Bayerische Regierungskunst

Beim näheren Betrachten entdeckt Axel Hacke, was einen bayerischen Politiker ausmacht: Sich gleichsam um das Wohl sowie die Belustigung der Bürger zu kümmern.

Natürlich habe ich dieser Tage noch mal die Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten S. gelesen. Mir blieb der Satz »Die Staatsregierung wird stärker Kümmerer für die bayerische Wirtschaft sein« im Gedächtnis. Ich dachte an Barthold Heinrich Brockes’ Poem Die Hirsche von 1730, in dem es heißt: »Es sieht dem Kümmerer der Kummer aus dem Augen.« Brockes war ein zu seiner Zeit nicht unbedeutender Dichter: Händel, Telemann, Bach vertonten seine Werke. Aber wichtig ist für uns jetzt, dass ein »Kümmerer« damals (und in der Jägersprache ist er das bis heute) ein Tier war, das verkümmerte, ein Hirsch zum Beispiel, wie es in Grimms Wörterbuch heißt, »der im streite (zur brunstzeit) die hoden verloren hat«, kein Gehörn mehr besitzt oder krank ist.

Interessant, welchen Bedeutungswandel der »Kümmerer« erfahren hat. In S.’ Sprache ist der Kümmerstaat ein zum Bürger sich beugender Patriarch, die joviale Frage auf den Lippen: »Na, wo drückt denn der Schuh?« Worauf der Kümmerstaatsbürger allerhand Wünsche äußert, die ihm der Politiker vom Schlage S. generös erfüllt – und zwar mit Hilfe der vom Bürger selbst entrichteten Steuergelder. Dafür ist die Regierungserklärung des Oberkümmerers S. ein Musterbeispiel. Wir sollen bekommen, unter anderem: 100 neue Verwaltungsrichter, 100 Trambahnen, 1000 Landärzte, 1000 neue Mobilfunkmasten, 1000 Feldroboter, 1000 Euro Landespflegegeld, denn: »Uns ist wichtig, auch die letzten Meter des Lebens zu begleiten.«

Die letzten 1000 Meter, was?

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Wahrscheinlich entspricht das den Wünschen vieler Menschen: in Zeiten, in denen jedem Einzelnen der Wind ziemlich um die Nase weht, im Staat einen Beschützer zu haben. Es wäre überheblich, sich darüber zu belustigen. Andererseits ist es unmöglich, in der Tatsache, dass eine Regierungserklärung den Satz »Das bayerische Herz schlägt länger« enthält, wenn es um das Münchner Herzzentrum geht, nicht eine ebenso großartige Lächerlichkeit zu sehen wie in der Formulierung: »Bayerische Gemütlichkeit ist ein Exportschlager in der Welt. Aber die Konkurrenz schläft nicht.«

Wir brauchen einen Gemütlichkeitspakt.

Wiederum andererseits ist eines der Geheimnisse bayerischer Regierungskunst: die Lächerlichkeit nie zu scheuen. Die wichtigsten Ministerpräsidenten (ist es nicht interessant, dass viele von ihnen mit S. begannen, Strauß, Streibl, Stoiber, Seehofer?) haben ihre eigene Karikatur immer mitbedacht, wenn es um die Konzeption der Amtsführung ging. Da darf S., der Neue, nicht fehlen. Man muss in diesem Amt selbst sein bester Parodist sein, und in ihren größten Momenten (Streibl: »Saludos, amigos!«, Stoiber: »Äh!« oder »Sie steigen in den Hauptbahnhof ein ...«) gelang das denen, die unvergessen bleiben werden, immer.

Strauß trat 1987 in einer späten Fernsehrunde einmal dergestalt auf, dass ihm die Aussprache des eigenen Parteinamens nur mit Mühe möglich war (»ße-ess-uuuh«). Aber er gab auf die Frage nach der Konsequenz aus dem Wahlergebnis die unvergessliche Antwort: »Sie können sich verlassen drauf, dass ich die ziehe.« Der Kabarettist Helmut Schleich hat dazu in seiner Paraderolle als Franz Josef Strauß einmal gesagt, »dass das bayerische Kabarett seine herausragende Stellung in erster Linie der CSU verdankt«.

Es ist aber nun zu bedenken, dass Paro­diefähigkeit immer die Kenntnis des Parodierten voraussetzt. Insofern sind die ­meisten deutschen Ministerpräsidenten unparodierbar, man weiß ja nicht mal, wie sie heißen. Davon kann bei S. schon lange keine Rede sein. Er ist seit Jahren zum Beispiel auf dem Nockherberg ein Star, parodiert von Stephan Zinner: »O Söder mio . . !« Wäre es nicht so, es würde ihn wohl am meisten kümmern.