Klaus Voormann ist die einzige deutsche Rocklegende. Im Herbst 1960 traf er im Kaiserkeller in Hamburg auf die Beatles und schloss mit den damals noch völlig unbekannten Musikern Freundschaften fürs Leben. Drei Jahre später zog er nach London, wo er als Bassist bei Manfred Mann das Popstar-Dasein kennenlernte und nebenbei als gelernter Grafiker das Cover der Beatles-LP Revolver entwarf. In den Siebzigern war er in Kalifornien ein gefragter Studio-Bassist und spielte auf Alben von Carly Simon, Randy Newman und Lou Reed; zurück in Deutschland produzierte er ab 1981 LPs von Trio und Joachim Witt. Am 17. Juli veröffentlicht Voormann, 71, sein erstes Solo-Album A Sideman's Journey (Universal). Parallel erscheint eine DVD, auf der die Aufnahmen in London, Los Angeles, Hamburg, München, East Sussex und Memphis dokumentiert wurden.
Ihr Album beginnt mit dem Fats-Domino-Song »I’m In Love Again«, gesungen von Paul McCartney. Warum?
Es ist das allererste Stück, bei dem ich überhaupt jemals einen Bass in der Hand hatte.
Wann war das?
1961 im Top Ten in Hamburg. Stuart [Sutcliffe] wollte mit seiner Freundin auf dem Sofa sitzen, er hat mir den Bass in die Hand gedrückt und gesagt, spiel du mal. Die anderen sagten, Klaus, komm auf die Bühne. Ich wollte aber nicht auf die Bühne, das war mir unangenehm, und so habe ich mich vor die Bühne gesetzt. Paul spielte Klavier und sang. Und zwar eben »I’m In Love Again« von Fats Domino.
Wie sind Sie auf dem Bass durchgekommen?
Ich hatte vorher ein bisschen auf einer Gitarre rumgeklimpert. Ich wusste, das ist eine Quarte, das ist eine Quinte, und das ging dann gleich ganz gut ab!
John Lennon und George Harrison haben Gitarre gespielt, aber am Schlagzeug saß noch Pete Best.
Richtig. Die Beatles waren damals völlig unbekannt. Das war in den frühen Morgenstunden, da wäre es auch nicht aufgefallen, wenn ich schlecht gespielt hätte. Aber ich habe nicht schlecht gespielt.
Von Stuart Sutcliffe heißt es, er sei kein begnadeter Bassist gewesen.
Nein, das kann man so nicht sagen. Er hatte ein unheimliches Rhythmusgefühl. Und Rock’n’Roll spielen ist ja so einfach, bei den meisten Stücken spielst du nur zwei Noten.
»George gilt als der leise Beatle – der war überhaupt nicht leise. Er konnte ganz böse und bissig sein, und auch sehr sarkastisch«
Was für ein Bass-Modell war das?
»President« hieß der. Ein Höfner-Bass, genauso wie Pauls Fiedel-Bass. Stuart hat mir den Bass später verkauft, weil er Geld für Farben und Leinwand brauchte. Ich habe jetzt einen Bass aus der gleichen Serie gespielt, als ich mit Paul »I’m In Love Again« aufgenommen habe. Den hatte mir mein Freund Bernhard Paul von Roncalli zum Geburtstag geschenkt.
Und der Original-Bass, den Sie damals von Stuart Sutcliff gekauft haben? Wo befindet sich der inzwischen?
Der ist in der Rock’n’Roll Hall Of Fame in Cleveland.
Rufen Sie eigentlich einfach bei Paul McCartney an und sagen: Hallo Paul, hast du Lust, mit mir ins Studio zu gehen?
Ja, so ungefähr. Ich habe ihm erklärt, dass ein Teil der Albumerlöse an ein Charity-Projekt bei den Lakota-Indianern gehen wird. So etwas ist für ihn immer sehr wichtig und für mich auch. Und als ich sagte, du, weißt du noch, wie ich damals im Top Ten Bass gespielt habe, da konnte er sich sofort erinnern. Welche Nummer war das eigentlich, habe ich gefragt. Er sagte: Das war »I’m In Love Again«. Der wusste das noch ganz genau.
Wie ist er so im Studio? Sehr enthusiatisch? Sehr konzentriert?
Beides, würde ich mal sagen. Dem hat das richtig Spaß gemacht – wie er am Schlagzeug sitzt und darauf rumhämmert, wie er seine Rhythmusgitarre spielt. Der hat fünfeinhalb Stunden witzige Sachen erzählt, einen Gag nach dem anderen. Kann man auf meiner DVD sehen.
Haben Sie noch andere Nummern zusammen gespielt?
Als ich die Beatles im Top Ten oder im Kaiserkeller gesehen habe, habe ich mir öfter den Song »Don’t Let The Sun Catch You Crying« von Ray Charles gewünscht. Während wir am Klavier auf die Techniker warteten, hat Paul plötzlich angefangen zu singen: don’t let the sun catch you crying. Das war doch das Stück, das du dir immer gewünscht hast, hat er gesagt.
Paul McCartney und Ringo Starr haben wahrscheinlich nur noch wenige Freunde aus der Zeit, bevor sie berühmt wurden. Im vergangenen Jahr ist auch Neil Aspinall gestorben.
Ja, da gibt es nicht mehr viele. Und mit denen haben sie auch nicht wahnsinnig viel am Hut. Die leben in einem anderen Zirkel von Menschen. Die haben teure Häuser und gehen in teure Restaurants, da kann der alte Freund gar nicht mithalten. Der kann da nicht mal das Bier bezahlen! Ich habe eben das Glück, dass ich dort mit reingerutscht bin. Ringo hatte mich schon 1963/64 eingeladen, bei ihm in London zu wohnen.
Die Beatles haben Ihnen Ihren wichtigsten Auftrag als Grafiker verschafft: das Cover der LP Revolver. Das Honorar damals: 50 Pfund.
Ja.
Ganz schön wenig.
Zu der Zeit war es einfach so. Es war nicht üblich, dass Plattencover irgendwie gestaltet wurden. Auf den Covern waren Fotos, meistens Farbe, vier Köpfe, fertig. Und jetzt hatten die Beatles plötzlich die Idee, wir müssen etwas anderes machen, und sie haben mich gefragt, ob mir etwas einfällt.
Haben Sie damals geahnt, dass dieses Cover derart berühmt werden wird?
Irgendwie schon. Dass es ganz, ganz wichtig ist, war mir völlig klar. Deshalb habe ich mir auch große Mühe gegeben.
Haben Sie den Grammy noch, den Sie fürs Revolver-Cover gekriegt haben?
Ja, aber der ist ein bisschen kaputt. Der ist mal runtergefallen vom Regal.
Mitte der Sechziger waren Sie auf einmal selbst ein Popstar – als Bassist der Gruppe von Manfred Mann.
Ja, das war wunderbar. Tom McGuiness rief mich an und sagte, komm doch mal vorbei, wir machen eine Probe. Schwupps, schon war ich in der Band.
War denn damals in London bekannt, dass sie ein alter Freund der Beatles waren?
Ja, aber das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Dass ich zu Manfred Mann kam, lag wohl doch daran, dass ich ein guter Bassspieler bin.
Auf Ihrer CD ist auch das Stück »So Far« enthalten, eine ihrer wenigen eigenen Kompositionen, entstanden Ende der Sechziger in London.
Ich saß zu Hause, spielte auf der Gitarre rum und klimperte dieses Stück. Das Tonbandgerät war an und ich sang ins Mikrofon. Plötzlich sagte jemand hinter mir: »You passed the audition«. Das war George, der sich ins Zimmer geschlichen und zugehört hatte. Mir war das etwas unangenehm, aber er sagte, er fände das Stück toll und wolle es mit der Sängerin Doris Troy aufnehmen. Im Trident Studio in London haben wir es durchgeprobt und wollten gerade aufnehmen, da ging plötzlich die Tür auf und die ganze Delaney & Bonnie Band kam rein: Bonnie und Delaney Bramlett, Jim Gordon, Carl Radle, Bobby Whitlock, Rita Coolidge und Eric Clapton. Die hörten das Stück und sagten, oh tolles Stück, wir wollen mitspielen. So haben wir es dann auch gemacht.
Eine echte Allstar-Session.
Ja. Das ist der Grund, warum ich Bonnie Bramlett gefragt habe, ob sie das Stück auf meiner CD singen möchte.
Mit Eric Clapton haben Sie auch in John Lennons Plastic Ono Band zusammengespielt. Die Zusammenarbeit mit Lennon muss manchmal recht hektisch gewesen sein.
Das ist richtig, es ging nach seinem Tempo. Er war immer unruhig und wollte schnell wieder raus aus dem Studio. Zu Zeiten von Sgt. Pepper hat er sich vielleicht ein bisschen mehr Zeit genommen, aber eigentlich mochte er es gar nicht, lange im Studio rumzuhängen.
Was ist Ihre prägendste Erinnerung an John Lennon?
Sein Humor. Lennon war wahnsinnig witzig. Sarkastisch, bissig. Das ist auch das, was ich an ihm am meisten mochte. Und natürlich seine Musikalität, das ist klar. Aber wenn man mit ihm zusammensaß, war das immer ein großer Spaß. George Harrisons Humor war übrigens sehr, sehr ähnlich. Sehr Liverpoolmäßig. George gilt als der leise Beatle – der war überhaupt nicht leise. Er konnte ganz böse und bissig sein, und auch sehr sarkastisch. Das hat nur keiner mitgekriegt.
Auf Ihrer CD singt Yusuf alias Cat Stevens eine tolle Version von »All Things Must Pass«, einem von von Harrisons schönsten Stücken.
Als wir darüber redeten, hat Yusuf gleich eine Version angeboten, die in einer anderen Tonart und etwas schneller ist als das Original. Er ist eine starke Persönlichkeit, und wenn er Lieder von jemand anderem spielt, dann immer in seinem eigenen Stil.
Kennen Sie ihn auch schon seit den Sechzigern?
Ja, in der Manfred-Mann-Zeit habe ich ihn öfter bei Fernsehsendungen wie Ready, Steady, Go! getroffen.
Ihre Weggefährten scheinen in der Regel positiv auf die Idee reagiert zu haben, ein gemeinsames Klaus-Voormann-Album aufzunehmen.
Ja, mehr als ich erwartet habe. Alte Freunde wie Van Dyke Parks oder Don Preston, mit dem ich beim Bangla-Desh-Concert auf der Bühne stand, haben sofort gesagt, oh ja Klaus, lass uns das machen, du hast das wirklich verdient, wann können wir denn... Oder Jim Keltner, mein alter Weggefährte bei Harry Nilsson, George Harrison, John Lennon. Alle haben sie mitgemacht. Und sie wollten auch kein Geld haben.
Jim Keltner, mit dem Sie damals oft zusammengespielt haben, ist heute immer noch ein gefragter Schlagzeuger. Sie hingegen haben 1979 mit Bassspielen aufgehört. Haben Sie das je bereut?
Schwierig zu sagen. Ich habe mir damals gedacht: Jetzt habe ich mit den tollsten Leuten gespielt, die man sich vorstellen kann. Weiter kann’s nicht gehen, ab jetzt kann es nur schlechter werden. Deshalb habe ich aufgehört.
Damals wurde im Rockgeschäft noch richtig viel Geld verdient, und so glauben bis heute viele Leute, dass Sie Millionär sein müssen.
Wäre schön, wenn ich Millionär wäre. Da hätte ich nichts dagegen. Ist aber nicht so.
Das wäre womöglich anders, wenn Sie mehr Songs geschrieben hätten.
Richtig. Das wäre die Altersversicherung gewesen. Das tut mir heute noch leid. Denn ich hätte die Fähigkeit gehabt, Songs zu schreiben. Die Worte zu finden, fällt mir schwer, aber komponieren konnte ich.
Sie hätten sich mit einem Texter zusammentun müssen.
Da habe ich nie jemand gefunden und ich habe es auch nicht forciert. Das war ein Fehler und den muss ich leider eingestehen.
Umso beachtlicher, dass sie einen Teil der Erlöse von A Sideman’s Journey einem wohltätigen Zweck zur Verfügung stellen.
Wenn man in der Öffentlichkeit steht, hat man, finde ich, die Pflicht, die Leute auf wenigstens eines der vielen Probleme aufmerksam zu machen, die wir auf dem Globus haben. Die Leute sollen wissen, dass es in Amerika einen Stamm mit bestimmten Werten gibt, die bei uns schon längst verloren gegangen sind, und dass dieser Stamm in seiner Existenz bedroht ist. Wenn wir nicht aufpassen, dann ist dieser Stamm bald weg. Das geht ganz schnell.
Es geht um die Oglala-Lakota-Indianer, deren Reservat mit Giftstoffen und radioaktiver Strahlung verseucht ist.
Meine Frau ist gerade drüben und hat berichtet, wie sie mit Schutzanzügen durch dieses Gebiet gehen und die Verstrahlung messen. Da wird Uran abgebaut, es gab ein Waffentestgebiet, und jetzt sterben die Leute dort an Krebs und anderen fürchterlichen Krankheiten. Kinder werden mit nur einer Niere geboren. Es ist grausam – und das mitten in Amerika.
Die Native Americans werden weiter diskriminiert.
Nicht nur diskriminiert. Man will sie loswerden, getreu dem Motto: The only good indian is a dead indian. Man will die Reservate nicht mehr haben. Die Indianer sollen sich mit dem Rest der Bevölkerung vermischen und so verschwinden.
Sie waren schon beim ersten Charity-Konzert der Rockgeschichte dabei, dem »Concert For Bangla Desh«.
Ja, und das ist auch einer der Gründe, der mich dazu gebracht hat, nun mein Album zu machen. Ein Konzert wird es nicht geben, aber wir haben alles gefilmt, man kann es hören und sehen.
Schade, dass George Harrison nicht mehr auf Ihrer Platte dabei sein konnte.
Ich hätte auch gerne Harry Nilsson draufgehabt, Billy Preston, John Lennon, Jesse Ed Davis. Wer da alles schon tot ist... Deswegen ist es auch so wichtig: Meine Platte dokumentiert eine Sache, die es nie mehr geben wird. Die sind ja bald alle weg. In fünfzig Jahren können sich die Leute das angucken und sagen, da spielen ja Paul McCartney und Ringo Starr. Ich bin stolz darauf, dass ich etwas Bleibendes hinterlasse.