Das Beste aus meinem Leben

Der Sprach-Wertstoffhof (V): Im Sommer hatte an dieser Stelle zum ersten Mal vier Wochen lang der Sprach-Wertstoffhof seine Pforten geöffnet, verbunden mit der Aufforderung, »weggeworfene, anderswo nicht mehr brauchbare Wörter und Sätze« zu den üblichen Öffnungszeiten abzugeben – warum? Damit Menschen, die diese Wörter und Sätze vielleicht noch gebrauchen könnten, sie ihrerseits hier zur Wiederverwertung abholen können.Der Erfolg war überwältigend. Ich sitze seitdem in einem Altwörterlager von nicht mehr überschaubaren Ausmaßen und muss mir morgens, um überhaupt an meinen Schreibtisch zu gelangen, mit einem Schneeschieber den Weg durch Wörterhaufen bahnen. Ich überlege andererseits, warum nie jemand bisher auf diesen Gedanken kam. Und auch nicht darauf, analog zu den Altkleidersammlungen in Deutschland Altwörtersammlungen zu veranstalten. Oder wenigs-tens an den wichtigsten Straßenecken Gebrauchtwörter-Container aufzustellen. Hier bleibt sonst – und dies in unseren zunehmend ausdrucksarmen Zeiten! – wertvolles Verbalmaterial ungenutzt.Zum Beispiel bekam ich gleich von zwei Seiten, nämlich von Frau K. aus München und Herrn V. aus Tutzing, das Wort »Wasserwandschrank« überreicht, welches sich anscheinend in spanischen Hotels regelmäßig findet. Dort ergeht, auf Spanisch, die für uns ungewöhnliche Aufforderung, Toilettenpapier nicht in die Toilette zu werfen, sondern in den Papierkorb. Auf Deutsch lautet die Bitte: »Bitte, gestellen Sie nicht Toilettenpapier in den Wasserwandschrank. Benutzen Sie den Papierkorb, Danke schön.«In seiner Entstehung hat das Wort »Wasserwandschrank« offenbar damit zu tun, dass der Schilderdichter aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hat; das heißt, er hat »water closet« in »water« und »closet« geteilt und für »water« im Wörterbuch »Wasser« gefunden, für »closet« das Wort »Wandschrank«. Frau K. findet das »eine sehr elegante Ausdrucksweise für Toilette«. Herr V. hingegen stellt die These auf, ein Wasserwandschrank sei im bekanntermaßen recht heißen und trockenen Andalusien für die Aufbewahrung von Wasserwänden vorgesehen, »um dieselben dann bei starker Trockenheit an geeigneten Orten oder Plätzen wieder aufgestellen zu können«.Das wird wohl wahr sein, zumal es auch erklärt, warum man kein Toilettenpapier in die Wasserwandschränke werfen soll. Die wertvollen und empfindlichen Wasserwände würden ja verschmutzen.Leider, fügt V. an, habe er in seinem Hotel keinen Wasserwandschrank entdeckt, sodass er auch nicht sagen könne, wie man Wasserwände in die Schränke »gestelle«, ob es dazu spezielle Gestelle gebe und ob man die Wände vorher in Folie hülle, um sie vor Austrocknung zu bewahren. Ich meinerseits möchte anmerken, dass es natürlich nützlich wäre, zum Wort »Wasserwandschrank« auch einen entsprechenden Gegenstand zur Hand zu haben, ansonsten stünde das nichts bezeichnende Substantiv sinnlos herum. Außerdem: Wäre es nicht schön, einen Wasserwandschrank mal von innen zu besehen? Ich denke an Mörikes Gedicht Vom Sieben-Nixen-Chor, in dem es heißt:»Zwischen grünen WasserwändenSitzt der Sieben-Nixen-Chor;Wasserrosen in den Händen,Lauschen sie zum Licht empor.«Dieser Chor würde manchen fast mehr interessieren als die Wasserwände selbst, doch lese er vorsichtshalber erst mal das Gedicht zu Ende oder wenigstens bis zu der Stelle, an der die Nixen einen Königssohn so betören, dass er mit ihnen davoneilt – und dann …?»Doch man sah nach wenig Stunden,Wie der Nixenbräutigam,Tot, mit sieben roten Wunden,Hoch am Strand des Meeres schwamm.«Vorsicht also, wenn Sie je irgendwo einen Wasserwandschrank finden sollten! Lassen Sie ihn erst von versierten Wasserwandschrankexperten untersuchen. Herr V., auch Frau K., haben wohl noch mal Glück gehabt.

Illustration: Dirk Schmidt