Die sich in Brasilien ereignende Fußballweltmeisterschaft lässt uns andere bedeutende Ereignisse vergessen. So ist leider der 29. Jahresausstellung der British Tarantula Society in Coventry nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil geworden, obgleich aus diesem Anlass 30 000 lebende Vogelspinnen versammelt waren, eine Zahl, die Spinnenphobiker zwar für alle Zeiten zur weiträumigen Umfahrung Coventrys veranlasst, Freunde der Tarantel aber wie von derselben gestochen aufspringen lässt: sensationelle Zahl! (Anzumerken wäre, dass nie eine Tarantel einen Menschen gestochen hat: Spinnen beißen!)
Den Preis für das schönste Tier trug in Coventry eine Blaue Pavian-Vogelspinne aus dem Besitz von Mike Dawkins davon: Ihr blauschwarz schimmerndes Beinhaar und der hamsterhaft bepelzte Rumpf lösen einerseits Streichelverlangen, andererseits blankes Entsetzen im Betrachter aus, eine kaum auszuhaltende Gefühlsmelange, die wiederum nur Freunde des Fußballs nachempfinden können: Fasziniert von filigranster Lederbehandlung zartgliedriger Mittelfeldspieler zum einen, wissen sie, dass diese Sportart zum anderen von fürchterlichen Hünen ausgeübt wird, die jeden Ballstreichler gleichmütig in die Grasnarbe einzuarbeiten in der Lage sind.
Wer ein paar Spiele in Brasilien verfolgt hat, muss erstaunt sein, in welchem Maße Fußballer heute ihre Haut nicht nur zu Markte tragen, sondern auch beschriften, bemalen und mit allerhand Symbolik verzieren; mancher läuft herum, als sei er versehentlich in eine Tapetendruckmaschine geraten. Im Internet fand ich eine Seite, auf der zwanzig schlimme Fußballertattoos gewürdigt werden, unter anderem die bunte Oberfläche des (bei der WM nicht zu sehenden) Norwegers Nicki Bille Nielsen, der aussieht, so ist zu lesen, »als sei ein Clown auf ihm geschmolzen«.
Der Italiener Mario Balotelli, dessen Oberkörper deutschen Fußballfreunden vom verlorenen Halbfinale der Europameisterschaft 2012 für immer in schmerzlicher Erinnerung bleiben wird, hat sich auf denselben ein Zitat Dschingis Khans tätowieren lassen: »Ich bin die Strafe Gottes. Wenn du nicht so große Sünden begangen hättest, hätte Gott dir nicht eine Bestrafung wie mich geschickt.«
Das ist als Mahnung an gegnerische Verteidiger gedacht. Andererseits ist ein Fußballerkörper nicht immer ein Fußballerkörper: Was mag eine Frau denken, die, Balotelli in Liebe zugewandt, ihm sein Oberhemd vom Leibe streift und dies liest? Zweitens ergeht folgende Mahnung an alle: Bedenket, dass an Euren Körpern dereinst die Verwitterungen des Alters Spuren hinterlassen! Auch Reiner Calmund war aktiver Fußballer (wenngleich sein Ruf als solcher nicht die Grenzen des Rhein-Erft-Kreises überwand). Aber wie nähme sich auf seiner Haut heute ein seinerzeit unbedacht hingeritzter Satz eines Mongolenfürsten aus?
In diesem Zusammenhang verdienen die vierten Europäischen Meisterschaften der Tierkörperpräparatoren in Longarone/Italien Erwähnung, wie stets ein einziges Ringen mit der Vergänglichkeit. Man sah: glänzend gründelnde Harnischwelse, wie vergrübelt auf Holz sitzende Blasskopfsakis, stolze Graureiher, winzige Sommergoldhähnchen, ja, einen springenden Forellenbarsch – das Wort »ausgestopft« trifft nicht, was der Mensch hier leistete. Er verhalf Toten zu einem Glanz, den sie lebend vielleicht nie hatten, großartig und doch: unbeseelt.
Hier befinden wir uns an den Grenzen der Taxidermie, welcher Begriff, aus dem Griechischen stammend, »Gestaltung der Haut« bedeutet, eine Disziplin, der sich eben auch Fußballer verschrieben haben, nicht immer kunstvoll, ist doch die Kunst des Fußballers nun mal der Fußball. Übrigens gingen Hauptpreise in Longarone an Jan Panninger, Robert Stein, Michael Witzke, Marie Christin Scheinpflug und Romy Kreschel, die deutsche Mannschaft, sozusagen.
Illustration: Dirk Schmidt