Der Siegeszug des Weihnachtsmanns

Rote Zipfelmützen und weiße Rauschebärte überall. Unsere Autorin fragt sich: Was ist eigentlich aus dem Christkind, dem Christbaum und dem Christkindlmarkt geworden? 

Die rote Armee, Fraktion Weihnachtsmann. 

Foto: dpa

Am Sonntagabend, als mein Mann die Wohnungstür aufschloss, sagte er allen Ernstes: »Schade, der Schwabinger Weihnachtsmarkt hatte schon zu«. Ich fragte ihn: »Wo kommst Du denn bitte her?« Er antwortete: »Na, vom Schwabinger Weihnachtsmarkt«. Ich sagte: »Schon klar, ich meinte aber mehr so ironisch, ob Du in Hamburg oder Berlin groß geworden bist?«

Die Frage war natürlich Quatsch, ich weiß schließlich, dass mein Mann sein ganzes Leben in München und Umgebung verbracht hat. Nur nennt man hier den Christkindlmarkt eben nicht Weihnachtsmarkt, genau wie an Heiligabend nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind die Geschenke bringt.

Es scheint nicht mehr zu stimmen. In keiner Werbung, die einem im November und Dezember ungefragt aufs Handy oder den Rechner gespielt wird, ist das Christkind zu sehen, dafür ständig der Weihnachtsmann mit Rauschebart und Rentierschlitten. Und Kinder, die erklären, wie sehr sie sich auf den Weihnachtsmann freuen. Wie soll sich da ein Fünfjähriger aus, sagen wir, Rosenheim, der ziemlich selbstverständlich mit dem Ipad und Iphone seiner Eltern umgeht, nicht komisch vorkommen, wenn er denken muss: Warum kriegen alle außer mir vom Weihnachtsmann Geschenke? Und warum macht mein Mann, zu dem als Kind immer das Christkind kam, nun plötzlich mit bei der sprachlichen Umleitung von Christkindlmarkt zu Weihnachtsmarkt?

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Das alles versuchte ich meinem Mann zu erklären. Doch er verstand mich nicht: »Aber da steht doch auf einem großen roten Band in weißer Schrift: Schwabinger Weihnachtsmarkt. Der heißt halt so.«

Genau darum geht es. Bisher dachte ich, die Trennlinie sei klar: In den traditionell katholischen Gegenden im Süden und Westen Deutschlands gibt es den Christkindlmarkt und das Christkind, im Norden und Osten, wo mehr Protestanten leben, den Weihnachtsmarkt und den Weihnachtsmann. Ausnahmen gelten natürlich auch hier, etwa in Nürnberg, in dem, obwohl protestantisch geprägt, der berühmte Christkindlesmarkt steht und nicht der Weihnochddsmarkt. Aber wie lange noch?

Das eher katholische Christkind ist eine protestantische Erfindung

Was mir einleuchtet: Weihnachtsmarkt klingt unverbindlicher als Christkindlmarkt, wer vom Christkind erzählt, kann Sorge tragen, gegen seinen Willen als gläubiger Katholik oder Ewiggestriger abgestempelt zu werden, außerdem steht er schnell unter Kitschverdacht. Weihnachtsmarkt und Weihnachtsmann sind risikoloser und globaler zu vermarkten und scheinen daher auf der Popularitätsskala immer weiter vorn zu liegen. Überraschend, jedenfalls für mich, war zu erfahren, dass das eher katholische Christkind eine protestantische Erfindung ist: Martin Luther lehnte die katholische Heilgenverehrung ab und verbannte den Nikolaus, Bischof von Myra, aus den Adventsbräuchen, stärkte jedoch gleichzeitig den 25. Dezember als Tag der Geburt Jesus Christus. Das Weihnachtsfest war als neuer Maßstab implementiert. Über die Jahrhunderte entwickelten sich die Bräuche, dass, je nach Region, entweder das Christkind ein Mädchen mit Engelslocken sei, das an Heiligabend Kindern Geschenke bringt oder eben der Weihnachtsmann. Dabei geht ja beides nicht so recht auf. Schon kleine Kinder fragen sich, wie das zusammen passt: Das Christkind ein Mädchen mit Engelslocken, das aber eigentlich Jesus Christus ist? Der Weihnachtsmann, der irgendwie auch der Nikolaus ist?

Es sieht ganz so aus, als sei der Siegeszug des Weihnachtsmanns nicht mehr aufzuhalten. Ob das schade ist? Für mich schon, da spielt die Sentimentalität eine große Rolle. Und jedesmal singt es mir in den Ohren, wenn jemand sagt, er kaufe heute einen Weihnachtsbaum; ich muss mich dann zügeln, ihn nicht zu verbessern, dass es doch Christbaum heißen müsse. Es gelingt mir nicht immer. Grundsätzlich jedoch lässt sich wenig dagegen einwenden, ich weiß, weil alles sich immer verändert, den Zeiten anpasst, Bräuche und Sprache machen da keine Ausnahme. Das geht schon in Ordnung. Was mich nur ärgert: Wenn erwachsene Menschen, die mit dem Glauben an das Christkind aufgewachsen sind, nun plötzlich vom Weihnachtsmann sprechen und es ihnen nicht mal bewusst ist.

Meine private Momentaufnahme: Vierjährige Münchner Kinder sagen heute ganz selbstverständlich, sie gehen auf den Weihnachtsmarkt, aber freuen sich aufs Christkind. Natürlich haben sie das von ihren Eltern. Ich glaube, deren Eltern gingen noch auf den Christkindlmarkt. Kann gut sein, dass deren Urenkel wiederum den Kopf schütteln werden, wenn sie hören, dass ihre Großeltern noch ans Christkind geglaubt haben. Für sie wird das wahrscheinlich nach Mittelalter und Hexenverbrennung klingen.

Darum: Freuen wir uns, »Christkind kommt bald«.