Es ist eine Geschichte wie im Märchen. Vor einem Jahr musizierte Michael Hirte mit seiner Mundharmonika noch in der Fußgängerzone von Potsdam, doch seit er Ende November die Fernseh-Show Das Supertalent gewann, ist der ehemalige Hartz-IV-Empfänger ein Star. Sein Debütalbum Der Mann mit der Mundharmonika schoss im Dezember auf Platz Eins der Charts, bis heute wurden über 500 000 Exemplare verkauft. Ende Februar erscheint Hirtes Autobiografie, am Sonntag beginnt in Kiel seine große Deutschlandtour, die ihn bis Ende März in 22 Städte führen wird. Ich habe mit ihm über das Objekt gesprochen, das im Zentrum seines Überraschungserfolgs steht: sein Instrument.
Herr Hirte, ich hab mich gefreut, als Sie beim Supertalent gewonnen haben, da ich es schon lange schade finde, dass die Mundharmonika in der Popmusik keine große Rolle mehr spielt. Was mögen Sie eigentlich an ihrem Instrument?
Ich mag die Vielfalt an Klängen, die man aus der Mundharmonika holen kann. Und dass sie in die Hosentasche passt. Als Mundharmonikaspieler hat man die Musik immer dabei, da braucht man nicht viel Klimbim.
Sie ist auch ein sehr billiges Instrument.
Billig, ich weiß nicht. Die kostet heutzutage schon ganz schön viel, so eine Mundharmonika. Dreißig Euro – früher war das weniger.
Wann haben Sie angefangen zu spielen?
Mit acht Jahren. Wir waren in Stralsund bei Verwandten und da lag eine Mundharmonika rum. Ich habe ein bisschen darauf rumgefiedelt, habe mir die Töne gesucht. Nach einer halben Stunde konnte ich das erste Lied: »Sah ein Knab’ ein Röslein stehn«.
Ihre Familie war bestimmt begeistert.
Ja, ich durfte die Mundharmonika auch gleich behalten.
Haben Sie von da an regelmäßig gespielt?
Ja. Es ging los mit Volkslieder und Kinderliedern. Ich habe auf Familienfeiern gespielt, oder wenn Besuch da war. Zu DDR-Zeiten habe ich später auch viel in Kneipen gespielt. Das waren aber keine Konzerte, ich habe einfach meine Mundharmonika rausgeholt und drauflos geblasen.
Hatten Sie jemals Unterricht?
Nein, ich habe mir alles selbst beigebracht. 2000 habe ich dann angefangen, richtig zu spielen. Ich hatte einen Computer im Sperrmüll gefunden. Ein Computerfreak hat mir aus dem Internet ein paar Playbacks besorgt, zum Beispiel das Ave Maria, und damit habe ich geübt. Ich bin oft in einer Baptistengemeinde aufgetreten und habe Kirchenlieder gespielt. Das klang super, die Leute waren wirklich begeistert.
Sie haben sich also Karaoke-Versionen bekannter Hits besorgt, aber dazu nicht gesungen, sondern Mundharmonika gespielt.
Ja, die Mundharmonika ist meine Stimme.
Ab wann sind Sie als Straßenmusiker aufgetreten?
Ab 2003. Ich habe in der Brandenburger Straße in Potsdam gesessen oder in Spandau, vor Karstadt. Da gibt es ein Dach. Das war meine Schlechtwetterzone, wenn es geregnet hat.
Ist die Mundharmonika für Straßenmusik nicht eigentlich ein bisschen leise?
Die ist schon ziemlich leise. Das war manchmal ein ganz schöner Krampf – zum Beispiel wenn zehn Meter weiter ein Akkordeonspieler saß. Ich habe mich dann mit den anderen Straßenmusikern abgesprochen, dass wir uns so weit auseinanderstellen, dass ich auch noch ein bisschen zu hören bin.
Wer sind ihre Vorbilder?
Ich habe eigentlich keine. Außer vielleicht Stefan Diestelmann und seinen »Reichsbahn Blues«.
Der Titel war sehr populär in der DDR, oder?
Ja, genau. So etwas spiele ich auch gerne – Blues. Ich spiele eigentlich alles: Blues, Country, Schlager, Seemannslieder, Volkslieder, Rock’n’Roll.
Auf Ihrer Platte Der Mann mit der Mundharmonika, die im Dezember erschien, ist aber kein Blues zu finden. Die ist eher schlagerlastig.
Das kommt noch. Auf der nächsten ist auch noch kein Blues, aber ich will es auf jeden Fall irgendwann machen. Um Blues zu spielen, brauche ich allerdings die richtige Band. Das funktioniert mit Playback nicht.
Sie werden inzwischen von Hohner gesponsert, dem weltgrößten Mundharmonika-Hersteller.
Ja, von denen kriege ich Mundharmonikas. Ich habe ungefähr fünfzig. Aber die brauche ich auch alle. Die verstopfen schnell, deshalb muss ich sie beim Konzert häufig austauschen.
Für Hohner muss es eine glückliche Fügung sein, dass die Mundharmonika dank Ihnen nun wieder im Gespräch ist.
Ich habe gehört, dass die ganz schön Umsatz gemacht haben, seit ich beim Supertalent gewonnen habe.
Was für Chancen hatten Sie sich damals eigentlich ausgerechnet?
Keine großen. Beim Supertalent hatte sich schon mal ein Mundharmonika-Spieler beworben, den hat man aber nur ganz kurz gesehen. Ich dacht mir, mal sehen, vielleicht habe ich Glück. Und ich habe tatsächlich Glück gehabt. Das ist alles erst drei Monate her, aber mir kommt es vor wie eine Ewigkeit.
Weil sie so billig ist, gilt die Mundharmonika als Instrument des kleinen Mannes. Nun stecken wir gerade mitten in einer Wirtschaftskrise. Glauben Sie, dass die Mundharmonika wieder populärer wird, weil die Leute weniger Geld haben?
Das kann passieren. Es wäre eine schöne Entwicklung, und ich will ein bisschen dazu beitragen. Ich habe deshalb ein Buch gemacht, in dem ich eine Anleitung zum Mundharmonikaspielen gebe. Das arbeiten wir gerade noch durch, es soll im Lauf des Jahres erscheinen. Ich hoffe jedenfalls, dass möglichst viele Leute anfangen, Mundharmonika zu spielen.