Mach’s gut, Krümel

Ein letzter treuer Blick, ein kraftloses Schnurren – wenn das Haustier stirbt, geht für viele ein geliebtes Familienmitglied verloren. Sechs Herrchen und Frauchen erzählen, wie sie den Abschied von ihren Tieren erlebt haben.

    Ein Hundegrab auf dem Tierfriedhof in Berlin-Hohenschönhausen.

    Foto: Imago

    Flecki, das Zwergkaninchen

    Ich war elf und mit meinen Eltern an der Côte d’Azur, als das Handy meines Vaters klingelte. Es war mein Bruder. Ich hörte nur die Worte meines Vaters, aber Sekunden reichten, um zu begreifen: Mein Zwergkaninchen ist tot. Flecki hatte ein besonderes Fellmuster: Ein schwarzer Streifen im Gesicht, links davon Weiß, rechts davon Grau. In der Tierhandlung hatte ich mich sofort darin verliebt. Fünf Jahre später wurde Flecki eingeschläfert. Schwere Madeninfektion. Ich glaube, sie litt.

    Noch während mein Vater telefonierte, begann ich laut zu weinen und hörte auch nicht auf, als er schon lange aufgelegt hatte. Nicht weil ich so weit weg war, als es mit Flecki zu Ende ging. Sondern weil ich mir eingestehen musste, dass ich ihr schon lange nicht mehr nah gewesen war. Viele Kinder verlieren irgendwann das Interesse an ihrem Haustier. Bei mir war das auch so. Stall ausmisten, Füttern, das nervte irgendwann. Ich wurde unzuverlässig und stritt darüber immer wieder mit meinen Eltern. Am Ende pflegte mein Vater Flecki mehr als ich. Als sie starb, fühlte ich mich schuldig. Ich hoffe, dass Flecki es gut bei uns hatte. Trotzdem.
    Von Matthias Bolsinger

    Meistgelesen diese Woche:

    Momo, der Hund

    Momo war unser dritter Berner Sennenhund und so wie die anderen auch vollständiges Familienmitglied. Als ich sie von ihrer Mutter holte, zitterte sie auf meinem Schoß und blickte mich verwirrt an. Ein paar Stunden später hatte sie ein neues Zuhause und ihr altes vergessen. Wenn sie mich begrüßte, legte sie beide Pfoten um meinen Hals. Hundeumarmung, egal, ob ich Stunden oder Monate weg gewesen war.

    Momo war zwei Jahre alt, als ich zum ersten Mal Knubbel an ihrem Rücken spürte. Bald war ihr ganzer Körper voller Knubbel. Wir schickten ihre Werte ein. Es sah nicht gut aus. Doch Momo erholte sich. Ein paar Monate ging alles gut, dann waren es noch mehr Knubbel. Momos Nierenwerte waren so schlecht, dass sie nicht einmal mehr messbar waren. Aber sie war noch nicht einmal drei Jahre alt. Darf man ein so kurzes Leben beenden? Ich weiß nicht, wie lang ein Tierleben dauern muss, damit man es glücklich nennen kann. An Momos letztem Wochenende lebte sie noch einmal auf, als wäre nichts. Aber ich bin mir sicher, dass sie wusste, wie schlecht es um sie stand. Als wir sie einen Tag vor Weihnachten zum Tierarzt brachten, sprang sie ohne zu zögern ins Auto. Es war kaum auszuhalten. Aber die Entscheidung, sie einschläfern zu lassen, erschien mir wie mein letzter Freundschaftsbeweis.
    Von Katharina Kropshofer

    Lilli Bumerang, das Pferd

    Ich hab mir früher die Augen zugehalten, wenn die Cowboys ihre Pferde im Western erst über die Prärie hetzten und sie dann, wenn sie stürzten und sich dabei ein Bein brachen, mit einem Schuss »von ihrem Leid erlösten«. Ein Pferd auf drei Beinen könne nicht leben, hieß es. Ich konnte das nicht glauben, weil die gebrochenen Beine der Kinder um mich herum ja auch heilten. Sehr viel später hatte ich ein eigenes Pferd, eine Stute, mein Sohn taufte sie Lilli Bumerang, weil sie einen weißen Bumerang auf der Stirn hatte.

    Eines Tages stand Lilli Bumerang auf drei Beinen da. Sehne kaputt, sagte der Tierarzt. Und man müsse das Tier von seinem Leid erlösen. Die Stute war einigermaßen alt und hatte schon jahrelang Arthrose in einem anderen Bein. Sie lebte in einer kleinen Herde in einem Offenstall und man sah, dass sie immer weniger wusste, wie sie sich hinstellen sollte. Daran sich hinzulegen war gar nicht zu denken, sie wäre nie wieder hochgekommen. Trotzdem konnte ich kaum glauben, dass ich jetzt diejenige sein sollte, die das Todesurteil über sie fällen sollte. Mein Impuls war, sie ins Bett zu stecken und zu hegen und zu pflegen. Stattdessen rief ich den Abdecker an und bestellte ihn für den nächsten Morgen, halb acht. Vorher würde der Tierarzt kommen. Und ich würde die Stute, die mich 16 Jahre durch den Winterwald und über Stoppelfelder getragen hatte, auf eine Wiese führen, die so lag, dass uns niemand vom Hof aus sehen würde. Ich würde ihr eine letzte Karotte geben. Der Tierarzt würde ihr drei Narkosespritzen verabreichen. Nach der ersten würde sie nichts mehr merken, wie vor einer Operation, und nach der dritten würde sie umfallen und sterben. 550 Kilo Leben, die ins Gras fielen. Es war brutal. Vor allem, weil sie immer noch so schön war. So unversehrt, rein äußerlich.

    Das ist jetzt mehr als zwei Jahre her. Das Bild kriege ich nicht mehr aus meinem Kopf.
    Von Gabriela Herpell  

    Maxi, der Wellensittich

    Als Neunjähriger wollte ich unbedingt einen Wellensittich, also uuunnnnbbbeeeddddinnngggtt! Bis meine Eltern nachgaben. Dann saß er da, Maxi, grün-gelb, alleine in seinem Käfig, und ich war entzückt, fünf Minuten lang. Bis mein Bruder rausging, spielen, und ich wollte mit. »Moment«, sagte meine Mutter, »du musst dich doch um deinen Vogel kümmern, damit er sich hier wohl fühlt, spiel mit ihm«. Da war mir Maxi schon zu viel. Er lebte sieben Jahre, erlebte meine Veränderung vom Kind zum Teenager. Wir kauften ihm zwei andere Wellensittiche, die früher als er starben, er flog viel im Zimmer rum und einmal entwischte er für zwei Wochen, bis wir ihn per Zeitungsannonce zurückbekamen, ganz dünn geworden.

    Es kam der Tag, an dem er starb und ich den Käfig in den Keller tragen sollte, weil wir keine weiteren Vögel wollten. Ich stellte den Käfig auf einen Schrank im Keller, zufällig auf Augenhöhe. Und wie ich da stand und durch die Gitter zum Kellerfenster hinaus sah, fühlte ich mich kurz wie er. So muss es gewesen sein, sein Leben: hinter Gittern, die nur zwei, drei Mal die Woche für eine Stunde aufgingen. Ich fing tatsächlich an zu weinen, so traurig kam mir sein Leben vor, obwohl wir ihn alle gerne mochten und lange versucht haben, ihm das Sprechen beizubringen, immerhin pfiff er gerne zu Beatles-Melodien mit. Ich hoffe, er mochte uns auch.
    Von Marc Baumann

    Bobby, der Hund

    Zum Schluss habe ich meinen Hund wie ein Baby gewickelt. Bobby konnte nicht mehr laufen und nicht mehr stehen. Er hat im Liegen gefressen. Ich weiß nicht, ob ich ihm einen Gefallen damit getan habe, ihn so lange leben zu lassen. Aber ich konnte die Entscheidung über Leben und Tod nicht für ihn fällen. Ich musste immer denken, man schläfert seine Großmutter ja auch nicht ein, nur weil sie nicht mehr gehen und stehen kann und im Liegen isst und gewickelt werden muss. Sicher, er hat oft traurig geschaut. Aber manchmal hat er immer noch so geguckt, als würde er sich freuen. Und er hat gefressen. Das sagte mir, er möchte leben.

    Meine Freunde haben ständig gesagt, du musst das beenden. Sie sind nicht mehr zu mir gekommen, so hat sie der Anblick abgestoßen. Und der Geruch nach altem Hund, das schon auch. Eines Morgens war er tot. Ich bin zu einem Freund aufs Land gefahren, um ihn dort zu begraben. Der Freund hat sofort Fleisch auf den Grill geworfen, eine Flasche Wein entkorkt und mit mir einen Leichenschmaus abgehalten. Die Knochen kamen zum Hund ins Grab. Der Abschied war dann gar nicht so schwer.
    Von Margarete Beune

    Tomtom, der Kater

    Erst kamen die Fische, dann die Katze, jetzt sollten es auch noch Kaninchen sein. Keine gute Idee, sagte ich, aber niemand hörte auf mich. Ich wurde immer überstimmt. Bei jedem Tier. Die Kinder sagten: Wir füttern und putzen. Die Frau sagte: Ich zahle. Auch später bei der Anschaffung eines größeren Tiers hatte ich nichts zu melden. Furby, das Pony. Es wohnte nicht bei uns, sondern im Stall. Die Tochter sagte: Ich will reiten. Die Frau sagte: Ich fahre sie. Natürlich war ich auch irgendwann an der Reihe. Sei’s drum.

    Dass Katzen und Kaninchen nicht beste Freunde werden, wollten sie alle nicht hören. Tomtom, so hieß der junge Kater, lauerte vom ersten Tag an vor dem Kaninchenstall. Eigentlich sollten es nur zwei sein, eines allein würde sich ja sonst langweilen, so hieß es. Okay, also zwei. Dann waren es plötzlich acht, sechs Babys. Manchmal durften alle raus und den Gang vollpinkeln. Ich wurde auch dazu nicht um meine Meinung gefragt. Tomtom sperrten die Kinder dann in den Garten, damit er die Kaninchen nicht belästigen konnte. Er jagte ihnen einen Heidenschrecken ein, wenn er vor dem Käfig saß, die Krallen ausfuhr und nach ihnen wischte. Ich wusste, es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis er irgendein im Gang vergessenes Kaninchen erwischen oder die Käfigtür nicht richtig verschlossen sein würde. Meine Zeit würde kommen, wo ich sagen könnte: Kinder, hab ich es Euch nicht gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, eine Katze und Kaninchen gleichzeitig zu halten? Und ab dann würde man endlich auf mich hören, hoffte ich insgeheim. Ab dann würde ich auch wieder Kaninchen mit Knoblauch beim Spanier bestellen und nicht mehr auf das Geheule der Kinder Rücksicht nehmen.

    Eines Tages war ein entsetzliches Kaninchengequietsche vom ersten Stock zu hören. Ich rannte hoch und erwischte Tomtom vor dem offenen Käfig, wie er ein Kaninchenbaby folterte. Er hatte es am Bauch aufgeschlitzt, es zappelte noch, und Tomtom bohrte immer weiter die Krallen ins offene Fleisch. Ich schnappte den Kater am Kragen, rannte runter und schmiss ihn im hohen Bogen in den Garten. Er flog sicher sieben Meter weit, bis kurz vor den Zaun. Er verstand gar nicht, was ihm geschah. Ich auch nicht. Ich war wütend. Und hatte Tränen in den Augen. Unglaublich. Ich heulte um eines der Kaninchen, das ich nie hatte haben wollen. Tomtom musste danach ins Exil. Der Nachbar nahm ihn zu sich. Jahrelang kam er noch in unseren Garten und kackte auf den Rasen. Aus Protest gegen seine Vertreibung. Im Januar 2018 ist er gestorben. Mit 23 Jahren. Hat alle Kaninchen überlebt.
    Von Lars Reichardt

    Franzi, der Hund

    An unserem ersten Tag ließ ich Franzi im Garten des Züchters auf die einzige Betonfliese weit und breit fallen, aber Welpenknochen halten viel aus. Dann nahmen wir ihn mit nach Hause, er ganz klein, ich auch noch klein, und ich ließ ihn nie wieder fallen. Ich wurde in den folgenden 12 Jahren ziemlich groß, er blieb ziemlich klein, ein Zwergdackel, noch dazu der kleinste aus dem Wurf. Selbst als er graues Fell bekam sagten Passanten oft entzückt: »Süß, ganz ein junger Hund noch«.

    An unserem letzten Tag streichelte ich ihn morgens lange. Er hatte oft Schmerzen, darum wollte meine Mutter ihn einschläfern lassen, wir wollten gemeinsam zum Tierarzt und danach tief in den Wald fahren, sie würde die Schaufel mitbringen. Ich ging zur Arbeit, schrieb einen Artikel, erreichte einen Gesprächspartner lange nicht, baute den Text noch mal um. Gegen 18 Uhr radelte ich zufrieden nach Hause, wo meine Mutter weinend am Esstisch saß. »Wo warst du?« Sie hatte Franzi alleine Lebewohl gesagt und ihn noch einmal fest gedrückt, bevor der Tierarzt die Spritze ansetzte. Dann hatte sie alleine ein Loch gegraben und war unter Tränen nach Hause gefahren. Das mit dem ersten und dem letzten Tag werde ich mir nie verzeihen, dazwischen war ich hoffentlich ein okayes Herrchen.
    Von Marc Baumann

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