Eine Sache, die mir am modernen Leben nicht gefällt, ist, dass man für alles und jedes ein Passwort benötigt. Ich finde Schlüssel lästig genug, Autoschlüssel, Büroschlüssel, Wohnungsschlüssel, Kellerschlüssel, dauernd hat man Angst, sie zu verlieren, ständig sucht man nach ihnen. Es ist nicht lange her, dass ich vor einer Urlaubsreise den Autoschlüssel sorgfältig in der Wohnung versteckte, damit Einbrecher nicht auch den Wagen mitnehmen könnten, dass ich mich dann aber nach der Rückkehr nicht an das Versteck erinnern konnte, so dass ich stundenlang alle Zimmer filzte, ergebnislos. Nach Wochen entdeckte ich den Schlüssel, als ich ein seit Jahren nicht getragenes Sakko in die Altkleidersammlung gab: Da war etwas Kleines, Hartes in der Tasche …
Noch schlimmer sind Fahrradschlösser, die sich ohne Schlüssel schließen lassen, und erst, wenn man heimradeln will, stellt sich heraus: Der Radschlüssel ist zu Hause.
Nun aber sind zu den Schlüsseln die Passwörter und PIN-Zahlen gekommen, am Bankautomaten, bei den Online-Händlern, die meisten von uns haben zwanzig, dreißig Buchstaben-Zahlen-Kombinationen, die einerseits möglichst kompliziert sein sollen, die man sich andererseits aber auch merken möchte, denn notieren darf man sie eigentlich auch nicht. Und wenn man sie notiert hat, muss man sich ja wiederum erinnern: wo!?
Das Böse ist immer und überall.
Ist es nicht deshalb doch eine smarte Idee, dass man das neueste Mobilgerät der Firma A. einfach mit seinem Fingerabdruck entsperren kann? Seine Finger hat man ja bei sich, und das Einzige, das man sich merken muss: welcher Finger?
Da hilft eine Eselsbrücke: einfach ein Foto von Peer Steinbrück auf das Display!
Natürlich sind, kaum wurde der neue Apparat verkauft, die Schlaumeier vom Chaos Computer Club auf die Idee gekommen, die Fingerabdruck-Sperre auszutricksen: Man müsse nur, teilten sie mit, den Fingerabdruck eines Nutzers mit einer besonders hohen Auflösung fotografieren, das Bild am Computer bereinigen, mit einem Laserdrucker auf Transparenzfolie drucken, auf diesen Druck nun hautfarbene Latexmilch oder weißen Holzleim auftragen, trocknen lassen, dann wieder leicht anfeuchten – schon habe man einen funktionierenden Fingerabdruck.
Na, wenn’s weiter nichts ist.
Übrigens gibt es im Internet kleine Filme, auf denen japanische Journalisten zeigen, dass man statt des Fingerabdrucks auch seine Brustwarze, den großen Zeh oder die Nasenspitze nutzen kann, um das Handy in Betrieb zu nehmen, und irgendwie fragt man sich: Wäre nicht, wenn das so ist, ein Ohrläppchen das Allereinfachste und sowieso am nächsten Liegende? Oder überhaupt das ganze Ohr? Ohren sind, wie man täglich sieht, sehr unterschiedlich geformt, es gibt Hunderte von Ohren-Typen, und wenn ein Handy-Dieb ein Gerät nur an Menschen mit dazu passenden Lauschern verkaufen kann – also, das Geschäft wäre doch zumindest sehr erschwert. Man kann ja schlecht beim Handy-Klauen gleich auch noch die Ohren mitnehmen. Jedenfalls wäre das aufwendig.
Also: Ich fände es sehr praktisch, wenn man Schlüssel, Passwörter, PIN-Codes, diesen ganzen Riesenlotterkram einfach durch einen Fingerabdruck ersetzen würde: Daumen ans Auto, Tür geht auf, Fahrersitz ruckelt zurecht, Motor springt an – warum denn nicht? Auch der Bankautomat könnte vielleicht endlich mit Gesichtserkennung mein Konto für mich öffnen, früher war das üblich in jeder Sparkasse: Die Frau oder der Mann am Schalter kannten und erkannten mich und gaben mir mein Geld; nun kennt mich eben der Computer.
In unseren Hosentaschen und Hirnen wäre endlich Platz für Wichtigeres! Richtig misstrauisch werde ich erst, wenn ich nach Hause komme, die Tür geht von selbst auf und der Staubsauger, der gerade den Wohnungsflur reinigt, sagt: »Hallo! Ich wusste, dass du kommen würdest.«
Illustration: Dirk Schmidt