Als mein Freund Ka und ich noch in derselben Stadt wohnten, saßen wir an Sommertagen oft im Straßencafé und sahen den Frauen beim Vorbeigehen zu. Wir redeten nicht viel, schon gar nicht über Frauen, eher schon über die Bücher, die wir gerade lasen. Manchmal sagte einer von uns, was wir dringend tun müssten, und manchmal ging genau in diesem Moment eine besondere Frau vorbei, und auf der Stelle vergaßen wir alles wieder. Weil die Frau besonders war. Ihr Gang. Oder ihr Sommerkleid. Oder weil ihr Sommerkleid so dünn und im Sommerlicht halb durchsichtig war. Vielleicht war es auch die Art, wie sie beim Vorbeigehen in ihr Telefon sprach, willst du auch Erdbeeren?, sagte sie, ich bin gleich da.
Du Schwein, sagte Ka. Du doch auch, sagte ich, und dann mussten wir lachen und redeten weiter über Moby Dick oder Gesine Cresspahl. Bis wieder eine Frau vorbeikam, die besonders war. Kann es sein, dass wir immer dieselben Frauen besonders finden?, fragte ich. Ka sagte, dass wir sowieso viel zu viele Frauen besonders fänden, praktisch fast alle. Die da zum Beispiel mit ihrem Pony. Oder die da vorne, obwohl er eigentlich nicht auf große Brüste, große Tätowierungen und große Zähne stehe. Und ob wir jetzt wieder über etwas anderes reden könnten? Andernfalls müsse er uns für zwei alte Deppen halten.
Da hatte er recht. Obwohl ich, was das betrifft, immer schon ein alter Depp gewesen bin, schon mit fünfzehn. Da habe ich im Sommer auch schon den Frauen hinterhergesehen. Und mir vorgestellt, wie sie mit mir reden, lachen, mit mir ein Eis essen und wie sie mich küssen würden. Und wie wir ein Ticket lösen würden, irgendwohin.
Es muss für Frauen lästig sein, sich ständig beobachtet zu fühlen, beim Gehen, Stehen, Leben. Und zu wissen, wie selbstgerecht die Männer sind, die denken, was ist das Problem, ist doch nichts dabei. Als ob Männer es ertragen könnten, wenn es ihnen selbst so erginge. Unsere Freiheit besteht auch darin, uns nicht ständig visuell bewähren zu müssen. Männer müssen höchstens mal den Bauch einziehen; Frauen dürfen keinen haben.
Mittlerweile beschäftigen sich zahllose Texte mit den männlichen Blicken und dem weiblichen Angeschautwerden. Die feministische Filmtheorie zum Beispiel ist 1975 aus einem Essay der Medienwissenschaftlerin Laura Mulvey entstanden, der die Blicke sowohl der Zuseher als auch der Schauspieler analysiert, die im Kino auf Frauen fallen. Soziologische Studien untersuchen die immer stärker werdende Unsicherheit, ob der eigene Körper den gesellschaftlichen Idealen standhalten könne, unter der vor allem junge Frauen leiden. In den USA gibt es den Ausdruck »Lookism«, der die Diskriminierung aufgrund von Aussehen bezeichnet. Und natürlich gibt es zu all dem auch die Gegenpolemik, das sei doch immer nur wehleidiges Gejammere. Was man davon mitnehmen kann: dass es unschuldige Blicke wohl nicht gibt. Also besser doch nicht gucken?
Schau mal, die da, sagte Ka. Ich sagte: Ja. Und dann sprachen wir wieder über wichtigere Dinge.
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