wandert, stößt auf eine derartige Flut religiöser und pseudo-religiöser Symbolik, dass er sich am Ende erleuchtet die Augen reibt. Das beginnt beim Firmennamen und dem Logo, einem angebissenen Apfel, der Assoziationen an den Baum der Erkenntnis im Garten Eden weckt. Aus dem Paradies vertrieben wurde durch diesen Apfel niemand, im Gegenteil: Nach Auffassung der Apple-Jünger haben damit paradiesische Züge in die sperrige Computer-Welt Einzug gehalten: Maschinen, die menschliche Eigenschaften haben, die so funktionieren, wie man es will, und immer stärker zum Begleiter, ja für manche gar zum Freund geworden sind.
So wurde das Apple-Universum zum immerwährenden Heilsversprechen: stets neue Geräte, die noch intuitiver zu bedienen sind.Und was heißt da »bedienen«? Ist es nicht mehr ein Streicheln, ein Berühren, was den Umgang mit dem iPod ausmacht? Das sanfte, kreisförmige Streichen über das Auswahlrad des MP3-Spielers oder die auseinanderziehende Bewegung von Daumen und Zeigefinger auf dem Touchscreen des iPhone, mit der man den Bildschirminhalt vergrößert: Im Grunde sind es eher rituelle, neuartige Gesten, die mehr mit vertrautem Kontakt zu tun haben als mit Funktionalität.
Solche Bewegungen lassen sich leicht aus religiösen Handlungen herleiten (Handauflegen, Segenspenden). Auch andere Verhaltensweisen der Apple-Anhänger, wie sie nicht ohne Grund genannt werden, sind in theologischem Licht deutbar: Sie stecken sich Kopfhörer ins Ohr, die wie ein Kreuz den Oberkörper hinabfallen (in der Farbe der Unschuld: Weiß). Sie kampieren wie Wallfahrer tagelang vor Geschäften, nur weil es dort ein Apple-Handy anzubeten gibt. Schließlich werden sie eingelassen in eine Kathedrale wie den Apple Store an der 5th Avenue in New York, ein unterirdisches Bauwerk, in das das Tageslicht nur durch einen riesigen Glaswürfel von oben fällt, als wäre es ein Sakralbau. Oben schwebt, wo in einer Kirche das Kreuz wäre, ein riesiger Apfel.
Damit sind die Analogien in der Apple-Religion noch lange nicht erschöpft. Denn auch der große Meister, Firmenmitgründer Steve Jobs, inszeniert seine umjubelten Auftritte vor der Apple-Gemeinde ähnlich einer Predigt. Im kargen Outfit (Jeans und dunkler Pullover) präsentiert er wie ein moderner Bettelmönch, was er und die Seinen an neuen Segnungen für unsere Welt haben. Diese Veranstaltungen sind Messen eigener Art, auf denen Jobs seine charismatischen Qualitäten ausspielt – bis hin zum Schluss-Segen, der sich bei ihm in die Worte »One more thing« kleidet. Eine Sache habe er noch. Danach schwärmen die Jünger wieder in die Welt aus und verkünden die Frohe Botschaft – vor allem unter den Ungläubigen. Aus Sicht der Apfel-Missionare sind dies die bedauernswerten Kreaturen, die ihr Leben im freudlosen, mühebeladenen Reiche der Windows-Computer fristen – geknechtet von Bill Gates, der für jeden echten Apple-Jünger der Leibhaftige persönlich ist.
Jobs’ messianische Züge wurden selten so brillant auf den Punkt gebracht wie vor wenigen Wochen vom New York Magazine. Das bildete Jobs anlässlich des iPhone-Verkaufsstarts auf dem Hefttitel ab und setzte als Überschrift nur ein Wort dazu: »iGod«. Seine Weggefährten dürfte so etwas nicht wundern: »Er glaubte immer, er werde einer der Anführer der Menschheit sein«, so erinnert sich Apple-Mitgründer Steve Wozniak im selben Artikel. Und der frühere Chef von Apple Frankreich, Jean-Louis Gassée, sagt: »Er hat die Kraft, deinen Brustkasten zu öffnen und dich von innen zu berühren.« Noch wurde Jobs nicht dabei ertappt, wie er über das Wasser läuft. Dafür gelang ihm ein anderes Wunder: Nachdem er 1985 Apple nach einem Machtkampf verlassen musste, schaffte er 1997 die Rückkehr in sein Reich. Auch so etwas wird von einem Messias erwartet.
Unter solchen Vorzeichen lässt man sich im Zeichen des Apfels auch keinesfalls davon irritieren, dass man einer Minderheit angehört, im Gegenteil: Man fühlt sich dadurch in Exklusivität und missionarischem Auftrag bestätigt, ganz im Sinne des Mottos »Think different« (»Denke anders«), das bis 2002 als Apple-PR-Slogan diente. Der Gedanke, dass die Mehrheit auf dem falschen Weg ist und schwer zu besiegen, hat noch jeden Kreuzzug und jede Mission angetrieben. War nicht auch die christliche Urgemeinde verschwindend klein und stets bedroht? Während sich deren Mitglieder durch das Geheimsymbol eines Fisches erkannten, klebt man sich heute einen angebissenen Apfel als Aufkleber aufs Autoheck. Apple legt jedem Einkauf welche bei.
Man kann diese Analogien für einen Witz halten oder für zu weit hergeholt. Man kann sich aber auch sehr ernsthaft mit ihnen beschäftigen – so wie der Münsteraner Theologieprofessor Klaus Müller, der seit Jah-ren im Bereich der Cyberphilosophie und Cybertheologie forscht. Ihn erinnert die Inbrunst im Kampf von Apple- und Microsoftanhängern durchaus an die Glaubenskämpfe von Protestanten und Katholiken. Die Anbetung und heilsbringerische Erwartung, die einem Gerät wie dem iPhone entgegengebracht werde, setzt Müller in Beziehung zum Turmbau zu Babel oder dem Pfingstwunder. Die Verwirrung der Sprache durch Gott im ersten Fall und die Aufhebung aller Kommunikationsstörungen durch den Heiligen Geist an Pfingsten, als alle sich auf einmal verstehen – diese religiösen Motive sieht der Cybertheologe auch hier aufblitzen.
Am Werk, so Müller, sei hier »die Hoffnung, dass die ganze Menschheit einmal durch die elektronischen Medien verbunden wird und damit soziale Brüche und Spezialwissen, das immer auch Herrschaftswissen ist, verschwinden«.Von Apple selbst ist zu all diesen Phänomenen nicht viel zu erfahren. »Ich will kein Spielverderber sein«, sagt Apple-Sprecher Georg Albrecht, »aber dazu sagen wir überhaupt nichts.« Aus Sicht der Computerfirma hat sich dieses Vorgehen bislang bewährt. Einen Mythos dezent zu stützen, ohne ihn allzu offen voranzutreiben – das ist eine der besten PR-Strategien, die man haben kann. Auch weil sie weniger Werbung aus dem eigenen Etat erforderlich macht.
So kommt es, dass im Falle Apple am Ende Realität, Mythos und Unfug nur schwer auseinanderzuhalten sind. Im Internet mach-ten im Zuge der iPhone-Hysterie Geschichten die Runde, die gut in die mythisch aufgeladene Jesusphone-Welt passten. Eine amerikanische Studie, meldete der renommierte Informationsdienst Heise.de, habe zutage gefördert, dass Apple-Benutzer auffällig oft Anhänger neokreationistischer Richtungen seien (welche die Evolutionstheorie zugunsten der Schöpfungserzählungen ablehnen). Aufsehen erregte auch die Meldung der North Denver News, in der es um den groß gewachsenen Thomas Martel ging, der sich märtyrerhaft durch eine Operation die Finger verkleinern ließ, um die Tastatur des iPhone besser bedienen zu können. Beide Meldungen wurden in den Internetforen ausgiebig diskutiert. Jedoch: Beide waren bloß Satire und frei erfunden.