Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future hat vor ein paar Tagen in einem Interview das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr als »militaristischen und patriarchalen Rückschritt« bezeichnet und den Artikel dazu mit einem Warnhinweis versehen: »(…) hier werden gleich eine Reihe Menschen Herzrasen bekommen. Es geht vorbei!«, schrieb sie in einem Kommentar. Sie wollte damit den Hatern zuvorzukommen, die jede Gelegenheit nutzen, um gegen sie zu hetzen – vergeblich, der Shitstorm kam natürlich trotzdem. In den Kommentaren unter ihrem Tweet wird sie wahlweise als »kleines, realitätsfernes, ideologisches Mädchen« oder als »Göre« bezeichnet, andere verbieten ihr direkt den Mund.
Kaum etwas fördert den Hass bestimmter Männer wie eine Frau, die öffentlich ihre Meinung sagt. Der Mob hat System. Politikerinnen bekommen Morddrohungen und unaufgefordert Dickpics, egal, ob sie sich gegen Rassismus oder für eine Cannabis-Legalisierung aussprechen. Tritt die Grünen-Chefin Ricarda Lang in einer Talkshow auf, kann sie mit abschätzigen Kommentaren über ihren Körper rechnen. Während des Bundestagswahlkampfs 2021 war Annalena Baerbock drei Mal öfter Ziel von Hassrede auf Facebook als Armin Laschet.*
Zuletzt traf es Emilia Fester von den Grünen: Die jüngste Abgeordnete im Bundestag hielt vergangene Woche ihre erste Rede. Darin schilderte sie eindrücklich und emotional, worauf ihre Generation in den vergangenen zwei Jahren Pandemie verzichtet hat, aus Rücksicht auf ältere, vulnerable Menschen, und forderte eine Impflicht ab 18 Jahren. Es dauerte nicht lange und ihr Name trendete – mit dem Zusatz »Göre« – auf Twitter. Ein Erwin twitterte über »die grüne die sich Spätpubertär, Hysterisch, Arrogant, Vorlaut, Schreihälzerig, ohne Kenntnisse ‚geäußert‘ hat im Bundestag«. Eine Livia fragte: »Wie können Sie die junge Frau in so einer wichtigen Debatte mit so einer Rede überhaupt von der Leine lassen?« Vorläufiger Höhepunkt des Shitstorms: Rainer Wendt, Chef der CDU-nahen Polizeigewerkschaft DPolG beschimpfte Fester als »lächerliche Ich-Vertreterin« und »lächerliches Kindchen« – er sprach ihr sogar ab, eine Volksvertreterin zu sein. Sein Post wurde danach schnell gelöscht, auf Facebook hat sich Wendt für seine Formulierungen entschuldigt.
Mit ihrer Rede hat Fester die Gefühlslage von Millionen jungen Menschen nach zwei Jahren Pandemie ins Parlament gebracht: Das Durchschnittsalter im Deutschen Bundestag liegt aktuell bei 47,3 Jahren. Festers Stimme ist also eine wichtige für einen beträchtlichen Teil der Menschen in diesem Land, aber sie wurde überdeckt, ja überschrien von einem Hass-Mob gegen Frauen, insbesondere junge.
Der Frauenanteil im Bundestag beträgt aktuell knapp 35 Prozent. Nur ein Drittel der Gäste in Talkshows sind Frauen
Systemischer Hass trifft nicht nur Politikerinnen. Die Sportreporterin Claudia Neumann muss sich bei Europa- oder Weltmeisterschaften regelmäßig dafür rechtfertigen, dass sie eine Frau ist. Wenn sie ein großes Fußball-Turnier kommentiert, müssen sechs Community-Managerinnen und -Manager die ZDF-Accounts frei von Hasskommentaren halten, sonst reichen zwei. Bei der WM in Russland 2018 stellte das ZDF mehrere Strafanzeigen wegen frauenfeindlicher Hetze. Ähnliche Erfahrungen machen Journalistinnen, Bloggerinnen, Gamerinnen und Youtuberinnen. Die Liste lässt sich problemlos erweitern. Immer wenn Frauen sich freiwillig mit Meinung oder Wissen exponieren, müssen sie mit Hass rechnen.
Dabei geht es nicht darum, dass sie Kritik bekommen, sondern wie. Den Inhalt von Reden, Aussagen in Interviews oder Talkshows kann man immer kritisieren. Doch um Inhalte geht es dabei nicht, sondern um den Hass-Reflex, den es auslöst, wenn eine Frau, noch dazu eine junge, überholte Rollenbilder auf den Kopf stellt. Geht es nach dem Mob, dürfen Frauen in der Öffentlichkeit schön sein, auf Laufstegen posieren und um Bachelors buhlen, Singen oder Schauspielern ist auch okay, aber um Himmels Willen dürfen sie sich nicht über Politik oder Fußball äußern oder anderweitig mit Haltung oder Kompetenz in die Öffentlichkeit gehen. Darauf reagieren Männer – seltener Frauen – mit Hass oder mit Geringschätzung, indem sie, wie in dieser Woche die Unions-Politiker Alexander Dobrindt und Friedrich Merz, Annalena Baerbocks Blick auf Sicherheitspolitik als »feministische Außenpolitik« oder »feministische Entwicklungshilfepolitik« abtun und zur Nebensache erklären.
Was befeuert diese Feindseligkeit? Offenbar die schiere Panik, dass Frauen einstige Männerdomänen erobern und Männern Plätze streitig machen könnten. Männer werden nicht automatisch als »Bengel« bezeichnet, wenn sie sich politisch äußern, egal wie alt sie sind. Sie müssen ihren Platz in Gremien, Panels und Vorständen nicht rechtfertigen. Ihr Dasein ist die gelernte Normalität. Wie lange soll es noch dauern, bis gelernt ist, dass Frauen genauso kompetent sind, egal ob es um Politik, Wirtschaft oder Sport geht? Die reflexhaften Shitstorms gegen Frauen sind verzweifelte Versuche, Frauen mundtot zu machen, klein zu halten, indem man ihnen Kompetenz abspricht, weil sie Frauen sind oder gar junge Frauen. Es sind lebensverlängernde Maßnahmen des Patriachats.
Dieser Mechanismus ist so leicht zu durchschauen, und doch beeinflusst er, ob, wie oft und zu welchen Themen Frauen sich äußern. »Leg dir einfach ein dickes Fell zu«, sagt man diesen Frauen dann. Aber wenn man Frauen abverlangt, dass sie mit Hassrede leben müssen, ist das gefährlich – weil die Betroffenen in Bringschuld geraten und weil es alle abschreckt, die nachkommen: die sich politisch engagieren wollen, Haltung äußern oder überhaupt die Öffentlichkeit suchen.
Der Hass hat schon jetzt Folgen: Der Frauenanteil im Bundestag beträgt aktuell nur knapp 35 Prozent. Nur ein Drittel der Gäste in Talkshows sind Frauen. Viele wollen sich das einfach nicht antun. Auch Youtuberinnen und Intagrammerinnen berichten von bösartigen Kommentaren, wenn sie traditionell weiblich konnotierte Themenfelder verlassen und sich Themen wie Politik oder Satire widmen, zeigte eine Studie der Malisa-Stiftung aus dem Jahr 2019. Nicht wegen persönlicher Interessen, sondern wegen des damit verbundenen Hasses sind Frauen in vielen Themen unterrepräsentiert auf den Plattformen. Damit umzugehen, ja selbst das Ausblenden, erfordert enorm viel Kraft und Mühe, die Frauen besser dafür aufwenden, ihre Arbeit zu machen.
Sie entschied sich nicht zu schweigen – und der Applaus ist riesig
70 Prozent der Mädchen und Frauen in Deutschland haben der Organisation Plan International zufolge Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen erlebt. Eine beschämende Zahl. Was dagegen hilft? Zivilcourage und Solidarität: Indem man Hater in die Schranken weist, Kritik auf Sachebene zurückführt und Hassrede überdeckt – partei- und geschlechterübergreifend, so wie es bei Ricarda Lang der Fall war, die als Reaktion auf Hasskommentare nach einem Talkshow-Auftritt von unterschiedlichen Parteien Unterstützung erfuhr.
Und wenn man selbst betroffen ist? Haltung zeigen. Dagegen halten. Widerworte geben. Wie das aussehen kann, konnte man bei Annalena Baerbock am Mittwoch in der Generaldebatte im Bundestag sehen. Bemerkenswert waren zwei Sachen daran: Zum Einen, dass sie eingangs sogar zugestand, sie habe auf Merz abschätzig gemeinten Ausdruck einer »feministischen Außenpolitik« ursprünglich gar nicht eingehen wollen. Zwischen den Zeilen war es also wieder da, das dicke Fell. Aber sie entschied sich eben anders, ließ Merz‘ Provokation nicht unerwähnt, das war das zweite: Baerbock konterte den CDU-Chef und blieb auf diese Weise nicht als die Frau zurück, die kleingemacht wurde und nichts dazu gesagt hat. Sie erklärte mit dem Verweis auf die Kriegsverbrechen von Srebrenica, warum zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts eben doch eine feministische Sichtweise gehört. Sie entschied sich, nicht zu schweigen – und der Applaus ist riesig.
*) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes war davon die Rede, dass Annalena Baerbock während des Bundestagswahlkampfs 2021 drei Mal öfter Ziel von Hassrede im Netz gewesen sei als Armin Laschet. Die zugrundeliegende Studie bezog sich jedoch nur auf Facebook. Wir haben den Fehler korrigiert.