Das Beste aus meinem Leben

Paola las ein Buch mit Geschichten von Raymond Carver, da blickte sie auf und sagte, hier, in dieser Story, die sie gerade lese, komme ein Paar vor, das für sein Zusammenleben unter anderem folgende Regel aufgestellt habe: Alle halbe Jahre darf sich jeder vom jeweils anderen etwas wünschen, und der andere muss sich an diesen Wunsch halten.»Hmmmm«, machte ich.»Darf ich mir gleich mal was wünschen?«, sagte Paola.»Hmmmm.«»Öööööh«, machte Paola, steckte die Zunge zwischen die Lippen und machte ein extrablödes Gesicht. »Typisch, ich rede über unsere Beziehung, du machst ›Öööööh‹.«»Ich habe nicht ›Öööööh‹ gemacht, ich habe lediglich ›Hmmmm‹ gemacht«, sagte ich.»Du hast ›Öööööh‹ gemacht.«»Das müsste ich wissen, oder?, wenn ich ›Öööööh‹ gemacht hätte. Ich habe ›Hmmmm‹ gemacht , weil ich eben manchmal ›Hmmmm‹ mache, wenn ich nachdenke. ›Öööööh‹ mache ich überhaupt nie.«»Darf ich mir jetzt etwas wünschen oder nicht?«»Ja, aber muss ich den Wunsch dann auch erfüllen?«»Das ist die Bedingung.«»Hmmmm.«Sie sah mich an und wartete.»Was würdest du dir wünschen?«, erkundigte ich mich.»Dass du nicht mehr ›lediglich‹ sagst. Du darfst nie mehr ›lediglich‹ sagen.«»Ich bin Schriftsteller. Du kannst mir nicht Wörter verbieten  …«»Außerdem sagst du ›lediglich‹ immer in einem bestimmten Tonfall.«»Wann sage ich schon mal ›lediglich‹? Ich benutze das Wort nie.«»Gerade vorhin hast du es benutzt. Du hast gesagt: Ich habe nicht ›Öööööh‹ gemacht, ich habe lediglich ›Hmmmm‹ gemacht. Wie das klingt! Ich mag es nicht.«»Das habe ich so nicht gesagt.«»Doch.«»Nein. Habe ich nicht. Manchmal würde ich am liebsten unsere Gespräche durch einen Stenografen protokollieren lassen oder mit einem Tonband aufzeichnen.«Paola (tritt zur Seite, aus der Szene heraus und zischt): »Jetzt reicht es mir aber, lies deinen eigenen Text nach, du hast es doch selbst geschrieben, du Narr!«Ich (trete ebenfalls aus der Szene heraus, nehme den bis hierher geschriebenen Manuskripttext und lese ihn nach, dann leise): »Tatsächlich, du hast Recht, ich hatte ›lediglich‹ geschrieben und also auch gesagt …« (Beide treten wieder in die Szene hinein und machen weiter.)»›Lediglich‹ klingt so kindisch. Als ob du mit dem Fuß aufstampfst. Unsouverän. Unmännlich«, sagte Paola.»Darf ich mir auch was wünschen?«, sagte ich.»Natürlich. Was?«»Dass du nicht mehr so viel über das Wetter redest.«»Aber das Wetter war entsetzlich in letzter Zeit.«»Es ändert sich bloß nicht, wenn man dauernd drüber redet. Es ärgert einen nur noch mehr.«»Aber ich kann das nicht verdrängen, schlechtes Wetter belastet mich zu sehr.«»Du sollst es ja auch nicht verdrängen, du sollst bloß nicht mehr so viel drüber sprechen.«»Ich würde so gern in Italien leben.«»Darf man die Wünsche des anderen überhaupt kommentieren, oder hat man sie lediglich widerspruchslos zu erfüllen?«, fragte ich.»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich habe gerade ›lediglich‹ gesagt«, sagte ich. »Du hast es gar nicht bemerkt.«»Ich lese jetzt weiter«, sagte sie.»Kann ich das Buch danach haben?«»Hmmmm.«

Illustration: Dirk Schmidt