Mit biblischer Wucht und heiligem Ernst

Daniel Day-Lewis, der vielleicht größte Schauspieler unserer Zeit, verschwindet von der Bildfläche. Er hat seine Rollen nie gespielt, er ist mit ihnen verwachsen. Eine Verneigung. 

Ausnahme-Schauspieler, die freiwillig in Rente gehen, gibt es eher selten. Morgan Freeman, zum Beispiel, mittlerweile 80, wird irgendwann einmal vor laufender Kamera tot umfallen, so viel Spaß scheint er dabei zu haben, weise Präsidenten, ergraute Zauberer oder alternde Fürsten zu mimen. Oder Robert Redford: Jedes Jahr ein neuer Film, ganz gleich, ob die Wade langsam zwickt. Anders Daniel Day-Lewis, der nun über seine Agentin hat mitteilen lassen, dass er sich für immer zur Ruhe setzt. Einen Film unter der Regie von Paul Thomas Anderson hat er gerade noch abgedreht. Das war's dann. Der Mann ist 60. Man muss somit von Vorruhestand sprechen. Über die Gründe möchte man nicht spekulieren und hoffen, dass es nichts Ernstes ist.

Es heißt also Abschied nehmen von einem der... nein, dem Schauspieler unserer Zeit. Drei Oscars, dazu zweimal nominiert. Hat keiner vor ihm geschafft. Die Liste der vielen anderen Auszeichnungen, die er erhalten hat, kann man bei Wikipedia einsehen. Man muss ziemlich lang nach unten scrollen, bis sie zu Ende ist.

Day-Lewis hat seine Figuren nicht gespielt oder verkörpert, er hat sie sich immer erkämpft bis sie mit ihm verwuchsen. Mit biblischer Wucht und heiligem Ernst. Er war der Maniac unter den Method Actors. Um sich für seine Rolle als Trapper in »Der Letzte Mohikaner« vorzubereiten, begab sich Day-Lewis monatelang in die Wildnis und lebte wie ein Eremit. Seine Metamorphose zu Abraham Lincoln war so atemberaubend, dass er von Steven Spielberg und der Crew am Set nur noch als »Mr. President« angesprochen wurde. Und für »There Will Be Blood« übte er monatelang den Wildwest-Slang von John Huston ein und aß zum Abendbrot regelmäßig Steak und Wodka. Mit der gleichen rigorosen Konsequenz, mit der er sich in seine Figuren hineinexorzierte, zieht er jetzt einen Schlussstrich. Das ist schade für uns, aber eben auch folgerichtig. Endlich mal jemand, der loslassen kann. It’s better to burn out, than to fade away. Wem könnte er noch etwas beweisen? Und gibt es nicht Schöneres im Leben, als Film um Film die seelischen Hosen runterzulassen?

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Es ist nicht das erste Mal, dass Day-Lewis mit einem neuen Leben kokettiert. Ende der 90er Jahre verschwand er für ein paar Monate in Norditalien, um das Schusterhandwerk zu erlernen. Endlich mal was Richtiges machen mit den eigenen Händen! Zum Glück kehrte er aber schnell zurück, um mit Martin Scorsese »Gangs of New York« zu drehen. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Und das bleibt uns am Ende als Hoffnung: Day-Lewis, der alte Trickster, will nicht mit einem plumpen PR-Stunt seinen Marktwert erhöhen, wie so viele vor ihm, sondern tatsächlich nur seine Ruhe haben, weil er sich in Wirklichkeit auf seine nächste Rolle vorbereitet. Nämlich die eines gefeierten Hollywood-Schauspielers, der sich selbst auferlegt, mit 60 aufzuhören. Und dabei scheitert.

Vor neun Jahren haben wir Daniel Day-Lewis getroffen und ihm ein großes Porträt im SZ-Magazin gewidmet. Lesen Sie diesen Text aus unserem Archiv:

Foto: dpa/Chris Pizzello