»Charlie Parker ist der Grund, warum ich nie in den Rock gegangen bin«

Der Jazzgitarrist George Benson im Interview über seine Anfänge im Blues, die Eigenheiten seines Stils, seine Freundschaft mit Legenden wie Bill Withers und Smokey Robinson – und einen Rat, den Miles Davis ihm einst gab.

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George Benson, für Ihr neues Album Songs And Stories konnten Sie hochkarätige Songschreiber gewinnen. Selbst Bill Withers ist dabei – ich dachte, der hätte sich längst aus dem Musikgeschäft zurückgezogen.
Ja, hat er im Prinzip auch. Es war nicht leicht, ihn aus dem Ruhestand zurückzuholen.

Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe ihn zum Brunch in ein Top-Hotel in L.A. eingeladen. Den ganzen Nachmittag haben wir über unsere Karrieren geplaudert und darüber, wie wir vor ein paar Jahren zusammengespielt haben. Er sei sehr glücklich damit, im Ruhestand zu sein, hat er gesagt, und ich dachte mir schon, oh oh, einen Song von ihm werden wir wohl nicht bekommen. Bill hat sogar behauptet, seit Jahren nichts mehr geschrieben zu haben! Ich glaube, ich kann es gar nicht mehr, hat er gesagt, aber falls mir doch etwas einfallen sollte, melde ich mich. Ein paar Wochen später rief er an und sang mir »A Telephone Call Away« vor.

Ein weiteres Highlight ist der Song »Family Reunion« von Rod Temperton, dem Komponisten von »Thriller«!
Er hat 124 Millionen Exemplare von »Thriller« verkauft, und auch ein paar andere Michael-Jackson-Songs geschrieben, zum Beispiel »Rock With You«. Außerdem stammt mein Hit »Give Me The Night« von ihm sowie ein paar andere Songs auf dem Give Me The Night-Album.

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Temperton muss ein sehr gefragter Komponist sein.
Jeder hätte gerne einen Rod-Temperton-Song, und es ist nicht leicht, einen zu bekommen! Als ich ihn angerufen habe, war er ein bisschen überrascht. Aber er hat gesagt, er käme im September nach L.A. und würde einige neue Songs mitbringen. Das hat er auch getan, nur leider war er schon fast wieder weg, als ich ihn endlich getroffen habe. Ich konnte »Family Reunion« zwar hören, aber er hat den Song wieder mitgenommen. Erst ein Jahr später kam er erneut nach L.A.. Diesmal habe ich ihn mir gleich geschnappt und gefragt, was mit den Songs vom letzten Jahr passiert sei. Die habe ich nicht mehr, hat er geantwortet, bis auf einen: »Family Reunion«. Großartig, rief ich, sofort her damit!

»Eines Tages nahm Miles mich beiseite und ich dachte, wow, jetzt weiht er mich in das Geheimnis der Musik ein«

Ein weiterer Erfolgskomponist auf Ihrem Album ist Lamont Dozier, Teil des legendären Motown-Hitteams Holland-Dozier-Holland. Ich wusste gar nicht, dass er überhaupt noch arbeitet.
Diese Leute sind inzwischen sehr, sehr wohlhabend geworden. Sie haben genug Geld, um ein sorgenfreies Leben zu leben, und keinen wirklichen Grund mehr, sich dem Stress des Musikgeschäfts auszusetzen. Aber als sie gehört haben, dass ich ein Album mache, haben sie neues Material geschrieben. Darauf bin ich sehr stolz.

Schon am Titel von Lamont Doziers Song merkt man, dass er neu ist: »Living In High Definition«.
Das ist ein seltsamer Titel, aber er funktioniert sehr gut im heutigen Markt.

Mit Smokey Robinson ist eine weitere Motown-Legende auf Ihrem Album dabei.
Smokey kenne ich schon seit 1960 oder 1961, als er in Pittsburgh aufgetreten ist, meiner Heimatstadt. Meine damalige Gruppe hat bei derselben Show gespielt wie er und seine Miracles. Ich habe ihn erst 35 Jahre später wiedergetroffen, aber diesen gemeinsamen Auftritt habe ich nie vergessen.

Ich war besonders erfreut, auf ihrem Album auch Wah Wah Watson zu entdecken, einen der einflussreichsten Studiogitarristen der Siebziger.
Er hatte diesen Shaft-Sound, der war riesig damals. Aber er hat auch viel mit Herbie Hancock gespielt und einige wichtige Elemente zu Herbies Sound beigesteuert. Viele Musiker sind bis heute mit Wah Wah befreundet. Er ist ein genialischer Mensch mit einem sehr hohen IQ und außerdem ein großartiger Arrangeur. Er hat gefragt, ob er »Living In High Definition« arrangieren könne. Okay, aber versau den Song nicht, habe ich spaßeshalber gesagt. Keine Sorge, du wirst das Arrangement lieben, hat er geantwortet. Und in der Tat: Als ich die Nummer zurückgekriegt habe, hörte sie sich an, als würde das London Symphony Orchestra spielen. Toll, was er mit Streichern, Percussion und Holzbläsern gemacht hat. Sehr geschmackvoll.

Um mich auf das Interview vorzubereiten, habe ich mir einige Ihrer alten Platten angehört. Dabei fiel mir auf, dass Ihr Spiel stets eine bluesige Ader hat, egal, um was für ein Stück es sich handelt.
Ja, das habe ich von meinem alten Boss gelernt, Brother Jack McDuff. Das war ein Organist, der mich mit auf Tour genommen hat, als ich gerade neunzehn war. George, spiel den Blues, hat er immer wieder betont. Warum den Blues, habe ich gefragt. Auf der ganzen Welt lieben die Leute den Blues, hat er geantwortet. Selbst in China kannst du Blues spielen, und die Leute verstehen es. Und wissen Sie was? Ich habe es ausprobiert – Brother Jack hatte Recht. Ich spiele etwas sehr Seriöses, eine schnelle Swing-Nummer zum Beispiel, und streue dann ein paar Blues-Licks ein: Der Song wirkt gleich ganz anders. Diese Licks sind selbst dem Durchschnittshörer vertraut, das ist wie eine universelle Umgangssprache.

Außerdem weckt der Blues sogleich Gefühle.
Ja, er verstärkt die emotionale Wirkung des Songs. So zu spielen, ist inzwischen ein Teil von mir. Es ist Teil meiner Mentalität.

In den Fünfzigern hatten Sie sogar eine Rock’n’Roll-Band, richtig?
Wir hießen George Benson & His All Stars. Wir haben alles gespielt, was damals populär war: Ray Charles, Chuck Berry, Little Richard. So habe ich als Gitarrist angefangen.

Haben Sie je darüber nachgedacht, wie Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn Sie beim R&B und Rock geblieben wären, statt zum Jazz zu wechseln?
Meine Karriere hätte wahrscheinlich früher begonnen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie genauso lange angehalten hätte. John Hammond, der große Schallplattenmann und Entdecker von Bruce Springsteen, Bob Dylan, Aretha Franklin und mir, hat mir einmal gesagt: George, du kannst viele verschiedene Sachen spielen – immer gut. Ich empfehle dir aber, als Jazzgitarrist bekannt zu werden, denn dann wird deine Karriere eine lange Lebensdauer haben. Damit hatte Hammond nicht gelogen.

Waren Sie jemals neidisch auf das laute, verzerrte Spiel von Rockgitarristen wie Jimi Hendrix oder Jimmy Page?
Mit Lautstärke habe ich ein Problem. Sie zerstört meine Konzentration. Ich spiele viele Noten und muss dabei ständig darüber nachdenken, wie es weitergeht. Wie kann ich diese Geschichte zu Ende bringen, die ich mit meiner Gitarre erzählen möchte? Ich glaube, Charlie Parker ist der Grund, warum ich nie in den Rock gegangen bin. Denn seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe, habe ich ein ganz anderes Verständnis von Musik. Seitdem versuche ich, mein Instrument zum Sprechen zu bringen, so wie Charlie Parker es getan hat.

1968 haben Sie mit einer anderen Jazz-Legende zusammengespielt: Miles Davis. Was haben Sie von Miles gelernt?
Eines Tages nahm Miles mich beiseite und ich dachte, wow, jetzt weiht er mich in das Geheimnis der Musik ein. Aber er sagte nur: Play loud. Es war dasselbe, was er Jimi Hendrix geraten hat. Zuerst habe ich mich halb totgelacht, dann habe ich über seine Worte nachgedacht. Was er meinte war: Spiele für die Menschen, gib ihnen das, was sie wollen, und spiele so, dass sie es hören können.

Letzte Frage: Ich habe mir vor ein paar Monaten eine Gitarre gekauft und zu spielen angefangen. Was raten Sie mir?
Lerne dein Instrument kennen. Lebe mit ihm, Mann! Ich spiele jeden Tag. Ich wache morgens auf, schnappe mir die Gitarre und versuche, etwas zu lernen, das ich gestern noch nicht konnte. Stelle sicher, dass du dich wohlfühlst mit der Gitarre, dass sie zu deiner Stimme wird. Lass sie für dich sprechen und habe Spaß mit ihr.