Jetzt habe ich herausgefunden, warum das elektronische Buch (das man auf Geräten lesen kann, die Tolino, Kindle oder Trekstor heißen, auch auf seinem Tablet-Computer oder sogar dem Display des Telefons) zwar aus praktischen Gründen weiter sehr erfolgreich sein wird, aber nie unser gutes altes Papierbuch besiegen kann.
Der Grund ist einfach: Man kann E-Books nicht signieren. Man kann sie niemandem widmen. Man kann nicht hineinschreiben »Frohe Weihnachten 2013, mein Schatz«. Zwar gibt es, zum Beispiel bei Apple, den Versuch einer sozusagen drahtlosen Widmung auch von E-Büchern. Auch ist es mittlerweile machbar, solche Werke mit einer Art persönlichen Vorsatzblatts zu verschenken. Aber das wirkt alles hilflos und wird die handschriftliche Signatur nicht ersetzen.
Man kann also aus einem Elektrobuch nichts Besonderes machen; unmöglich, es durch einen Zusatz von einer x-beliebigen Kopie in ein Original zu verwandeln. Ein papierloses Buch bleibt immer nur ein papierloses Buch.
Das Buch alter Art hingegen ist sowieso immer schon nach kurzem Gebrauch ein Individualgegenstand. Der große Flann O’Brien hat seinerzeit in seiner Kolumne in der Irish Times das Projekt eines sogenannten Services für »Buchhandhabung« entwickelt, der sich an Leute richtete, die keine Zeit hatten, ihre Bücher selbst zu lesen. Man könnte hier, schrieb er, zum Beispiel die Handhabung volkstümlich buchen: Ungelesene Bücher werden mit Eselsohren und alten Fahrscheinen als vergessenen Lesezeichen versehen. Weitere Handhabungsstufen sahen Kaffee- oder Whiskeyflecken vor, Le Traitement superbe schließlich handschriftliche Anmerkungen: »Sehr wahr, sehr wahr« oder »Ja, aber vgl. Homer, Od. III, 151«. Zu dieser Variante gehörte schließlich die gefälschte Signatur: »Nimm dieses Buch, und mag es noch so dürftig sein, entgegen, und glaube mir bitte, dass ich immer bleiben werde, was ich war und bin: Dein Freund und Bewunderer, G. Bernard Shaw.«
Der Mensch hat das Buch am liebsten personalisiert, sonst würden sich nicht so viele Leser Bücher vom Verfasser widmen lassen. Manche Autoren hassen das, ich liebe es. Diese Schreiberei nach einer Lesung hat etwas Meditatives. Es ist möglich, sich in so vollständige Selbstvergessenheit hineinzusignieren, dass man nach zehn Minuten aufschreckt und denkt: »Wie war gleich mein Name?«
Und: »Habe ich wirklich gerade geschrieben ›Für meine Mama, die beste von allen – Axel Hacke‹«? Meine Mutter lebt doch gar nicht mehr.
»Soll ich wirklich ›Für meine Mama‹ schreiben? Ich kenne Ihre Mutter gar nicht.«
»Das macht nichts. Schreiben Sie!«
Die meisten Menschen, die eine Signatur haben möchten, sind freundlich. Es gibt aber herrische Leser. Die legen das Buch hin und sagen: »Jetzt schreiben Sie mal was!«
»Und was?«
»Sie sind der Autor. Schreiben S’ was Lustiges!«
Ich müsste mich jetzt für Stunden zurückziehen, um über den zu verfassenden Text nachzudenken, aber dazu ist keine Zeit. Also kritzele ich beschämt meinen Namen oder schreibe die Worte »was Lustiges« dazu, furchtbar, die Leute gehen beleidigt weg. Ich kann aber in Anwesenheit herrischer Leser nicht lustig sein.
Besser ist, einer weiß, was er will. Einmal schrieb ich etwas darüber, dass sich in vielen Ehen Wegwerfer und Behalter gegenüberstehen. Darauf kam ein älterer Herr zu mir, dessen Frau, ohne zu fragen, seine Zahnpastatuben-Sammlung entsorgt hatte. Er bat um eine Widmung »Für die Wegwerf-Frau«. Ich fragte, ob das eine gute Idee sei.
Er nickte beherzt. Also schrieb ich.
Und es gibt Hunderte von Büchern, die ich mit »Für meine geliebte Sonja« (oder Eva, Helga, Trude, was weiß ich!?) signiert habe, ohne dass meine Frau davon erfahren hätte. Sie ahnt ja auch nichts von »Für Ralphi, Du Süßer«.
Illustration: Dirk Schmidt