Jamie Cullum, warum finden viele Menschen Jazz furchtbar?
Weil Jazz schwierig ist. Die Leute misstrauen dieser Musik, die sie nicht verstehen. Aber Jazz soll auch gar nicht jedem gefallen. Von Anfang an war Jazz Musik, zu der die Spießbürger keinen Zugang hatten.
Haben manche Jazzer den Gedanken, nicht jedem gefallen zu wollen, zu weit getrieben?
Ich verstehe, was Sie meinen, aber die schwierige, exklusive Musik, die Miles Davis in den Siebzigern gemacht hat, ist eben auch unermesslich gut. Wegen ihrer Kühnheit wird sie ewig leben, auch ohne von Millionen Menschen gehört zu werden. Ich glaube, ein großer Teil der besten Musik der vergangen Jahrzehnte entstand nur deshalb, weil den Komponisten scheißegal war, was die Leute dachten.
Was halten Sie von Wynton Marsalis’ Ansatz, Swing und Hot Jazz als Great American Music zu inszenieren?
Wynton ist ein fantastischer Musiker, ein exzellenter Autor und ein großartiger Botschafter des Jazz. Ich stimme nicht mit allem überein, was er sagt, aber er ist so eine wichtige Figur und hat so viel für den Jazz getan, dass es schwierig ist, mit ihm zu streiten. Genauso sehr wie seine Musik mag ich, was er über Musik schreibt. Ich habe alle seine Bücher. Wenn ich Anregungen brauche, blättere ich in Sweet Swing Blues On The Road, und es inspiriert mich ungemein.
Sie arbeiten an der Versöhnung von Jazz und Pop.
Ich glaube, dass Jazz und Pop gar nicht so weit entfernt voneinander sind, wie man denkt. Mich interessiert es, beides zu vermischen, und ich versuche, gelegentlich einen Song zu schreiben, der zum Pop-Hit werden könnte. Die Jazz-Presse in England kritisiert mich dafür.
Wie kam es zu dieser Offenheit, den Pop betreffend?
Als ich als Jugendlicher begonnen habe, mich mit Jazz zu beschäftigen, habe ich mich vor allem für Akkorde interessiert. Ich habe auf dem Klavier und auf der Gitarre rumgespielt und bei komplizierten Akkorden mit verminderter None oder erhöhter Undezime die Ohren aufgestellt – Akkorden, die etwas Dunkles, Geheimnisvolles haben. Ähnliche Akkorde habe ich in einem George-Gershwin-Liederbuch entdeckt, das meine Mutter in ihrer Musiktruhe hatte. Aber Gershwins Musicallieder waren die großen Pophits ihrer Zeit. Mich interessiert es, Jazz und Pop durcheinanderzumixen und mit den Erwartungen des Publikums zu spielen. Dabei entsteht etwas, das zwar nicht neu ist, aber in unserer aktuellen Musiklandschaft einen ganz eigenen Glanz erzeugt.
»Wir betreten die Bühne und meine Band will wissen, was wir heute spielen. Ich sage, mal sehen, folgt mir einfach«
Sie covern Radiohead, die White Stripes oder Massive Attack. Was sagen Sie zum Vorwurf, das sei eine Masche?
Wer das sagt, hat nicht genau hingehört. Alle diese Popsongs habe ich neu durchgearbeitet, mit neuen Harmonien – es sind keine Coverversionen, sondern Neu-Interpretationen.
Ihr Klavierspiel ist in der großen Jazztradition verwurzelt. Wer sind Ihre Vorbilder?
Herbie Hancock hat mich als erster fürs Jazzpiano begeistert, bei ihm ging’s los. Danach bin ich tiefer in die Jazzgeschichte eingestiegen und habe mich mit zwei gegensätzlichen Richtungen beschäftigt. Zum einen dem Stil von Thelonious Monk, Count Basie, Ahmad Jamal – weniger ist mehr. Gleichzeitig huldige ich am Schrein der komplexen, moderneren Pianisten wie Keith Jarrett, Brad Mehldau, Paul Bley und John Taylor. Deren Stil hat allerdings wenig mit dem zu tun, wie ich spiele. Ich schieße eher aus der Hüfte.
Im Gegensatz zu Ihnen können diese tollen Pianisten nicht auch noch singen. Beides gleichzeitig zu tun stelle ich mir recht schwierig vor.
Ich habe sehr früh angefangen, beides ähnlich intensiv zu üben. Als ich gemerkt habe, dass ich singen kann, habe ich Dexter-Gordon-Solos auf dem Klavier gespielt – und gleichzeitig nachgesungen. Die sind langsam, leicht zu verstehen, dennoch harmonisch sehr interessant. Dann ging’s weiter mit Chet Baker, kaum einer hat so präzise gescattet wie er. Danach habe ich von Sängern wie Mark Murphy, Kurt Elling, Jon Hendricks und Big Joe Williams gelernt; also nicht von irgendwelchen Durchschnittsleuten, sondern von den Meistern.
Vorhin haben Sie erwähnt, dass Sie in der Jazz-Presse wegen zu großer Nähe zum Pop kritisiert werden. Denen dürfte auch missfallen, dass Sie in den Klatschblättern auftauchen, seit Sie mit dem Model Sophie Dahl liiert sind.
Ja, aber das ist mir egal. Das stört mich in etwa so wie eine Mücke, die durch den Garten fliegt.
Stimmt es, dass der Song »Love Ain’t Gonna Let You Down« auf Ihrem neuen Album Sophie Dahl gewidmet ist?
Eigentlich ist ihr die ganze Platte gewidmet.
Wie fühlt es sich an, plötzlich von Klatschreportern verfolgt zu werden?
Das hat überhaupt keinen Einfluss auf mich. Ich bin musikverrückt und lese Q, Downbeat, Mojo, Pitchfork – und nicht irgendwelche Klatschmagazine.
Ihre Konzerte kommen mir recht frei und ungeplant vor. Improvisieren Sie viel auf der Bühne?
Wir betreten die Bühne und meine Band will wissen, was wir heute spielen. Ich sage, mal sehen, folgt mir einfach. Bei meinen Konzerten gibt es nie eine Setlist. Wir spielen natürlich auch Stücke, die wir geprobt haben, aber bei allem, was ich spiele, ist ein Element der Improvisation dabei. In meiner Musik ist der Geist der Improvisation zu hundert Prozent lebendig.
Wenn mehr Künstler so arbeiten würden wie Sie, gäbe es weniger langweilige, bis ins kleinste Detail durchgeplante Bühnenshows.
Das stimmt vielleicht, aber diese Methode passt nicht zu jedem. Wenn man sich die Kings of Leon anguckt, will man deren Hits hören. Wenn die auf der Bühne lange überlegen würden, was sie als nächstes spielen, hätte es nicht dieselbe Wirkung. Aber für mich macht die Methode Sinn, obwohl sie viel Nerven kostet und auch nicht immer funktioniert.
Warum explodiert auf dem Cover Ihres neuen Albums The Pursuit ein Klavier?
Zuerst: Es sieht sehr cool aus! Außerdem wollte ich mit der Vorstellung spielen, die die Leute von mir haben. Das Bild ist eine Metapher dafür, etwas Neues aus etwas Bekanntem zu machen.
Beim Albumtitel The Pursuit – zu Deutsch in etwa »das Streben« – habe ich an den Prozess des Musikmachen gedacht.
Genau. Das Wunderbare am Musikerdaseins ist doch, dass es keine Ziellinie gibt, die man irgendwann überquert. Üben, üben, besser werden – das ist ein lebenslager Prozess. Man erreicht nie den Gipfel und sagt, besser werde ich nicht. Am besten ist man an dem Tag, an dem man stirbt.<em>Fotos: Deborah Anderson</em>"