In einer vor Kurzem auf der Internetseite PLOS ONE (der Public Library of Science) veröffentlichten Untersuchung kommen der Geograf Jean-François Bastin und seine Kollegen zu dem Ergebnis, dass 77 Prozent der großen Städte der Welt im Jahr 2050 das Klima jeweils einer anderen großen Stadt der Welt haben werden, Madrid wird sein wie Marrakesch, Stockholm wie Budapest, London wie Barcelona, Moskau wie Sofia, Seattle wie San Francisco. Also, das Ganze geht ins Subtropische, der Süden übernimmt den Norden, und einen Norden im … wie soll ich sagen? … klassischen Sinne wird es gar nicht mehr geben. München galt bisher als nördlichste Stadt Italiens, eine Rolle, die es vielleicht an Hannover abgeben muss. Oder sogar an Hamburg? Vielleicht blüht ihm: das Neapel Bayerns zu sein?
Interessant ist Folgendes: Was wird dies aus dem Heimatgefühl der Menschen machen? Eine Leopoldstraße mit Pinien ist etwas anderes als mit Pappeln, wie jetzt. Aber unwillkürlich würde ich erst mal sagen: Lasst die Pappeln da! Rein aus Gewohnheit. Obwohl ich echt kein großer Pappelfreund bin, bloß kenne ich die Leopoldstraße nun mal nicht anders, von ein paar Jahren abgesehen, in denen die Pappeln mal aus irgendwelchen Gründen abgesägt werden mussten. War nicht schön.
Der Mensch hängt an seinen Gewohnheiten, und es war in meinem Leben bisher üblich, Pinien erst zu sehen, wenn ich den Brenner überquert hatte und eine ganze Weile durch Italien gefahren war – also die erste Pinie, ich würde sagen: Gardasee, oder? Dass wir nicht mehr nach Süden fahren müssen, sondern der Süden zu uns kommt … Ich muss mich da erst noch, sagen wir so: hineinfühlen. Ein Biergarten unter Palmen? Ich weiß nicht. Mag gar nicht schlecht sein, ist aber unvertraut. Wenigstens werden wir wohl keinen Vulkan in der Nähe haben, der Vesuv bleibt in Neapel, oder? Er ist als Kulisse schön, aber wirklich nur als Kulisse. Als Vulkan ist er, tja, ein Vulkan eben.
Übrigens wäre da noch die Frage, was aus dem wirklichen Neapel wird, klimatisch gesehen. Tripolis? Kairo?
Verglichen mit dem, was die Klimaveränderungen anderen Menschen in anderen Ländern bringen, ist es harmlos, was uns blüht, aber Angst haben wir, nicht wahr? Viele jedenfalls. Na ja, Angst … Mulmig ist einem.
Was macht man aus so einem Gefühl? Vernünftig wäre es, wenn jeder von uns sich klarzumachen versuchte, dass es in einer Zeit voll grundstürzender Veränderungen auf allen Gebieten – von der privaten und öffentlichen Kommunikation über eine globalisierte Wirtschaft hin zu Flüchtlingsströmen und dem Klimawandel – eher seltsam wäre, wenn man überhaupt gar keine Angst hätte. Ohne Angst geht es nicht in unserer Epoche.
Noch für jede Epoche der Menschheit galt aber: Ohne Vernunft ging es überhaupt nie.
Was die Pinien in der Leopoldstraße betrifft: Manchmal wache ich morgens mit dem Gefühl auf, es habe eh keinen Sinn aufzustehen, weil wir sowieso dem Untergang geweiht seien. Aber ich lege mich abends im Empfinden hin, dass mancher Klimahysteriker dringend ein Eisbad bräuchte zur Beruhigung. So sehr schwanken nur Emotionen, nicht der Verstand, mit dessen Hilfe wir uns vor Augen zu halten versuchen sollten: Empfindungen spielen heute eine zu große Rolle im politischen Leben, überall kochen die Gefühle.
»Früher war ein Sturm einfach ein Sturm, heute gilt er manchen als Vorbote des Weltuntergangs«, hat der Klimaforscher Hans von Storch neulich im Spiegel gesagt. Natürlich hat uns die Wissenschaft deutlich gemacht, dass es einen von Menschen verursachten Klimawandel gibt, aber auch auf deren Erkenntnisse kann man vernünftig reagieren – was nichts anderes heißt, als immer schön den eigenen Gefühlskocher unter Kontrolle zu behalten.
Jetzt müsste man noch rauskriegen, ob Pappeln oder Pinien Stürmen besser standhalten, das weiß ich nicht.