Oh Kapitän, mein Kapitän

»Das Traumschiff« fand unsere Autorin schon als Kind unerträglich. Die Fernsehserie ist noch immer vorhersehbar und kitschig. Aber seit ein paar Monaten ist sie Fan des TV-Dampfers. Wie konnte das passieren? 

Blick ins Nichts: Kapitän Burger (Sascha Hehn, li.) und der junge Offizier Florian (Florian Silbereisen, re.) stehen in der Folge »Das Traumschiff: Tansania« auf der Brücke.

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In meiner Kindheit reichten drei bestimmte Takte, um zuverlässig einen handfesten Familienstreit auszulösen: Wenn Daaa-daaaaa-daaa aus dem Fernseher dudelte, war Traumschiff-Zeit, und die war nicht verhandelbar. Abends lief im Fernsehen, was die Eltern sehen wollten (wobei mein Vater spätestens um 20.30 Uhr auf der Couch schnarchte) oder, ein Stockwerk tiefer, die Oma. In meiner Erinnerung war das mindestens einmal die Woche Das Traumschiff, was trotz der unverhältnismäßig hohen Wiederholungsrate im deutschen Fernsehen nicht ganz hinkommt.

James Lasts Das Traumschiff-Melodie, der vorbeiziehende Riesendampfer, die Passagiere, die schwerenöternden Kapitäne, die Crew, für mich bewegte sich alles in dieser Sendung wie in Zeitlupe, und alles daran fand ich absolut unerträglich. Da es nicht meine Art ist, meine Meinung länger als nötig für mich zu behalten, nörgelte ich jedes Mal lautstark, bis mich meine Oma ein Stockwerk höher und meine Mutter ins Bett schickte. Die mediale Fremdbestimmung dauerte so lange, bis ich mir einen Laptop zusammengespart hatte und damit DVDs und später im Internet guckte, was ich wollte. Kein Das Traumschiff, schwor ich mir. Vor ein paar Monaten habe ich meinen Eid gebrochen.

Es war ein Tag, der mit einem Scheißmorgen begann und mit einem Scheißabend endete. Im Fernsehen lief eine alte Traumschiff-Folge. Die »Destination« (Lieblingswort an Bord) war Uruguay. Nach ein paar Minuten wusste ich, wie das Ganze ausgehen wird. Die zwei ehemaligen besten Freunde, die sich im Wettbewerb um denselben Job zerstritten haben und jetzt um dieselbe Frau buhlen, werden sich aussöhnen. Genauso wie das Paar, das sich über die Jahre auseinandergelebt hat. Und die schwerkranke Ex-Freundin des Kapitäns mit ihrer Tochter. Trotzdem blieb ich hängen.

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Ich staunte, dass sich am Das Traumschiff-Rezept bis heute nichts geändert hat. Es gibt immer drei Haupthandlungsstränge:
1. Jemand hat Beziehungs-, Familien-, Freundschafts- oder Geldprobleme – oder gleich mehrere davon.
2. Jemand verliebt sich (oder muss die bestehende Beziehung retten). Die »Hoteldirektorin« (noch so ein Kreuzfahrt-Vokabular) und der Kapitän haben erstaunlicherweise Zeit, sich um den Privatkram ihrer Passagiere zu kümmern.
3. Jemand ist plötzlich krank (oder doch nicht so krank wie gedacht), damit der Schiffsarzt beschäftigt ist. Am Schluss gibt’s Torte mit Wunderkerzen.

Tiefgang wie eine Luftmatratze: das Traumschiff. Hier feierten Horst Naumann (bekannt als Schiffsarzt Dr. Horst Schröder, li. ), Heide Keller (Chefstewardess Beatrice) und Siegfried Rauch (als Kapitän Fred Pauslen) 2001 den 20. Geburtstag der ZDF-Erfolgsserie.

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Unrealistisch, vorhersehbar, kitschig, ja ja ja. Doch umschalten konnte ich nicht. Irgendwie gefiel mir diese schwimmende heile Welt. Wasser bis zum Horizont und die Traumschiff-Melodie, die alle paar Minuten zu Außenaufnahmen erklingt, hatten mich sediert, so gut, dass ich sogar die CO2-Emissionen vergaß, die so ein Kreuzfahrtschiff verursacht.

Der Abschied von meinem Traumschiff-Gram vollzog sich dann etappenweise. Ein paar Wochen später dachte ich nach einem blöden Tag zurück an dieses Wohlgefühl und suchte in der Mediathek nach: Traumschiff. Erst guckte ich eine Folge mit Harald Schmidt als Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle, aus Neugier, dann noch eine und noch eine. Ich blieb vor dem Bildschirm wie vor einem Unfall, bei dem man nicht weggucken kann. Inzwischen kenne ich jede Folge in der Mediathek und über einen kleinen technischen Umweg auch die aus der Mediathek des Schweizer Fernsehens – aber keine Sorge, so viele blöde Tage waren es auch wieder nicht.

Wie konnte das passieren? Nun, das Traumschiff ist schlicht das ideale Entschleunigungsfernsehen. Weil es eine Pause für den müden, faulen Geist ist, der sich einfach berieseln lassen will. Der weder lernen noch sich gruseln oder zu oft lachen will, weil auch das zu anstrengend wäre. So zuverlässig schafft das höchstens der Lieblingsfilm oder die Lieblingsserie, die man schon auswendig kennt und darum keine Überraschung befürchten muss. Das Tollste am Traumschiff ist die angenehme Auszeit von der Selbstoptimierung, die mit der »Morning Routine« beginnt und sich bis zum Einschlafen erstreckt und nicht mal vor unseren Film- und Seriengewohnheiten zurückschreckt.

Auch ein längeres Nickerchen ist kein Problem, man kommt trotzdem mit

Fernsehen, und damit meine ich vor allem alles, was sich an Filmen und Serien streamen lässt, ist eine wahnsinnig ernste Sache geworden. Auf Partys wird über ambivalente Hauptfiguren und horizontale Erzählweise diskutiert, um mitzuhalten legt man sich beim Gucken am besten schon ein paar kluge Gedanken zurecht. Das Traumschiff dagegen kann ich einfach nur konsumieren. Ich muss keine Angst haben, eine Anspielung zu verpassen oder die versteckte Meta-Ebene, wenn ich ein paar Minuten verschlafe. Auch ein längeres Nickerchen ist kein Problem, man kommt trotzdem mit, nicht nur, weil die Handlung – sagen wir – überschaubar ist, sondern weil sie der Kapitän beim Abschluss-Dinner auch noch einmal zusammenfasst.

So entspannt war Fernsehen zuletzt, als ich ein Kind war. In meiner Schulzeit sollte man Wetten, dass..? gesehen und vielleicht noch ein Simpsons-Zitat parat haben. Ansonsten war es herrlich egal, was man nach den Hausaufgaben geguckt hat, Fernsehen war nicht mehr als süßes Nichtstun.

Auch im Freundes- und Bekanntenkreis ist das Phänomen bekannt. Die tägliche Dosis Dahoam is dahoam, die den Feierabend einläutet. Eine Folge Soko Wismar zum Abschalten in der Mittagspause im Home-Office. Oder eben das Traumschiff als homöopathisches Mittel gegen Corona-Trübsal oder Liebeskummer, Zahnweh, Weltschmerz. Wer sich das eingesteht, tut das nicht ohne den Zusatz, das wäre ihr oder sein guilty pleasure. Ein Vergnügen, für das man sich schämt, weil man sonst nur anspruchsvolle osteuropäische Drama-Serien guckt (im O-Ton mit Untertiteln). 

Psychologen zufolge sorgt das schlechte Gewissen, die Lust am Verbotenen, für noch größere Befriedigung. Wenn man Germany’s Next Topmodel sieht, obwohl man den Rest des Jahres Vorbild-Feministin ist. Oder das Dschungelcamp streamt, obwohl man in jedem Gespräch einmal erwähnen muss, wie lange man schon – supergut! – ohne Fernseher lebt.

Das größte Vergnügen ist aber, wenn man die feige ironische Distanz vergisst, die man angeblich braucht, wenn man den guilty pleasures frönt. Ignoriert, dass man sich über tiefsinnige Arthouse-Filme definiert und höchstens ab und zu ein bisschen selbstironisch mit Trash kokettiert. Aufhört, sich zu rechtfertigen. Und einfach zugibt: Manchmal ist seichte Unterhaltung genau das, was man braucht, Loslassen und Durchschnaufen für den Geist. Jeder sollte so etwas haben. Ohne Rechtfertigung, einfach nur zum Vergnügen.