Als Suze Rotolo ihre Memoiren veröffentlichte, war das für viele Dylan-Fans ein großes Ereignis: Niemand stand Dylan in seiner frühen New Yorker Zeit näher als diese junge Frau aus einer linken Familie, die auf dem Cover des Album The Freewheelin' Bob Dylan so ungemein sympathisch lächelt und sich an ihren frierenden Freund schmiegt.
Rotolos Buch A Freewheelin' Time erwies sich jedoch nicht nur im Hinblick auf Bob Dylan als ausgesprochen interesssant und lehrreich. Rotolo zeichnet ein prägnantes Bild der Künstlerszene von Greenwich Village, wo Anfang der Sechziger viele gegenkulturelle Ideen ausprobiert wurden, die bald darauf um die Welt gingen. Bewegend sind außerdem die Passagen, in denen sie ihre eigene Verletzlichkeit schildert, ihre politischen Ideale und ihre Scheu vor der Glitzerwelt des Pop, die mit Dylans Erfolg Einzug in der Folkszene hielt. Unter dem Titel Als sich die Zeiten zu ändern begannen. Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern (Parthas-Verlag) ist Rotolos Buch auf Deutsch erschienen.
+Suze Rotolo, jeder kennt Ihr Foto vom Cover des Albums The Freewheelin’ Bob Dylan. Wie ist dieses Bild damals entstanden?
Der Fotograf Don Hunstein und einer der Presse-Leute von Columbia Records kamen in die Wohnung in der West 4th Street, in der Bob und ich wohnten. Der Fotograf hat ein paar Schnappschüsse gemacht, alles sehr spontan und informell. Am Nachmittag, als sich das Licht zu ändern begann, sagte er, lasst uns noch ein paar Bilder draußen machen. Es war kalt und stürmisch, und wir sind ein paar Mal die Straße rauf- und runtergegangen. Das war's. Kein Makeup, keine Posen, keine Kostüme, nichts.
War das Foto von Anfang an als Albumcover vorgesehen?
Nein. Wir waren beide überrascht, als es dafür ausgewählt wurde. Die meisten Plattencover waren damals gestellt und sahen dementsprechend kitschig aus. Dass es so ein lässiges Foto auf ein Albumcover schaffte, war sehr ungewöhnlich. Im Rückblick muss ich sagen, dass das Bild wohl gerade deshalb so einflussreich geworden ist: Es steht für die Spontanität und Lockerheit der Künstlerszene in Greenwich Village, für die Unschuld dieser Zeit, für die Rebellion gegen das Establishment.
Ihr Gesicht ist dadurch auf der ganzen Welt bekannt geworden. Wie haben Sie das verkraftet?
Ich habe lange eine Art Doppelleben geführt. Meine Zeit mit Bob Dylan in Greenwich Village wurde ein solcher Mythos, dass es fast nicht wahr gewesen sein konnte. Wenn man älter wird, unterhält man sich mit anderen über den ersten Freund, die Jugendliebe – ich konnte bei solchen Gesprächen nie mitmachen, denn wenn ich den Namen Dylan erwähnt hätte, wäre jeder sofort erstarrt. Ich habe mich wie in einer Parallelwelt gefühlt und nur wenigen Menschen von meiner Vergangenheit erzählt. Von Natur aus bin ich eher schüchtern, und so hat mich die Erinnerung manchmal verlegen gemacht. Obwohl es eine sehr schöne, ereignisreiche Zeit war.
Greenwich Village war Anfang der Sechziger eine Art Labor für all die progressiven Ideen und alternativen Lebensformen, die nur wenige Jahre später weite Verbreitung fanden. Warum ging es gerade in dieser Ecke von Manhattan so fortschrittlich zu?
Greenwich Village war schon immer ein Treffpunkt von Künstlern, Bohemiens und Außenseitern. Anfang der Sechziger war die Zeit reif, um Schluss zu machen mit dem Konformismus der Fünfziger. In den Fünfzigern lag das Land politisch im Koma, ähnlich wie in den Bush-Jahren. Wenn man das System in Frage stellte, war man verdächtig. Die Beat-Generation hat damit angefangen, da gab es schon den ersten Riss in der Fassade, die nächste Generation hat dann den Durchbruch geschafft.
Hatten Sie damals schon eine Ahnung davon, wie erfolgreich die Gegenkultur werden würde?
Nein, eher nicht. Wenn man jung ist, lebt man sein Leben und denkt nicht darüber nach, was das später bedeuten wird. Die Künstler in Greenwich Village haben gehofft, bekannt zu werden, aber sie haben bestimmt nicht geglaubt, alles umzustürzen.
Ich werde die Welt ändern!
Man träumt davon, aber man glaubt nicht daran. Es hat lange gedauert, bis wir verstanden haben, wie einflussreich das alles war, was wir gemacht haben. Und dass das Plattencover diese Zeit symbolisiert, empfinde ich immer noch als unwirklich.
Sie beschreiben in Ihrem Buch die Folkszene in Greenwich Village. Das lief damals alles noch eher unkommerziell ab, oder?
Ja, und das war sehr wichtig. Keiner hatte einen Manager, und die Plattenfirmen haben dort auch noch nicht rumgeschnüffelt. Die Leute sind einfach in einen Club gewandert und haben gefragt, ob sie dort singen dürfen. Der Eigentümer hat gesagt, ok, versuchen wir's mal. Diese Bescheidenheit gibt es heute gar nicht mehr. Inzwischen hofft doch jeder Musiker, reich und berühmt zu werden!
Sehr interessant fand ich Ihre Schilderung einer Begegnung mit John Lee Hooker: Sie haben ihn in einer Bar gesehen und einfach angesprochen.
Schön, dass Sie das erwähnen. Das Zusammentreffen von Jung und Alt, von verschiedenen Musikstilen, war damals wirklich außergewöhnlich. Es gab noch nicht dieses Schubladendenken.
Bob Dylan hat oft gesagt, dass es für seine Entwicklung von entscheidender Bedeutung war, alte Meister wie Lonnie Johnson oder John Lee Hooker noch persönlich kennengelernt zu haben.
Viele der Älteren hatten große Herzen. Sie haben die jungen Musiker mitspielen lassen und ihnen jede Menge beigebracht. Bob hat Mundharmonika mit vielen dieser Leute gespielt. Es gab diese alte Jazzsängerin, Victoria Spivey. Die war unglaublich beeindruckend, sie stand schon auf der Bühne, als Louis Armstrong seine ersten Aufnahmen gemacht hat. So entstand eine Verbindung zwischen den verschiedenen musikalischen Epochen.
Das Wissen wurde weitergegeben.
Ja, genau. Es war damals ja auch nicht gerade leicht, Platten aufzutreiben. Heute googelt man einfach. Früher war die Suche nach alten Aufnahmen sehr aufwändig. Wenn jemand eine tolle alte Blues- oder Countryplatte gefunden hatte, war das ein Ereignis: Alle kamen zu Besuch, saßen im Kreis um den Plattenspieler und haben andächtig gelauscht.
Sie waren dabei, als Dylan begann, eigene Songs zu komponieren.
Als er angefangen hat zu schreiben, war er motiviert von seiner intensiven Liebe zur alten Musik. Einige Leute haben gesagt, er würde klauen; in Wahrheit hat er durch die Beschäftigung mit den alten Folk- und Blues-Songs sein Handwerk gelernt und seine eigene Sprache gefunden.
Diese Methode hat er beibehalten. Auch auf neuen Dylan-Alben wie Modern Times und Together Through Life finden sich etliche Bearbeitungen alter Folksongs.
Genau. Er liebt diese Musik immer noch.
Es muss faszinierend gewesen sein, ihm bei der Arbeit zuzusehen.
Das war alles ziemlich spontan. So hat damals jeder in Greenwich Village gearbeitet. Alle haben experimentiert, jeder hat von jedem gelernt. Aber Bob stach heraus, weil er so gut war. Viele haben Songs geschrieben, aber er hatte etwas besonderes. Ich möchte allerdings betonen, dass sich sein Aufstieg anfangs im Rahmen einer Künstlergemeinschaft vollzog. Er war kein Gott, der vom Himmel fiel.
Man sagt, dass Dylan durch Sie zu etlichen Liedern inspiriert wurde. Stimmt das?
Es gibt Stellen in seinen Songs, von denen ich genau weiß, was sie bedeuten. Die Songs beziehen sich auf sein Leben, und ja, viele beziehen sich auf unsere Beziehung. Aber sie wurden geschrieben, um als Kunstwerke zu funktionieren. Jeder Autor nimmt das, was er erlebt, und verwandelt es. Man sollte also nicht den Fehler machen, Lieder für Tatsachenbeschreibungen zu halten. Das würde der Kunst nicht gerecht.
»Ich war in New York aufgewachsen und kam aus einer progressiven Familie, dadurch habe ich vieles mitgekriegt, wovon Bob als Kleinstadtjunge keine Ahnung hatte«
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass Ihre Beziehung zu Dylan auch am Druck von außen zerbrach. Viele Leute sahen Sie ausschließlich als Muse des jungen Künstlers, während Sie selbst ein eigenes Leben führen wollten, dass sich nicht nur über die Nähe zu Dylan definierte.
Damals gab es noch keinen Feminismus. Auch in der Boheme hatten Männer das Sagen. Frauen haben Kaffee serviert und sich angehört, was ihre Typen zu erzählen hatten. In dieser Rolle habe ich mich immer sehr unwohl gefühlt. Ich wollte nicht Dylans Puppe sein. Ich konnte dieses Unbehagen noch nicht artikulieren, aber es hat mich immer rasend gemacht, wenn jemand zu mir sagte, aha, du bist also Bobbys Puppe. Da ich sehr jung war und mich für vieles interessierte, fühlte ich mich nicht so, als müsste ich still im Hintergrund sitzen, während dieser Typ alles machte, was er wollte, in der Gewissheit, dass seine Puppe auf ihn wartet.
Auf Ihrer Website habe ich Kommentare von jungen Frauen gelesen, die Ihr Buch berührt hat.
Ich glaube, meine Geschichte spricht viele Frauen an, weil sie wie ein Entwicklungsroman ist. Ich würde mir zwar wünschen, dass junge Frauen heute davon nicht mehr betroffen sind, einfach weil ich ihnen nicht wünsche, in so einer Position zu sein wie ich damals. Aber es tut gut zu wissen, dass junge Frauen immer noch über die Dinge nachdenken, über die ich damals nachgedacht habe.
Wie hat Ihnen Bob Dylans Buch Chronicles gefallen?
Ich finde es sehr gut. Er ist so ein guter Autor! Er hat es nicht verdient, als derart geheimnisumwittert zu gelten. In diesem Buch hat er gezeigt, wer er wirklich ist, nämlich ein klarer Denker.
Bob Dylan sagt in dem Buch einige sehr nette Dinge über Sie, zum Beispiel: »Meeting her was like stepping into the tales of 1001 Arabian nights.«
Ich war damals sehr enthusiastisch und habe mich für viele, viele Dinge interessiert – Dichtung, Theater, Kunst. Ich war in New York aufgewachsen und kam aus einer progressiven Familie, dadurch habe ich vieles mitgekriegt, wovon Bob als Kleinstadtjunge keine Ahnung hatte. Er war sehr neugierig und beileibe nicht nur auf Folkmusik fixiert. Deshalb haben wir uns auch so gut verstanden.
Hören Sie gelegentlich die alten Dylan-Platten aus dieser Zeit?
Nicht wirklich. Man lässt Dinge auch hinter sich. Aber ich liebe immer noch die alte Blues- und Roots-Musik.
Ich finde es erstaunlich, wie langlebig die alten Aufnahmen aus den Zwanzigern und Dreißigern sind. In den letzten Jahren haben viele Menschen diese Musik neu entdeckt.
Das sehe ich genauso. Ich gehe in New York durch die Straßen und höre, wie die Straßenmusiker Lieder aus den Zwanzigern spielen. Diese Kontinuität liebe ich.
Nun muss ich Sie noch nach einer anderen Stelle Ihres Buches fragen. Ich war ganz perplex, als ich las, dass Sie 1964 während eines Kuba-Aufenthalts sogar Che Guevara getroffen haben!
Ja, zusammen mit einer Gruppe amerikanischer Studenten. Einige waren sehr gut vorbereitet und hatten lange Listen mit Fragen. Ich wollte vor allem hören, was er über den Wandel auf Kuba zu sagen hat. Er sah genauso aus wie auf den Fotos, die man von ihm kennt: Mit seinen Füßen auf dem Tisch saß er da, eine dicke Zigarre im Mund – alles sehr locker. Fidel habe ich auch getroffen. Das war eine aufregende Zeit. Die Revolution lag noch nicht lange zurück und es schien, als würde das Eis des Stalinismus in der tropischen Sonne schmelzen.
Die Gegenkultur der Sechziger hatte weitreichende soziale Folgen, aber was hat diese Bewegung politisch bewirken können?
Nun, es gab zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung. Anfang der Sechziger war die Rassentrennung weit verbreitet. Das war archaisch, und die Bürgerrechtsbewegung hat das verändert. Andererseits ist Amerika schon immer ein konservatives Land gewesen, und seit einigen Jahren wird versucht, die Errungenschaften der Sechziger kleinzureden. Aber ich halte daran fest, dass die Sechziger unsere Kultur zum besseren verändert haben. Es ging uns um politische und soziale Veränderungen, und nicht in erster Linie um Sex, Drogen und Rock’n’Roll, wie einem heute leider weisgemacht wird.
Suze Rotolo: »Als sich die Zeiten zu ändern begannen. Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern« (Parthas-Verlag)