Eric Rogers sitzt im prunkvollen Wohnzimmer des viktorianischen Herrschaftshauses, das er bewohnt, den Laptop im Schoß, und plant die Revolution. Dafür ist er hier, in dieser Wohngemeinschaft in San Francisco, die sich »The Embassy« nennt, weil sie sich als Botschaft versteht, nämlich als die Vertretung der Welt von morgen. Es haben sich zuletzt in San Francisco etwa fünfzig dieser »Techie-Kommunen« gegründet, Häuser, in denen junge Menschen leben, die jeden Monat zu Hunderten in die Stadt strömen, um in der digitalen Welt Karriere zu machen; die Start-ups gegründet haben, Start-ups gründen wollen oder wenigstens für Start-ups oder Geldgeber von Start-ups arbeiten. Sie zahlen bis zu tausend Dollar für ein Stockbett und für die Hoffnung, ihre Träume zu Technik werden zu lassen.
Eric Rogers, 24 Jahre alt, Student der Politischen Theorie und Ökonomie in Yale, bezeichnet sich als Marxist und träumt von einer App. Mit der App sollen Menschen schöne Orte tauschen können: Wer eine tolle Dachterrasse hat, stellt sie anderen Nutzern kostenlos zur Verfügung und bekommt dafür zum Beispiel für einen Sonntagnachmittag einen Privatsteg am See. Die Mitglieder sparen so die Miete für Veranstaltungsorte oder den Eintritt für das Schwimmbad. Geld, das nicht ausgegeben wird, ist für Eric Rogers gutes Geld, die offizielle Wirtschaft werde so geschwächt, hofft er, es entstehe ein Tauschhandel, eine Parallelökonomie.
Rogers ist in San Francisco aufgewachsen, er sagt: »Ich hasse alles, was die IT-Industrie mit meiner Stadt macht.« San Francisco zog schon immer diejenigen an, die ungewöhnlicher waren und lebten, Nordkalifornien gilt seit Jahrzehnten als Sehnsuchtsort für alle, die den Fortschritt suchen, gesellschaftlich und technisch. Firmen wie Apple entstanden aus dieser Gegenkultur. Aber die Firmen der einstigen Außenseiter sind zu Weltkonzernen geworden, und die Stadt ist jetzt vor allem für diejenigen interessant, die aus Fortschritt Geld machen, eine Entwicklung, die Rogers wütend macht. Er hasst, dass der Bürgermeister seiner Heimatstadt mit Steuererleichterungen millionenschwere Firmen wie Twitter oder Dropbox dazu gebracht hat, zu bleiben – das Silicon Valley, dieser endlose Vorort, der das Technologiezentrum der Welt ist, ist längst an San Francisco herangewachsen. Mehr als 5000 Start-ups sind in San Francisco registriert, im Schnitt sind sie 4,6 Millionen Dollar wert und zahlen ihren Mitarbeitern 105 000 Dollar Jahresgehalt. Und wer draußen im Silicon Valley arbeitet, bei Google oder Facebook, der wohnt trotzdem in »The City«, 35 000 Pendler werden jeden Tag mit klimatisierten Bussen in ihre Zukunftslabore gefahren. Eric Rogers hasst, dass die Stadt dadurch zwar für viele Investoren attraktiv geworden ist, aber für viele Menschen auch unbezahlbar. Es interessiert ihn nicht, dass »Snapchat«, die App eines Schulfreunds, zehn Milliarden Dollar wert sein soll. Er hasst die Venture Capitalists, die in San Francisco ihre Büros eröffnet haben, auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, auf das sie rechtzeitig setzen können.
Nur um seinen Traum, diese App, die das Geld auf Dauer überflüssig machen soll, zu programmieren und auf den Markt zu bringen, braucht Eric Rogers gerade: Geld. Dafür muss er potenziellen Geldgebern schlüssig erklären, dass es genug Menschen gibt, die wie er keine Lust mehr auf den Kapitalismus haben. Seine Anti-Profit-App muss profitabel aussehen, das Kapital, auf das gewettet würde, wären die vielen Nutzer der kostenlosen App. Der Kontakt zu ihnen. Ihre Daten. Das Kapital wären Antikapitalisten. Eric Rogers sagt: »Vielleicht kann ich mit meiner App dem gierigen Drachen da draußen etwas zum Fraß vorwerfen, was ihn vergiftet!«
Erics eigener Lieblingsplatz in der Embassy ist der Whirlpool hinter dem Haus. Hier sitzt er, wenn er mal wieder mit dem Widerspruch in seiner Geschäftsidee hadert. The Embassy, 399 Webster Street, liegt nicht weit von den hügeligen Straßenzügen Haight- Ashburys, wo in den Sechzigerjahren der Hippiemythos der Stadt begründet wurde. Aber mit den Kommunen von damals hat das Domizil wenig gemein: Auf 700 Quadratmeter, die monatlich 15 000 Dollar kosten, verteilen sich acht Schlafzimmer und sechs Bäder. Im Hobbyraum steht ein Flügel, im Keller eine Bowlingbahn, die massive Eleganz der antiken Holzmöbel wird nur gebrochen durch die vielen herumliegenden Apple-Ladekabel. Zwölf Dauermieter und immer auch einige Besucher teilen sich das Haus. Morgens kommt eine Rundmail, in der zusammengefasst wird, wer gerade da ist und ob es abends eine Party gibt. Die großen Schlafzimmer kosten inklusive aller Einkäufe bis zu 2000 Dollar pro Monat. Deutlich günstiger sind die Arbeitsplätze im Keller des Hauses, dort sitzt der Mitbewohner Tony Lai in seinem Büro für das Start-up »LawGives«, das allen Menschen auf der Welt einen guten Anwalt vermitteln soll, und wartet auf den Durchbruch. Und auf der Bowlingbahn haben gerade einige Südkoreaner wacklige Schreibtische aufgestellt und ein Sofa, auf dem sie tagsüber den Schlaf nachholen, zum dem sie nachts nicht kommen. Morgens, wenn die meisten Bewohner die Embassy verlassen und Geld verdienen gehen, kommen diese Untermieter und arbeiten daran, eines Tages auch dazuzugehören. Das Scheppern einer Skype-Verbindung aus dem Keller ist tagsüber manchmal das Einzige, das Eric im Haus hört.
Hier können auf dem Sofa kühne Projekte und Millionengeschäfte genauso beginnen wie Liebesgeschichten.
Mit seiner Freundin Zarinah Agnew, einer Neurowissenschaftlerin, teilt sich Rogers ein Bett im Sechs-Personen-Schlafsaal. Sie hätten kürzlich ein frei gewordenes Zimmer für sich haben können. Sie haben abgelehnt. »Wir diskutieren gerade in der Gruppe viel über Privatsphäre«, sagt Eric Rogers, »es ist für uns als Paar ein Experiment.«
Es gibt unter den Techie-Kommunen zweckmäßige Wohngemeinschaften für Programmiergenies, es gibt heruntergekommene Lagerhäuser, in denen Bio-Hacker ausprobieren, was passiert, wenn sie sich Computerchips unter die Haut pflanzen, es gibt Häuser, in denen niemand aufgenommen wird, der nicht mindestens eine Firma gegründet hat, aber was sie alle vereint, ist: Hier werden radikal die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben eingerissen. Hier können auf dem Sofa kühne Projekte und Millionengeschäfte genauso beginnen wie Liebesgeschichten. Hier lebt und arbeitet man miteinander – und auch immer ein bisschen gegeneinander. Eric Rogers sagt, er führe hier jeden Tag inspirierende Gespräche, aber wenn er höre, wie viele Millionen »Planet Labs«, das Start-up des Mitbewohners Will Marshall, schon wieder eingesammelt hat, fühle er sich noch ärmer, als er ohnehin sei. Und die Südkoreaner im Keller wissen, dass die Zeit im Millionenrennen gegen sie spielt, es wurden schon viele Start-ups vergessen, bevor sie überhaupt bekannt wurden.
Die Embassy ist die bekannteste der neuen Kommunen. Hier leben nicht nur Start-up-Gründer, sondern auch eine Soziologin, eine Grafikdesignerin, eine Architektin, aber im Silicon Valley tüfteln ja auch nicht nur Programmierer an der Zukunft, man braucht Experten auf allen Gebieten, um darüber zu diskutieren, wie ein besseres Leben aussehen könnte. Der Hacker David Stavis, der die Kommune »The Lair« gegründet hat, sagt es so: »Ich will irgendwann mit den schlauesten Menschen der Welt in einem riesigen Anwesen leben, forschen, lieben, Kinder zeugen. Programmierer, Intellektuelle, Wissenschaftler. Wie Wikipedia, das zum Leben erwacht. Es wäre ein Paradies!« Ein Paradies, in dem Menschen ohne besondere Fähigkeiten oder Visionen allerdings keinen Platz hätten. Auch die Auswahlrunden für freie Plätze in der Embassy, für die es jedes Mal Hunderte Bewerber gibt, sind spirituelle Assessment Center. Was inspiriert dich? Über welche philosophische Frage würdest du gerade gerne diskutieren? Was treibt dich an? Was willst du verbessern? Schließlich entscheiden die Bewohner gemeinsam, wer zu ihnen passt.
An diesem Abend Ende Juli wird am großen Esstisch der Embassy jedoch vor allem über Damians und Michelles Dating-Fortschritte diskutiert. Damian und Michelle führen eine offene Beziehung, was Damian, der gerade bei Google angefangen hat, deutlich besser gefällt als Michelle. Es ist nicht ihr persönliches Projekt, es ist das Projekt aller geworden. Dann unterbricht Derek: »Ich habe heute gehört, dass sie auf dem Gelände von Facebook Gemeinschaftshäuser für die Mitarbeiter bauen. Die kopieren uns.« – »Na klar«, sagt Eric, »ihr müsst verstehen, in San Francisco sind nicht so viele Kreative, weil hier das große Geld sitzt. Hier sitzt das große Geld, weil hier die Kreativen sind!« Dann geht es um ein sensibles Thema: Wie wird in Zukunft abgestimmt im Haus? Sollten die mehr Stimmrecht haben, die am meisten im Haus machen, Partys organisieren, die Webseite aktualisieren? Wo ist eigentlich Will?, fragt jemand. Im Bett! Das meine ich, sagt jemand anderes, auch die Gründungsmitglieder müssen sich hinten anstellen, wenn sie nie da sind! Wo ist Jessy?, ruft jemand aus der Küche.
Jessy Schingler hat das Haus vor zwei Jahren mit ihrem Mann Robbie und dem gemeinsamen Freund Will Marshall gegründet, die drei haben schon in vielen Wohngemeinschaften gelebt, seit sie sich bei der NASA kennengelernt hatten. Schingler sagt: »The Embassy ist eigentlich eine Art Flagshipstore für eine viel größere Idee.« Schingler lebt offiziell noch in der Embassy, doch eigentlich schläft sie derzeit auf der Baustelle der nächsten Expansionsphase: Ein paar Straßen weiter entsteht in einem ehemaligen gleichnamigen Hotel das »Red Victorian«, ein Embassy-Haus mit noch mehr Betten und noch mehr Plätzen für Kurzbesucher. Schingler sagt, langfristig sollen Embassy-Kommunen über die ganze Welt verteilt sein: Man wohnt in San Francisco, ist aber für ein Projekt in Berlin, besucht einen Freund in Tokio, immer wird da ein Embassy-Bett sein.
Eines Morgens sitzt Will Marshall in der Küche des alten Embassy-Hauses neben seiner Mutter, die aus England zu Besuch ist, vor einer Schüssel Müsli. Während er spricht, blättert er in einer Fachzeitschrift für Physik und wippt ununterbrochen mit seinen Füßen, die in gräulichen Tennissocken stecken, weshalb die Mutter »Ruhig, Will« flüstert. Marshall ist nicht nur der Hausälteste in der Embassy, sondern auch so etwas wie die Hausgottheit: Mit seinem NASA-Freund Robbie Schingler gründete er Planet Labs, ein Start-up, das in zwei Jahren achtzig Millionen Dollar eingetrieben hat und bis Mitte kommenden Jahres 131 kleine Satelliten, von ihm zärtlich »Tauben« genannt, in die Erdumlaufbahn verteilt haben will. Das Ziel ist es, ständig aktualisierte Bilder der Erde zu liefern und sie öffentlich zugänglich zu machen. Planet Labs hat mittlerweile vierzig Mitarbeiter. Sie mussten sich alle dazu verpflichten, zwei Wochen pro Jahr Urlaub zu nehmen, erzählt Marshall, niemand wolle nach Hause gehen, sie schrieben Raumfahrtgeschichte. In der Embassy gab es eine Feier, als zuletzt 16 Satelliten von der ISS ausgesetzt wurden. »Das Geld, das wir von den Investoren als Vertrauensvorschuss bekommen haben, macht mich nicht nervös«, sagt Marshall, »mir geht es nicht um Geld. Ich will mit Planet Labs die Welt verändern, sie besser machen.« Marshall wippt plötzlich noch schneller mit den Füßen. Er hofft, dass seine Satellitenbilder neue Aufschlüsse geben über die Umweltveränderungen auf der Erde, über Flüchtlingsströme und Wasserknappheit. Er sagt: »Wir wollen den Weltraum demokratisieren!« Das sagt er auch seinen Investoren, sie hören diese Geschichte gern. Nur: Irgendwann muss Geld zurückfließen. Die Technik von Will Marshall ist nicht nur für Anbieter von Navigationssystemen interessant, auch für jeden Rüstungskonzern. »Ich würde Planet Labs nie an Google oder sonst wen verkaufen«, sagt Marshall. Aber er weiß, dass der Tag kommen wird, an dem die Tauben mehr als bloß Bilder liefern müssen.
Viel lieber spricht Will Marshall unter dem Kronleuchter darüber, warum er sich nicht vorstellen kann, je anders zu leben, je allein: »Eigentlich war es erst Königin Viktoria, die das Modell der Kleinfamilie im 19. Jahrhundert als Norm festgelegt hat. Davor hatten die Menschen immer in großen Verbunden gelebt. Sollte ich irgendwann mal Kinder haben, werde ich auch in einem solchen Haus leben!« Die erste Kommune, die Will Marshall 2007 gemeinsam mit Jessy und Robbie Schingler gegründet hat und die auch für immer gedacht war – die »Rainbow Mansion« –, liegt achtzig Kilo-meter südöstlich der Embassy in Cupertino, auf einem Berg über dem Silicon Valley. Marshall sagt: »Die Kommune lebt noch immer, sie hat nur einen etwas anderen Fokus als wir in der Embassy. Es geht dort mehr ums Geschäft.«
An einem Abend kurz darauf steigt vor der Rainbow Mansion Shevek Mankin aus seinem silbergrauen Audi TT – ein hünenhafter Mann mit zarten Gesichtszügen, ganz in Schwarz gekleidet, das zottelige Haar mit zwei Stäbchen zu einem Dutt gesteckt. Er öffnet den Kofferraum, entnimmt ihm ein Einrad und wackelt darauf in die Eingangshalle der Zwei-Millionen-Dollar-Villa. Sieben feste Bewohner und unübersichtlich viele frisch ins Valley Gezogene aus aller Welt teilen sich mittlerweile die 7300 Dollar Miete. »Hallo!«, ruft Shevek in gestochenem Britisch von seinem Einrad, »was machen wir heute Abend?« Diana erinnert ihn daran, das am Abend Hausversammlung ist. Aber Shevek Mankin ist einer der begnadetsten Programmierer und Mathematiker weltweit, sein Datenanalyse-Start-up »Karmasphere« wurde gerade an den Softwaregiganten FICO verkauft, jetzt baut er mit einem anderen Start-up Cloud-Systeme und sitzt auf einem Einrad: Eine Orga-Sitzung kann ihm nicht die Laune verderben.
»Ich bin im Valley, weil hier für das, was ich kann, sehr viel Geld gezahlt wird und weil ich mit diesem Geld machen kann, was ich will.«
Die Rainbow Mansion ist von außen eine dieser viel zu großen Villen, die sich über dem Silicon Valley aneinanderreihen, innen hat sie den Charme eines Hostels, der vergessene Kram längst vergessener Mitbewohner stapelt sich in billigen Holzregalen, oben in der Galerie wurde ein Schlafsacklager für Praktikanten errichtet, die sich von den Bewerbungsfragen und dem Hindernis, dass man ohne Auto von hier nicht wegkommt, nicht haben abschrecken lassen. Die Villa spiegelt die Klassenstruktur des Silicon Valley: Wer ankommt, hat erst mal gar nichts. Der sieht von hier oben auf das Tal des Geldes, der sieht die Autos seiner Mitbewohner in der Einfahrt – und der versteht, dass es hier jeder schaffen kann, wenn er nur genial genug ist und hart arbeitet.
Den wichtigsten Tagespunkt der Vollversammlung eröffnet Diana nach anderthalb Stunden: Wieder mal wurde eine ihrer Pfannen, die klar und deutlich mit einem gelben Klebeband markiert ist – gelb für vegan! – zum Braten von Fleisch, in diesem Fall Würstchen, verwendet, schuld sei einer dieser Praktikanten. »Ich will nicht jammern«, sagt Diana, »ich will nur, dass ihr ein schlechtes Gewissen habt!« Aber so einfach ist das hier nicht. Loredana aus Moldawien fordert: »Es muss doch eine wissenschaftliche Möglichkeit geben, dieses Problem zu lösen!« – »Was meinst du?«, fragt Diana. – »Was ist das Problem? Sind da noch Fleischpartikel dran?« – »Es geht nicht um Wissenschaft, Loredana«, Verzweiflung klingt in Dianas Stimme. »Ich verstehe das nicht«, fährt Loredana in ihrem holprigen Englisch fort, »ich möchte die Logik verstehen. Wenn die Pfanne verunreinigt ist, muss es eine Möglichkeit geben, sie zu reinigen.« Und ehe Diana protestieren kann, hat man sich geeinigt, wer sich des Projekts Pfannenreinigung annimmt. Jemand erwähnt sogleich, er habe einen Freund, der eine spezielle Druckreinigungsmethode entwickelt hat. Wenn die Embassy ein Haus für Hippies mit Geld ist, dann ist die Rainbow Mansion ein Haus für Nerds mit noch mehr Geld.
Einige Stunden später drückt Shevek Mankin in der Küche aus einer Tube eine rosa Masse auf einen Pumpernickel, um dann ausgiebig darauf herumzukauen. Er berichtet den Umstehenden, dass es ihn verstöre, wie viele seiner Kollegen jeden Tag die verrücktesten Drogen nähmen, er könnte so nicht arbeiten. »Was mich aber viel mehr stört im Silicon Valley, ist dieser Ich-will-die-Welt-verbessern-Scheiß, den einem jeder erzählt, vor allem in San Francisco. Wenn ich die Welt verbessern wollte, wäre ich im Irak«, sagt Shevek. »Ich bin im Valley, weil hier für das, was ich kann, sehr viel Geld gezahlt wird und weil ich mit diesem Geld machen kann, was ich will.« Shevek sagt, viele Start-up-Gründer würden ihre eigene mit der ganzen Welt verwechseln. »Was haben denn Uber oder Tinder oder Snapchat verbessert? Sie haben höchstens den Alltag junger, weißer, reicher Männer einfacher gemacht! Wir leben nicht zusammen, um alles zu revolutionieren, sondern weil viele von uns alleine aufgeschmissen wären!«
In San Francisco wächst derweil das »Campus«-Netzwerk, das zehnte Start-up des 23-Jährigen Tom Currier. Weil in der Stadt plötzlich alle wieder in Kommunen ziehen, macht Tom Currier jetzt in Immobilien: Campus hat gerade das zwölfte Haus eröffnet, es sind die Luxusresorts unter den neuen Kommunen: alle topsaniert in Toplage, Zimmer für bis zu 2600 Dollar im Monat. Die »Campus«-Wohngemeinschaften werden nach Interessen und Talenten bevölkert: Es gibt Häuser für Entrepreneure, Wissenschaftler, Künstler, und alle teilen sich eine Wochenendvilla am Lake Tahoe. Currier sagt: »Wir wollen niemanden verschrecken, anders als die Hippies. Wir wollen aus pragmatischen Gründen für eine bestimmte Lebensphase zusammenleben.« Die Renovierungskosten aller Häuser habe er längst wieder zurückverdient, sagt Currier.
In der Embassy veranstaltet Will Marshall nun einen Diskussionsabend mit dem Titel »Regierungsformen auf dem Mond«. Er und Jessy Schingler haben in den vergangenen Jahren immer mal wieder diskutiert, wie man im Falle einer Mondlandung eine funktio-nierende Demokratie dort oben errichten könnte. Man weiß ja von hier unten, wie es nicht geht. Ihre Ideen drehen sich vor allem um Schwarmintelligenz und Online-Abstimmungen. Eine Art staatliches Wikipedia soll verhindern, dass Fehler wiederholt werden, ein generationsübergreifender Rat der Weisen sicherstellen, dass die Politik langfristig denkt. Gut vierzig Menschen sind gekommen, alte Freunde des Hauses mit ihren Kindern, eine Gruppe junger MIT-Studenten, Neuankömmlinge, sie alle haben im Wohnzimmer einen Stuhlkreis gebildet und trinken roten und weißen Wein durcheinander. Man ist sich weitgehend einig: Demokratie wäre so einfach, wenn all der irdische Ballast nicht wäre, Machtmissbrauch, Politikverdrossenheit, Dummheit, Menschen. Wenn Gerechtigkeit eine App wäre, sie hätten sie längst programmiert.
Spät meldet sich Eric Rogers zu Wort. Er kauert auf einem Stuhl in einer Ecke des Raumes. Das sei alles schön und gut, sagt er leise. Aber: Wer werde es sich denn leisten können, auf den Mond zu fliegen? Die Superreichen, die Eliten, die Zuckerbergs! Eric Rogers spricht in die Runde: »Ein gerechterer Mond ist nicht möglich ohne eine gerechtere Welt. Kümmern wir uns erst mal um die Welt!« Schweigen. »Das stimmt schon«, sagt Will Marshall schließlich, »aber heute Abend wollen wir darüber diskutieren, was wir besser machen würden, wenn wir von vorne anfangen könnten.« Die Umsitzenden nicken erleichtert. »Lasst uns so tun«, ruft Will, »als gäbe es den ganzen Mist da draußen nicht!«
Fotos: Winni Wintermeyer