Jedes siebte Kind wünscht sich bereits eine Schönheitsoperation, gut aussehende Menschen verdienen mehr, attraktive Politiker schneiden bei Wahlen besser ab: So liest man das jeden Tag. Wir leben in einer Gesellschaft, die das Äußerliche verehrt und den Schein anbetet. Nun naht das Weihnachtsfest, und die plastischen Chirurgen allüberall wetzen bereits die Skalpelle: So mancher Ehemann gedenkt, seine Liebste mit einem Gutschein für eine Gesäßstraffung oder einem Fettabsaugungs-Billett zu überraschen, und nicht wenige Frauen freuen sich schon im Vorhinein über die Jubelschreie ihrer Männer, wenn unter dem Baum der Coupon für die heiß ersehnte Schweißdrüsenverödung liegt. Geht der Winter dann zu Ende, werden die Deutschen mit frisch verzurrter Epidermis sowie befreit vom welken Fleisch der Jahre ans Frühlingslicht treten, und in den Kliniken des Landes wird man quadratmeterweise faltige Haut entsorgen, in Operationsmüllsäcken achtlos zusammengestopft mit Zehntausenden alter Nasenhöcker und Tonnen überflüssig gewordenen Wanstfetts.
Doch muss unser Blick nicht in die Zukunft gehen? Reichen diese Anstrengungen noch aus? An den Verhandlungstischen der Welt blicken unsere Gesandten längst in die faltenfreien Gesichter uralter Chinesen, und es recken sich ihnen aufs Monströseste operierte Kinnspitzen amerikanischer Partner entgegen. Indes fällt mein Blick auf eine schon etwas ältere Meldung aus dem Vermont Fish and Wildlife Department in den USA: Dort drüben hatte ein Jäger unerlaubterweise eine Hirschkuh geschossen anstatt des genehmigten Hirsches – und seinen Frevel zu tarnen versucht, indem er dem weiblichen Tier ein Geweih aufgeklebt hatte; leider nicht fachmännisch genug für die Experten der Jagdbehörde.
Wie wäre es aber nun, auch der Mensch würde sich endlich diese in der Natur vorhandenen Beeindruckungs-Möglichkeiten zunutze machen? Ein Geweih fest auf einem Männerschädel zu verdübeln, dürfte für geübte Körperkorrekteure eine der leichtesten Übungen sein. Mag sein, dass der erste Geweihträger noch belächelt würde, aber das wurden die ersten Männer auch, die ihr Haar künstlich verdichten ließen. Sähe man aber Fußballtrainer vom Schlage Jürgen Klopps mit Sechzehnender-Kopfschmuck auf den Schiedsrichter losgehen oder Magnaten wie Volkswagen-Winterkorn japanische Kontrahenten mit seinem Gehörn meterweit überragen, dürfte sich das erledigt haben. Dem Geweih gehört die Zukunft, mag es auch bei der Fahrt zum Arbeitsplatz bisweilen lästig sein. Der Mann von Rang fährt eh nicht U-Bahn oder Kleinwagen.
Jedoch wäre das Kopfgehörn nur ein Anfang. Wer träumte nicht wie Bruno, mein alter Freund, von einem Rüssel, mit dem er an der Bar weiter entfernten Trinkgenossen das Bier aus dem Glase saugen könnte?! Wem wäre in Rabattverhandlungen nicht ein wie unabsichtlich geblecktes Hai-Gebiss nützlich?! Oder die Stimmbänder eines sibirischen Tigers? Gar der Stachel einer Wespe? Beim Einkaufen auf dem Markt: Das Ende der Plastiktüte wäre gekommen, könnte man sich einen Känguru-Beutel transplantieren lassen. Der letzte Schrei im Winter: an der Halspartie die Haut eines rauwolligen pommerschen Landschafes zu tragen, sommers täglich zu scheren. Man rasiert sich ohnehin.
Ach, welche Vielfalt menschlicher Erscheinungen wäre möglich: Der Herr, der schon morgens am Kiosk ein Pfauenrad schlägt, um die schöne Nachbarin zu betören. Die junge Frau, die, mit den Flügeln eines Zitronenfalters ausgestattet, zum Geldautomaten schwebt. Das Kind, das mit seinem winzigen Nashorn die Schokoladen-Verpackung aufschlitzt.
Und sehen Sie den kleinen Dicken da oben am Firmament? Das ist Sigmar Gabriel. Er hat sich die Schwingen des Bundesadlers transplantieren lassen, um jedes SPD-Mitglied persönlich zu einem Gespräch über den Koalitionsvertrag besuchen zu können.
Illustration: Dirk Schmidt