Markenzeichen: Glattgeschliffen

Immer mehr Logos wichtiger Unternehmen kommen ohne Serifen aus. Für unseren Autor gehen damit nicht nur Originalität und Schwung verloren – er sieht auch ein wichtiges Kulturgut bedroht.

Collage: Lea Sophie Fetköter

Wenn aus einer Kulturtechnik ein Rechenvorgang wird, bleibt manches auf der Strecke. Bei den Logos großer Mode- und Technologiefirmen etwa verschwanden in den vergangenen elf Jahren die Ecken, Kanten, Blasen und vor allem die Serifen. Das sind die Füßchen, mit denen die Glieder von Buchstaben geerdet und beendet werden. Der Web-Entwickler Radek Sienkiewicz hat das gesammelt. Überall verwandeln sich Symbole und Schriftskulpturen in Wortmarken. Dabei wird der Bildsprache der Konsumwelt eine Askese aufgezwungen, die so gar nicht zum Barock des Kapitalismus passen will.

Ging es in Werbung und Marketing nicht immer um Überwältigung? Um Gefühle, die man mit Geschichten manipulierte, die im Sekundenbruchteil eines Blicks so viel erzählen sollten wie ein Hollywoodfilm? Der Nike-Swoosh ist ein Actionfilm im Rhythmus eines Dreiakters. Absturz, Kampf und Sieg. Der Schriftzug von Yves Saint Laurent war eine Soirée der Lettern, die ihre Serifen wie Schmuck auf ihren Art-déco-Körpern trugen. Das Google-Logo war ein Abenteuerfilmbeginn, der die Reise vorwegnahm, die man gleich durchs Weltwissen unternehmen würde. Rechts und links der beiden fernglashaften Os standen die Serifen der Gs wie Sherpas, die dafür sorgen würden, dass auf dieser Reise schon nichts schiefgeht.

In den Metropolen waren diese Logos aber nicht nur Markenzeichen, sondern auch die Blüten der eigentlichen Landschaft der Moderne. So wie die Romantiker des 19. Jahrhunderts ihr Seelenheil in der ­Tiefe des Waldes suchten, so fanden die Kosmopoliten des 20. Jahrhunderts in der Großstadt zu sich selbst. Grau und Braun waren dort die Grundierung einer Welt, in der sich die Farben und Schriften der Logos über die Architekturen verteilten. Sie wurden zu Wahrzeichen und Wegweisern. Der Times Square in New York, der Picadilly Circus in London und die Kreuzung am Bahnhof von Shibuya in Tokio sind Ruhmeshallen des Konsums.

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Serifenlose Textmarken erzählen gar nichts. Sie sind das Produkt aus den Sortiermaschinen der Bürokratie und den Leitsystemen der Logistik. Nike hat den Swoosh behalten. Aber Saint Laurent hat mit den Serifen und Schrägen gleich noch den Yves beseitigt. Google ist kein Atlas mehr, der einen durch die Welt führt, sondern nur noch ein Navigationssystem. Und die sollen Abenteuer ja gerade verhindern.

Noch bleibt es ein Rätsel, warum die Konzerne ihre Erkennungsmerkmale von Formen, Gefühlen und ­Serifen befreien. Ein paar Erklärungen gibt es. Serifenlose Wortmarken sind nicht für Städte und Menschen gemacht, sondern für Maschinen und ihre Nutzerschaften. In den Pixelrastern der Bildschirme sind Serifen Querschläger aus einer Zeit, als Schriftsätze noch geritzt, gemeißelt oder gepinselt wurden. Was sich da aber von der Lapidarschrift des antiken Griechenlands über die Capitalis Monumentalis des Römischen Reiches, die Antiqua-Schriften der Renaissance bis zum Times-New-Roman-Zeitungsschriftsatz der Dreißigerjahre durchgesetzt hat, ist nicht bloß eine Form, die sich einfach so austauschen ließe. Längst haben sich die Serifen von ihren Wurzeln als Abschluss der Meißelstöße auf Schrifttafeln gelöst. In den zweieinhalbtausend Jahren der eurozentrischen Kulturgeschichte haben sie sich als Stabilisatoren der Lesbarkeit fest in die Kulturtechnik der Textarbeit verankert.

Serifenlose Zeichensätze taugten vor allem für Schilder. Die New Yorker U-Bahn-Behörde beispielsweise war ein Pionier in der Modernisierung ihrer Leitsysteme, als sie 1989 die serifenlose Schriftart Helvetica als Standard einführte. Bald schon stellte sich heraus, dass solche Zeichensätze auf Bildschirmen mit ihrer Klarheit den Serifenschriften überlegen waren. Vor allem als die Rechner von den Tischen verschwanden, in die Handflächen wechselten und immer kleiner wurden, war jeder Pixel weniger eine Erleichterung fürs Auge. Mit den großen Bildschirmen verschwanden auch die großen Logos. Vorbei sind die Zeiten, als der Streamingdienst Spotify die Buchstaben seines Firmennamens tanzen ließ wie eine Horde Raver auf Speed. Oder als der Zimmervermittler airbnb seinen Schriftzug wie einen Kissenberg ins Netz setzte. Ebays Kaufladenlogo wirkt nun plötzlich so zurechtgezupft, als wäre die Wäsche­falterkönigin Marie Kondo mit einem Aufräumkommando darüber hergefallen .

Das ist die technische Erklärung. Es gibt aber noch eine zweite Entwicklung, die sich gerade anbahnt. Im Kielwasser der Digitalplattformen haben es Marken immer schwerer. Oft sind sie nur noch ein sogenanntes Plug-in, ein Funktionsanhängsel, das vielleicht noch mit einem Druckknopf oder einem Namen im Auswahlmenü vorkommt. Die neue Generation der Chatbots wie GPT-4 beschleunigt das gerade. Wenn aber kein Platz mehr ist für Markenzeichen, wird der Name immer wichtiger. Im Idealfall wird aus dem Firmennamen ein Verb. Wenn die Menschen googeln, tweeten, zoomen, ubern, amazonen, instagrammen oder tiktoken, dann tun sie das auf Plattformen, die den Markt beherrschen. Die brauchen keine Logos. Sie sind längst Teil des menschlichen Verhaltens.

Es wirkte deswegen wie ein Hilferuf des 20. Jahrhunderts, als sich die New Yorker Bürgerinnen und ­Bürger Ende März voller Empörung in den Netzwerken versammelten, weil die Stadtverwaltung ihr geliebtes I-love-NY-Logo verhunzt hatte. Da wurde aus Milton Glasers Serifenmuskelpaketen und dem Herz in Rot ein Flecken mit Onlineschrift und einem Emoji dazu. Es war einer jener vielen Momente, in denen die Moderne der Menschen zu Ende ging und die Maschinen einen Sieg verkündeten. Die New Yorker­ sahen es als Fanal, wenn ihre Stadt vor der Digitalwelt in die Knie geht – die hat doch schon Terror, Pleiten und Wirbelstürme überstanden. Plump waren ihre Metaphern, was es heiße, dass man ihr nun die Serifen genommen hat. Recht hatten sie.