Bruno, mein alter Freund, hat jetzt ein Elektrofahrrad. »Komm her, setz dich mal drauf!«, rief er, als ich abends schwitzend von einer Tour mit meinem neuen Rennrad zurückkam. »Du musst in die Pedale treten und dann diesen Knopf hier drücken!« Ich setzte mich, trat in die Pedale, drückte dann den Knopf – und sauste plötzlich wie vom Turbo getrieben die Straße entlang. Erschrocken ließ ich den Knopf los und fuhr urplötzlich wieder im Schritttempo.
»Geil!«, sagte ich. »Aber für den Sport eher ungeeignet. Man will sich doch ertüchtigen.«
»Wer will schon immer Sport treiben?!«, sagte Bruno. »Manchmal will man einfach nur den Nockherberg hinauf, zum Biergarten. Und keinen Parkplatz suchen.«
»Und die Batterie hier«, sagte ich und zeigte auf den schwarzen Kasten an Brunos Radl, »die wird sicher durch das Pedaltreten aufgeladen?«
»Natürlich nicht. Man muss sie an der Steckdose füllen.«
»Also fährst du jetzt mit Atomstrom in den Biergarten?«
»Noch«, sagte Bruno. »Aber nur bis zur Energiewende 2020.«
In der Zeitung lese ich, dass bis zum Jahr 2020 in Deutschland eine Million Elektroautos fahren sollen. Gleichzeitig sollen möglicherweise alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, sodass der Strom von da an zum Beispiel aus Windparks in der Nordsee kommen müsste. (Ich habe übrigens in den letzten Wochen und Monaten so viel über Windparks in der Nordsee gelesen, dass ich mich allmählich frage, wo dort im Meer überhaupt noch Schiffe fahren sollen. Die ganze Nordsee wird anscheinend demnächst von Windmasten zugestellt sein, zwischen denen die letzten Öltanker Slalom fahren.)
Jedenfalls muss der Strom dann vom Norden zu uns in den Süden gebracht werden, wo Bruno wohnt, der Mann auf dem Elektrorad. Dazu müssen breite Leitungstrassen durchs Land geschlagen werden, mit diesen hässlichen Gittermasten, die keiner in seiner Nähe haben will. Aber was wollen wir schon heute noch in unserer Nähe haben, das mit Stromerzeugung zu tun hat!? Einen Atommeiler? Ein Kohlekraftwerk? Eine Biogas-Anlage? Einen Windmast? Selbst über die Solarzellen wird ja geklagt, weil alle schönen alten Bauernhaus-Dächer auf dem Land damit verpflastert worden sind und nun wie schwarze Löcher aussehen. Nein, alles in unserer Nähe soll schön sein!
Am ehesten akzeptabel wäre noch ein Stausee, aber auch nur, wenn er nicht zu groß ist, man drin baden kann und der hässliche Nachbarort darin versinkt. Zum Beispiel würden die Dortmunder ihren Strom liebend gern von einem Stausee namens »Gelsenkirchen« beziehen, aus dem bei Niedrigwasser das Dach der Veltins-Arena
von Schalke 04 herausragte. Könnte man nicht zum Beispiel die Schweiz unserem Stromappetit opfern, die Lücken zwischen den Bergen mit Staumauern zubetonieren und das Land mit Wasser zulaufen lassen? Der Strom müsste wenigstens für ganz Süddeutschland reichen, und die Schweizer, die ihr Land verlören, aber doch sicher Verständnis hätten, könnten bei uns in stillgelegten Bankfilialen wohnen. Oder man müsste halt Zürich, Bern und so weiter als schwimmende Städte neu errichten.
Jedenfalls brauchen wir eine Debatte über Energiegewinnung und Ästhetik. Im Spiegel stand, es gebe in Dänemark schöne Entwürfe von Y-förmigen, eleganten Stahlmasten, und in Island werde über Statuen in Menschengestalt als Leitungspfeiler nachgedacht, die man sogar der Umgebung anpassen könnte, sodass sie zum Beispiel einen Hang emporkletterten. Man stelle sich vor, das ganze Land wäre mit Ketten von dreißig Meter hohen Angela-Merkel-Nachbildungen durchzogen, die an ihren Y-artig erhobenen Armen die Stromleitungen trügen – das wäre etwas anderes als die jetzigen Gitterwerke! Und wie wäre es mit einer Biogas-Anlage in Gestalt des Barons Guttenberg, in der all die gefälschten Doktorarbeiten verrotten, die jetzt plötzlich entdeckt werden? Oder Horst Seehofer als Windmast?
Illustration: Dirk Schmidt